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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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behrdet; und dieses hätten wir so gut nicht gese-
hen, wenn der Dichter das, was er erzehlen
läßt, vor unsern Augen hätte vorgehen lassen,
und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte er-
zehlen lassen. Der Verdruß, den Arnolph
empfindet; der Zwang, den er sich anthut, die-
sen Verdruß zu verbergen; der höhnische Ton,
den er annimmt, wenn er den weitern Progresse
des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet;
das Erstaunen, die stille Wuth, in der wir ihn
sehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ohn-
geachtet sein Ziel glücklich verfolgt: das sind
Handlungen, und weit komischere Handlungen,
als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbst
in der Erzehlung der Agnese, von ihrer mit dem
Horaz gemachten Bekanntschaft, ist mehr Hand-
lung, als wir finden würden, wenn wir diese
Bekanntschaft auf der Bühne wirklich machen
sähen.

Also, anstatt von der Frauenschule zu sagen,
daß alles darinn Handlung scheine, obgleich
alles nur Erzehlung sey, glaubte ich mit meh-
rerm Rechte sagen zu können, daß alles Hand-
lung darinn sey, obgleich alles nur Erzehlung
zu seyn scheine.



Ham-

behrdet; und dieſes hätten wir ſo gut nicht geſe-
hen, wenn der Dichter das, was er erzehlen
läßt, vor unſern Augen hätte vorgehen laſſen,
und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte er-
zehlen laſſen. Der Verdruß, den Arnolph
empfindet; der Zwang, den er ſich anthut, die-
ſen Verdruß zu verbergen; der höhniſche Ton,
den er annimmt, wenn er den weitern Progreſſe
des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet;
das Erſtaunen, die ſtille Wuth, in der wir ihn
ſehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ohn-
geachtet ſein Ziel glücklich verfolgt: das ſind
Handlungen, und weit komiſchere Handlungen,
als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbſt
in der Erzehlung der Agneſe, von ihrer mit dem
Horaz gemachten Bekanntſchaft, iſt mehr Hand-
lung, als wir finden würden, wenn wir dieſe
Bekanntſchaft auf der Bühne wirklich machen
ſähen.

Alſo, anſtatt von der Frauenſchule zu ſagen,
daß alles darinn Handlung ſcheine, obgleich
alles nur Erzehlung ſey, glaubte ich mit meh-
rerm Rechte ſagen zu können, daß alles Hand-
lung darinn ſey, obgleich alles nur Erzehlung
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[8/0014] behrdet; und dieſes hätten wir ſo gut nicht geſe- hen, wenn der Dichter das, was er erzehlen läßt, vor unſern Augen hätte vorgehen laſſen, und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte er- zehlen laſſen. Der Verdruß, den Arnolph empfindet; der Zwang, den er ſich anthut, die- ſen Verdruß zu verbergen; der höhniſche Ton, den er annimmt, wenn er den weitern Progreſſe des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet; das Erſtaunen, die ſtille Wuth, in der wir ihn ſehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ohn- geachtet ſein Ziel glücklich verfolgt: das ſind Handlungen, und weit komiſchere Handlungen, als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbſt in der Erzehlung der Agneſe, von ihrer mit dem Horaz gemachten Bekanntſchaft, iſt mehr Hand- lung, als wir finden würden, wenn wir dieſe Bekanntſchaft auf der Bühne wirklich machen ſähen. Alſo, anſtatt von der Frauenſchule zu ſagen, daß alles darinn Handlung ſcheine, obgleich alles nur Erzehlung ſey, glaubte ich mit meh- rerm Rechte ſagen zu können, daß alles Hand- lung darinn ſey, obgleich alles nur Erzehlung zu ſeyn ſcheine. Ham-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/14>, abgerufen am 19.04.2024.