gutes Vorurtheil für seine Kunst erwecken. Auch hat Quin noch mehr, als dieses Vorur- theil für sich: man weiß, daß er in der Tragödie mit vieler Würde gespielet; daß er besonders der erhabenen Sprache des Milton Genüge zu leisten gewußt; daß er, im Komischen, die Rolle des Falstaff zu ihrer größten Vollkommenheit ge- bracht. Doch alles dieses macht ihn zu keinem Garrick; und das Mißverständniß liegt blos darinn, daß man annimmt, der Dichter habe diesem allgemeinen und ausserordentlichen Schau- spieler einen schlechten, und für schlecht durch- gängig erkannten, entgegen setzen wollen. Quin soll hier einen von der gewöhnlichen Sorte be- deuten, wie man sie alle Tage sieht; einen Mann, der überhaupt seine Sache so gut weg- macht, daß man mit ihm zufrieden ist; der auch diesen und jenen Charakter ganz vortrefflich spie- let, so wie ihm seine Figur, seine Stimme, sein Temperament dabey zu Hülfe kommen. So ein Mann ist sehr brauchbar, und kann mit allem Rechte ein guter Schauspieler heissen; aber wie viel fehlt ihm noch, um der Proteus in seiner Kunst zu seyn, für den das einstimmige Gerücht schon längst den Garrick erkläret hat. Ein sol- cher Quin machte, ohne Zweifel, den König im Hamlet, als Thomas Jones und Rebhuhn in der Komödie waren;(*) und der Rebhuhne giebt
es
(*) Theil VI. S. 15.
G 3
gutes Vorurtheil fuͤr ſeine Kunſt erwecken. Auch hat Quin noch mehr, als dieſes Vorur- theil fuͤr ſich: man weiß, daß er in der Tragoͤdie mit vieler Wuͤrde geſpielet; daß er beſonders der erhabenen Sprache des Milton Genuͤge zu leiſten gewußt; daß er, im Komiſchen, die Rolle des Falſtaff zu ihrer groͤßten Vollkommenheit ge- bracht. Doch alles dieſes macht ihn zu keinem Garrick; und das Mißverſtaͤndniß liegt blos darinn, daß man annimmt, der Dichter habe dieſem allgemeinen und auſſerordentlichen Schau- ſpieler einen ſchlechten, und fuͤr ſchlecht durch- gaͤngig erkannten, entgegen ſetzen wollen. Quin ſoll hier einen von der gewoͤhnlichen Sorte be- deuten, wie man ſie alle Tage ſieht; einen Mann, der uͤberhaupt ſeine Sache ſo gut weg- macht, daß man mit ihm zufrieden iſt; der auch dieſen und jenen Charakter ganz vortrefflich ſpie- let, ſo wie ihm ſeine Figur, ſeine Stimme, ſein Temperament dabey zu Huͤlfe kommen. So ein Mann iſt ſehr brauchbar, und kann mit allem Rechte ein guter Schauſpieler heiſſen; aber wie viel fehlt ihm noch, um der Proteus in ſeiner Kunſt zu ſeyn, fuͤr den das einſtimmige Geruͤcht ſchon laͤngſt den Garrick erklaͤret hat. Ein ſol- cher Quin machte, ohne Zweifel, den Koͤnig im Hamlet, als Thomas Jones und Rebhuhn in der Komoͤdie waren;(*) und der Rebhuhne giebt
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(*) Theil VI. S. 15.
G 3
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gutes Vorurtheil fuͤr ſeine Kunſt erwecken.
Auch hat Quin noch mehr, als dieſes Vorur-
theil fuͤr ſich: man weiß, daß er in der Tragoͤdie
mit vieler Wuͤrde geſpielet; daß er beſonders der
erhabenen Sprache des Milton Genuͤge zu leiſten
gewußt; daß er, im Komiſchen, die Rolle des
Falſtaff zu ihrer groͤßten Vollkommenheit ge-
bracht. Doch alles dieſes macht ihn zu keinem
Garrick; und das Mißverſtaͤndniß liegt blos
darinn, daß man annimmt, der Dichter habe
dieſem allgemeinen und auſſerordentlichen Schau-
ſpieler einen ſchlechten, und fuͤr ſchlecht durch-
gaͤngig erkannten, entgegen ſetzen wollen. Quin
ſoll hier einen von der gewoͤhnlichen Sorte be-
deuten, wie man ſie alle Tage ſieht; einen
Mann, der uͤberhaupt ſeine Sache ſo gut weg-
macht, daß man mit ihm zufrieden iſt; der auch
dieſen und jenen Charakter ganz vortrefflich ſpie-
let, ſo wie ihm ſeine Figur, ſeine Stimme, ſein
Temperament dabey zu Huͤlfe kommen. So ein
Mann iſt ſehr brauchbar, und kann mit allem
Rechte ein guter Schauſpieler heiſſen; aber wie
viel fehlt ihm noch, um der Proteus in ſeiner
Kunſt zu ſeyn, fuͤr den das einſtimmige Geruͤcht
ſchon laͤngſt den Garrick erklaͤret hat. Ein ſol-
cher Quin machte, ohne Zweifel, den Koͤnig im
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/67>, abgerufen am 25.11.2024.
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