Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

es mehrere, die nicht einen Augenblick anstehen,
ihn einem Garrick weit vorzuziehen. "Was?
sagen sie, Garrick der größte Akteur? Er schien
ja nicht über das Gespenst erschrocken, sondern
er war es. Was ist das für eine Kunst, über
ein Gespenst zu erschrecken? Gewiß und wahr-
haftig, wenn wir den Geist gesehen hätten, so
würden wir eben so ausgesehen, und eben das
gethan haben, was er that. Der andere hin-
gegen, der König, schien wohl auch, etwas ge-
rührt zu seyn, aber als ein guter Akteur gab er
sich doch alle mögliche Mühe, es zu verbergen.
Zu dem sprach er alle Worte so deutlich aus, und
redete noch einmal so laut, als jener kleine unan-
sehnliche Mann, aus dem ihr so ein Aufhebens
macht!"

Bey den Engländern hat jedes neue Stück
seinen Prolog und Epilog, den entweder der
Verfasser selbst, oder ein Freund desselben, ab-
fasset. Wozu die Alten den Prolog brauchten,
den Zuhörer von verschiedenen Dingen zu un-
terrichten, die zu einem geschwindern Verständ-
nisse der zum Grunde liegenden Geschichte des
Stückes dienen, dazu brauchen sie ihn zwar
nicht. Aber er ist darum doch nicht ohne Nutzen.
Sie wissen hunderterley darinn zu sagen, was
das Anditorium für den Dichter, oder für den
von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und un-

billigen

es mehrere, die nicht einen Augenblick anſtehen,
ihn einem Garrick weit vorzuziehen. 〟Was?
ſagen ſie, Garrick der groͤßte Akteur? Er ſchien
ja nicht uͤber das Geſpenſt erſchrocken, ſondern
er war es. Was iſt das fuͤr eine Kunſt, uͤber
ein Geſpenſt zu erſchrecken? Gewiß und wahr-
haftig, wenn wir den Geiſt geſehen haͤtten, ſo
wuͤrden wir eben ſo ausgeſehen, und eben das
gethan haben, was er that. Der andere hin-
gegen, der Koͤnig, ſchien wohl auch, etwas ge-
ruͤhrt zu ſeyn, aber als ein guter Akteur gab er
ſich doch alle moͤgliche Muͤhe, es zu verbergen.
Zu dem ſprach er alle Worte ſo deutlich aus, und
redete noch einmal ſo laut, als jener kleine unan-
ſehnliche Mann, aus dem ihr ſo ein Aufhebens
macht!〟

Bey den Englaͤndern hat jedes neue Stuͤck
ſeinen Prolog und Epilog, den entweder der
Verfaſſer ſelbſt, oder ein Freund deſſelben, ab-
faſſet. Wozu die Alten den Prolog brauchten,
den Zuhoͤrer von verſchiedenen Dingen zu un-
terrichten, die zu einem geſchwindern Verſtaͤnd-
niſſe der zum Grunde liegenden Geſchichte des
Stuͤckes dienen, dazu brauchen ſie ihn zwar
nicht. Aber er iſt darum doch nicht ohne Nutzen.
Sie wiſſen hunderterley darinn zu ſagen, was
das Anditorium fuͤr den Dichter, oder fuͤr den
von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und un-

billigen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="54"/>
es mehrere, die nicht einen Augenblick an&#x017F;tehen,<lb/>
ihn einem Garrick weit vorzuziehen. &#x301F;Was?<lb/>
&#x017F;agen &#x017F;ie, Garrick der gro&#x0364;ßte Akteur? Er &#x017F;chien<lb/>
ja nicht u&#x0364;ber das Ge&#x017F;pen&#x017F;t er&#x017F;chrocken, &#x017F;ondern<lb/>
er war es. Was i&#x017F;t das fu&#x0364;r eine Kun&#x017F;t, u&#x0364;ber<lb/>
ein Ge&#x017F;pen&#x017F;t zu er&#x017F;chrecken? Gewiß und wahr-<lb/>
haftig, wenn wir den Gei&#x017F;t ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tten, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rden wir eben &#x017F;o ausge&#x017F;ehen, und eben das<lb/>
gethan haben, was er that. Der andere hin-<lb/>
gegen, der Ko&#x0364;nig, &#x017F;chien wohl auch, etwas ge-<lb/>
ru&#x0364;hrt zu &#x017F;eyn, aber als ein guter Akteur gab er<lb/>
&#x017F;ich doch alle mo&#x0364;gliche Mu&#x0364;he, es zu verbergen.<lb/>
Zu dem &#x017F;prach er alle Worte &#x017F;o deutlich aus, und<lb/>
redete noch einmal &#x017F;o laut, als jener kleine unan-<lb/>
&#x017F;ehnliche Mann, aus dem ihr &#x017F;o ein Aufhebens<lb/>
macht!&#x301F;</p><lb/>
        <p>Bey den Engla&#x0364;ndern hat jedes neue Stu&#x0364;ck<lb/>
&#x017F;einen Prolog und Epilog, den entweder der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t, oder ein Freund de&#x017F;&#x017F;elben, ab-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;et. Wozu die Alten den Prolog brauchten,<lb/>
den Zuho&#x0364;rer von ver&#x017F;chiedenen Dingen zu un-<lb/>
terrichten, die zu einem ge&#x017F;chwindern Ver&#x017F;ta&#x0364;nd-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e der zum Grunde liegenden Ge&#x017F;chichte des<lb/>
Stu&#x0364;ckes dienen, dazu brauchen &#x017F;ie ihn zwar<lb/>
nicht. Aber er i&#x017F;t darum doch nicht ohne Nutzen.<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en hunderterley darinn zu &#x017F;agen, was<lb/>
das Anditorium fu&#x0364;r den Dichter, oder fu&#x0364;r den<lb/>
von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">billigen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0068] es mehrere, die nicht einen Augenblick anſtehen, ihn einem Garrick weit vorzuziehen. 〟Was? ſagen ſie, Garrick der groͤßte Akteur? Er ſchien ja nicht uͤber das Geſpenſt erſchrocken, ſondern er war es. Was iſt das fuͤr eine Kunſt, uͤber ein Geſpenſt zu erſchrecken? Gewiß und wahr- haftig, wenn wir den Geiſt geſehen haͤtten, ſo wuͤrden wir eben ſo ausgeſehen, und eben das gethan haben, was er that. Der andere hin- gegen, der Koͤnig, ſchien wohl auch, etwas ge- ruͤhrt zu ſeyn, aber als ein guter Akteur gab er ſich doch alle moͤgliche Muͤhe, es zu verbergen. Zu dem ſprach er alle Worte ſo deutlich aus, und redete noch einmal ſo laut, als jener kleine unan- ſehnliche Mann, aus dem ihr ſo ein Aufhebens macht!〟 Bey den Englaͤndern hat jedes neue Stuͤck ſeinen Prolog und Epilog, den entweder der Verfaſſer ſelbſt, oder ein Freund deſſelben, ab- faſſet. Wozu die Alten den Prolog brauchten, den Zuhoͤrer von verſchiedenen Dingen zu un- terrichten, die zu einem geſchwindern Verſtaͤnd- niſſe der zum Grunde liegenden Geſchichte des Stuͤckes dienen, dazu brauchen ſie ihn zwar nicht. Aber er iſt darum doch nicht ohne Nutzen. Sie wiſſen hunderterley darinn zu ſagen, was das Anditorium fuͤr den Dichter, oder fuͤr den von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und un- billigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/68
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/68>, abgerufen am 02.05.2024.