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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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sie noch unter ihren Herzen trägt, auf eine sehr
rührende Art darüber zum Richter nimmt. Ich
glaube, die Stelle verdiente angeführt zu wer-
den; aber ich habe das Buch nicht bey der Hand.
Genug, daß das, was dem Eurikles Voltaire
selbst in den Mund legt, hinreichend gewesen
wäre, die Aufführung seiner Merope zu recht-
fertigen, wenn er sie als die Gemahlinn des Po-
lyphonts eingeführet hätte. Die kalten Scenen
einer politischen Liebe wären dadurch weggefal-
len; und ich sehe mehr als einen Weg, wie das
Interesse durch diesen Umstand selbst noch weit
lebhafter, und die Situationen noch weit intri-
guanter hätten werden können.

Doch Voltaire wollte durchaus auf dem Wege
bleiben, den ihm Maffei gebahnet hatte, und
weil es ihm gar nicht einmal einfiel, daß es ei-

nen
Me. Ah que me dites-vous?
Eur. De dures verites
Qui m'arrachent mon zele & vos calamites.
Me. Quoi! Vous me demandez que l'interet
surmonte
Cette invincible horreur que j'ai pour Po-
lifonte!
Vous qui me l'avez peint de si noires cou-
leurs!
Eur. Je l'ai peint dangereux, je connais
ses fureurs;
Mais il est tout-puissant; mais rien ne lui
resiste;
Il est sans heritier, & vous aimez Egiste. --

ſie noch unter ihren Herzen traͤgt, auf eine ſehr
ruͤhrende Art daruͤber zum Richter nimmt. Ich
glaube, die Stelle verdiente angefuͤhrt zu wer-
den; aber ich habe das Buch nicht bey der Hand.
Genug, daß das, was dem Eurikles Voltaire
ſelbſt in den Mund legt, hinreichend geweſen
waͤre, die Auffuͤhrung ſeiner Merope zu recht-
fertigen, wenn er ſie als die Gemahlinn des Po-
lyphonts eingefuͤhret haͤtte. Die kalten Scenen
einer politiſchen Liebe waͤren dadurch weggefal-
len; und ich ſehe mehr als einen Weg, wie das
Intereſſe durch dieſen Umſtand ſelbſt noch weit
lebhafter, und die Situationen noch weit intri-
guanter haͤtten werden koͤnnen.

Doch Voltaire wollte durchaus auf dem Wege
bleiben, den ihm Maffei gebahnet hatte, und
weil es ihm gar nicht einmal einfiel, daß es ei-

nen
Me. Ah que me dites-vous?
Eur. De dures vérités
Qui m’arrachent mon zéle & vos calamités.
Me. Quoi! Vous me demandez que l’interet
ſurmonte
Cette invincible horreur que j’ai pour Po-
lifonte!
Vous qui me l’avez peint de ſi noires cou-
leurs!
Eur. Je l’ai peint dangereux, je connais
ſes fureurs;
Mais il eſt tout-puiſſant; mais rien ne lui
reſiſte;
Il eſt ſans héritier, & vous aimez Egiſte. —
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[374/0388] ſie noch unter ihren Herzen traͤgt, auf eine ſehr ruͤhrende Art daruͤber zum Richter nimmt. Ich glaube, die Stelle verdiente angefuͤhrt zu wer- den; aber ich habe das Buch nicht bey der Hand. Genug, daß das, was dem Eurikles Voltaire ſelbſt in den Mund legt, hinreichend geweſen waͤre, die Auffuͤhrung ſeiner Merope zu recht- fertigen, wenn er ſie als die Gemahlinn des Po- lyphonts eingefuͤhret haͤtte. Die kalten Scenen einer politiſchen Liebe waͤren dadurch weggefal- len; und ich ſehe mehr als einen Weg, wie das Intereſſe durch dieſen Umſtand ſelbſt noch weit lebhafter, und die Situationen noch weit intri- guanter haͤtten werden koͤnnen. Doch Voltaire wollte durchaus auf dem Wege bleiben, den ihm Maffei gebahnet hatte, und weil es ihm gar nicht einmal einfiel, daß es ei- nen (*) (*) Me. Ah que me dites-vous? Eur. De dures vérités Qui m’arrachent mon zéle & vos calamités. Me. Quoi! Vous me demandez que l’interet ſurmonte Cette invincible horreur que j’ai pour Po- lifonte! Vous qui me l’avez peint de ſi noires cou- leurs! Eur. Je l’ai peint dangereux, je connais ſes fureurs; Mais il eſt tout-puiſſant; mais rien ne lui reſiſte; Il eſt ſans héritier, & vous aimez Egiſte. —

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/388>, abgerufen am 28.11.2024.