dabey leidet. Die Höflichkeit macht, daß wir liebenswürdig scheinen, aber nicht groß; und der Franzose will eben so groß, als liebenswür- dig scheinen.
Was folgt also auf die galante Zueignungs- schrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben eines gewissen de la Lindelle, welcher dem guten Maffei eben so viel Grobheiten sagt, als ihm Voltaire Verbindliches gesagt hatte. Der Stil dieses de la Lindelle ist ziemlich der Voltai- rische Stil; es ist Schade, daß eine so gute Fe- der nicht mehr geschrieben hat, und übrigens so unbekannt geblieben ist. Doch Lindelle sey Voltaire, oder sey wirklich Lindelle: wer einen französischen Januskopf sehen will, der vorne auf die einschmeichelndste Weise lächelt, und hinten die hämischsten Grimassen schneidet, der lese beide Briefe in einem Zuge. Ich möchte keinen geschrieben haben; am wenigsten aber beide. Aus Höflichkeit bleibet Voltaire disseits der Wahrheit stehen, und aus Verkleinerungs- sucht schweifet Lindelle bis jenseit derselben. Je- ner hätte freymüthiger, und dieser gerechter seyn müssen, wenn man nicht auf den Verdacht ge- rathen sollte, daß der nehmliche Schriftsteller sich hier unter einem fremden Namen wieder ein- bringen wollen, was er sich dort unter seinem eigenen vergeben habe.
Vol-
S s 2
dabey leidet. Die Hoͤflichkeit macht, daß wir liebenswuͤrdig ſcheinen, aber nicht groß; und der Franzoſe will eben ſo groß, als liebenswuͤr- dig ſcheinen.
Was folgt alſo auf die galante Zueignungs- ſchrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben eines gewiſſen de la Lindelle, welcher dem guten Maffei eben ſo viel Grobheiten ſagt, als ihm Voltaire Verbindliches geſagt hatte. Der Stil dieſes de la Lindelle iſt ziemlich der Voltai- riſche Stil; es iſt Schade, daß eine ſo gute Fe- der nicht mehr geſchrieben hat, und uͤbrigens ſo unbekannt geblieben iſt. Doch Lindelle ſey Voltaire, oder ſey wirklich Lindelle: wer einen franzoͤſiſchen Januskopf ſehen will, der vorne auf die einſchmeichelndſte Weiſe laͤchelt, und hinten die haͤmiſchſten Grimaſſen ſchneidet, der leſe beide Briefe in einem Zuge. Ich moͤchte keinen geſchrieben haben; am wenigſten aber beide. Aus Hoͤflichkeit bleibet Voltaire diſſeits der Wahrheit ſtehen, und aus Verkleinerungs- ſucht ſchweifet Lindelle bis jenſeit derſelben. Je- ner haͤtte freymuͤthiger, und dieſer gerechter ſeyn muͤſſen, wenn man nicht auf den Verdacht ge- rathen ſollte, daß der nehmliche Schriftſteller ſich hier unter einem fremden Namen wieder ein- bringen wollen, was er ſich dort unter ſeinem eigenen vergeben habe.
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dabey leidet. Die Hoͤflichkeit macht, daß wir
liebenswuͤrdig ſcheinen, aber nicht groß; und
der Franzoſe will eben ſo groß, als liebenswuͤr-
dig ſcheinen.
Was folgt alſo auf die galante Zueignungs-
ſchrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben
eines gewiſſen de la Lindelle, welcher dem guten
Maffei eben ſo viel Grobheiten ſagt, als ihm
Voltaire Verbindliches geſagt hatte. Der
Stil dieſes de la Lindelle iſt ziemlich der Voltai-
riſche Stil; es iſt Schade, daß eine ſo gute Fe-
der nicht mehr geſchrieben hat, und uͤbrigens ſo
unbekannt geblieben iſt. Doch Lindelle ſey
Voltaire, oder ſey wirklich Lindelle: wer einen
franzoͤſiſchen Januskopf ſehen will, der vorne
auf die einſchmeichelndſte Weiſe laͤchelt, und
hinten die haͤmiſchſten Grimaſſen ſchneidet, der
leſe beide Briefe in einem Zuge. Ich moͤchte
keinen geſchrieben haben; am wenigſten aber
beide. Aus Hoͤflichkeit bleibet Voltaire diſſeits
der Wahrheit ſtehen, und aus Verkleinerungs-
ſucht ſchweifet Lindelle bis jenſeit derſelben. Je-
ner haͤtte freymuͤthiger, und dieſer gerechter ſeyn
muͤſſen, wenn man nicht auf den Verdacht ge-
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ſich hier unter einem fremden Namen wieder ein-
bringen wollen, was er ſich dort unter ſeinem
eigenen vergeben habe.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/337>, abgerufen am 22.11.2024.
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