Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

dabey leidet. Die Höflichkeit macht, daß wir
liebenswürdig scheinen, aber nicht groß; und
der Franzose will eben so groß, als liebenswür-
dig scheinen.

Was folgt also auf die galante Zueignungs-
schrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben
eines gewissen de la Lindelle, welcher dem guten
Maffei eben so viel Grobheiten sagt, als ihm
Voltaire Verbindliches gesagt hatte. Der
Stil dieses de la Lindelle ist ziemlich der Voltai-
rische Stil; es ist Schade, daß eine so gute Fe-
der nicht mehr geschrieben hat, und übrigens so
unbekannt geblieben ist. Doch Lindelle sey
Voltaire, oder sey wirklich Lindelle: wer einen
französischen Januskopf sehen will, der vorne
auf die einschmeichelndste Weise lächelt, und
hinten die hämischsten Grimassen schneidet, der
lese beide Briefe in einem Zuge. Ich möchte
keinen geschrieben haben; am wenigsten aber
beide. Aus Höflichkeit bleibet Voltaire disseits
der Wahrheit stehen, und aus Verkleinerungs-
sucht schweifet Lindelle bis jenseit derselben. Je-
ner hätte freymüthiger, und dieser gerechter seyn
müssen, wenn man nicht auf den Verdacht ge-
rathen sollte, daß der nehmliche Schriftsteller
sich hier unter einem fremden Namen wieder ein-
bringen wollen, was er sich dort unter seinem
eigenen vergeben habe.

Vol-
S s 2

dabey leidet. Die Hoͤflichkeit macht, daß wir
liebenswuͤrdig ſcheinen, aber nicht groß; und
der Franzoſe will eben ſo groß, als liebenswuͤr-
dig ſcheinen.

Was folgt alſo auf die galante Zueignungs-
ſchrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben
eines gewiſſen de la Lindelle, welcher dem guten
Maffei eben ſo viel Grobheiten ſagt, als ihm
Voltaire Verbindliches geſagt hatte. Der
Stil dieſes de la Lindelle iſt ziemlich der Voltai-
riſche Stil; es iſt Schade, daß eine ſo gute Fe-
der nicht mehr geſchrieben hat, und uͤbrigens ſo
unbekannt geblieben iſt. Doch Lindelle ſey
Voltaire, oder ſey wirklich Lindelle: wer einen
franzoͤſiſchen Januskopf ſehen will, der vorne
auf die einſchmeichelndſte Weiſe laͤchelt, und
hinten die haͤmiſchſten Grimaſſen ſchneidet, der
leſe beide Briefe in einem Zuge. Ich moͤchte
keinen geſchrieben haben; am wenigſten aber
beide. Aus Hoͤflichkeit bleibet Voltaire diſſeits
der Wahrheit ſtehen, und aus Verkleinerungs-
ſucht ſchweifet Lindelle bis jenſeit derſelben. Je-
ner haͤtte freymuͤthiger, und dieſer gerechter ſeyn
muͤſſen, wenn man nicht auf den Verdacht ge-
rathen ſollte, daß der nehmliche Schriftſteller
ſich hier unter einem fremden Namen wieder ein-
bringen wollen, was er ſich dort unter ſeinem
eigenen vergeben habe.

Vol-
S s 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0337" n="323"/>
dabey leidet. Die Ho&#x0364;flichkeit macht, daß wir<lb/>
liebenswu&#x0364;rdig &#x017F;cheinen, aber nicht groß; und<lb/>
der Franzo&#x017F;e will eben &#x017F;o groß, als liebenswu&#x0364;r-<lb/>
dig &#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Was folgt al&#x017F;o auf die galante Zueignungs-<lb/>
&#x017F;chrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben<lb/>
eines gewi&#x017F;&#x017F;en de la Lindelle, welcher dem guten<lb/>
Maffei eben &#x017F;o viel Grobheiten &#x017F;agt, als ihm<lb/>
Voltaire Verbindliches ge&#x017F;agt hatte. Der<lb/>
Stil die&#x017F;es de la Lindelle i&#x017F;t ziemlich der Voltai-<lb/>
ri&#x017F;che Stil; es i&#x017F;t Schade, daß eine &#x017F;o gute Fe-<lb/>
der nicht mehr ge&#x017F;chrieben hat, und u&#x0364;brigens &#x017F;o<lb/>
unbekannt geblieben i&#x017F;t. Doch Lindelle &#x017F;ey<lb/>
Voltaire, oder &#x017F;ey wirklich Lindelle: wer einen<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Januskopf &#x017F;ehen will, der vorne<lb/>
auf die ein&#x017F;chmeichelnd&#x017F;te Wei&#x017F;e la&#x0364;chelt, und<lb/>
hinten die ha&#x0364;mi&#x017F;ch&#x017F;ten Grima&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chneidet, der<lb/>
le&#x017F;e beide Briefe in einem Zuge. Ich mo&#x0364;chte<lb/>
keinen ge&#x017F;chrieben haben; am wenig&#x017F;ten aber<lb/>
beide. Aus Ho&#x0364;flichkeit bleibet Voltaire di&#x017F;&#x017F;eits<lb/>
der Wahrheit &#x017F;tehen, und aus Verkleinerungs-<lb/>
&#x017F;ucht &#x017F;chweifet Lindelle bis jen&#x017F;eit der&#x017F;elben. Je-<lb/>
ner ha&#x0364;tte freymu&#x0364;thiger, und die&#x017F;er gerechter &#x017F;eyn<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn man nicht auf den Verdacht ge-<lb/>
rathen &#x017F;ollte, daß der nehmliche Schrift&#x017F;teller<lb/>
&#x017F;ich hier unter einem fremden Namen wieder ein-<lb/>
bringen wollen, was er &#x017F;ich dort unter &#x017F;einem<lb/>
eigenen vergeben habe.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">S s 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Vol-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0337] dabey leidet. Die Hoͤflichkeit macht, daß wir liebenswuͤrdig ſcheinen, aber nicht groß; und der Franzoſe will eben ſo groß, als liebenswuͤr- dig ſcheinen. Was folgt alſo auf die galante Zueignungs- ſchrift des Hrn. von Voltaire? Ein Schreiben eines gewiſſen de la Lindelle, welcher dem guten Maffei eben ſo viel Grobheiten ſagt, als ihm Voltaire Verbindliches geſagt hatte. Der Stil dieſes de la Lindelle iſt ziemlich der Voltai- riſche Stil; es iſt Schade, daß eine ſo gute Fe- der nicht mehr geſchrieben hat, und uͤbrigens ſo unbekannt geblieben iſt. Doch Lindelle ſey Voltaire, oder ſey wirklich Lindelle: wer einen franzoͤſiſchen Januskopf ſehen will, der vorne auf die einſchmeichelndſte Weiſe laͤchelt, und hinten die haͤmiſchſten Grimaſſen ſchneidet, der leſe beide Briefe in einem Zuge. Ich moͤchte keinen geſchrieben haben; am wenigſten aber beide. Aus Hoͤflichkeit bleibet Voltaire diſſeits der Wahrheit ſtehen, und aus Verkleinerungs- ſucht ſchweifet Lindelle bis jenſeit derſelben. Je- ner haͤtte freymuͤthiger, und dieſer gerechter ſeyn muͤſſen, wenn man nicht auf den Verdacht ge- rathen ſollte, daß der nehmliche Schriftſteller ſich hier unter einem fremden Namen wieder ein- bringen wollen, was er ſich dort unter ſeinem eigenen vergeben habe. Vol- S s 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/337
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/337>, abgerufen am 19.05.2024.