Mit der Merope, wie ich gezeigt, war es auf eine doppelte Art möglich; ob es aber wirklich geschehen, oder nicht geschehen, läßt sich aus den wenigen Fragmenten, die uns von dem Kresphontes übrig sind, nicht schliessen. Sie enthalten nichts als Sittensprüche und morali- sche Gesinnungen, von spätern Schriftsteller ge- legentlich angezogen, und werfen nicht das ge- ringste Licht auf die Oekonomie des Stückes. (*) Aus dem einzigen, bey dem Polybius, welches eine Anrufung an die Göttinn des Friedens ist, scheinet zu erhellen, daß zu der Zeit, in welche die Handlung gefallen, die Ruhe in dem Mes- senischen Staate noch nicht wieder hergestellet gewesen; und aus ein Paar andern sollte man fast schliessen, daß die Ermordung des Kresphon- tes und seiner zwey ältern Söhne, entweder ei- nen Theil der Handlung selbst ausgemacht habe, oder doch nur kurz vorhergegangen sey; welches beides sich mit der Erkennung des jüngern Soh- nes, der erst verschiedene Jahre nachher seinen Vater und seine Brüder zu rächen kam, nicht wohl zusammen reimet. Die größte Schwie- rigkeit aber macht mir der Titel selbst. Wenn
diese
(*) Dasjenige, welches Dacier anführet, (Poeti- que d'Aristote, Chap. XV. Rem. 23.) ohne sich zu erinnern, wo er es gelesen, stehet bey dem Plutarch in der Abhandlung, Wie man seine Feinde nützen solle.
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Mit der Merope, wie ich gezeigt, war es auf eine doppelte Art moͤglich; ob es aber wirklich geſchehen, oder nicht geſchehen, laͤßt ſich aus den wenigen Fragmenten, die uns von dem Kreſphontes uͤbrig ſind, nicht ſchlieſſen. Sie enthalten nichts als Sittenſpruͤche und morali- ſche Geſinnungen, von ſpaͤtern Schriftſteller ge- legentlich angezogen, und werfen nicht das ge- ringſte Licht auf die Oekonomie des Stuͤckes. (*) Aus dem einzigen, bey dem Polybius, welches eine Anrufung an die Goͤttinn des Friedens iſt, ſcheinet zu erhellen, daß zu der Zeit, in welche die Handlung gefallen, die Ruhe in dem Meſ- ſeniſchen Staate noch nicht wieder hergeſtellet geweſen; und aus ein Paar andern ſollte man faſt ſchlieſſen, daß die Ermordung des Kreſphon- tes und ſeiner zwey aͤltern Soͤhne, entweder ei- nen Theil der Handlung ſelbſt ausgemacht habe, oder doch nur kurz vorhergegangen ſey; welches beides ſich mit der Erkennung des juͤngern Soh- nes, der erſt verſchiedene Jahre nachher ſeinen Vater und ſeine Bruͤder zu raͤchen kam, nicht wohl zuſammen reimet. Die groͤßte Schwie- rigkeit aber macht mir der Titel ſelbſt. Wenn
dieſe
(*) Dasjenige, welches Dacier anfuͤhret, (Poeti- que d’Ariſtote, Chap. XV. Rem. 23.) ohne ſich zu erinnern, wo er es geleſen, ſtehet bey dem Plutarch in der Abhandlung, Wie man ſeine Feinde nuͤtzen ſolle.
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[309/0323]
Mit der Merope, wie ich gezeigt, war es auf
eine doppelte Art moͤglich; ob es aber wirklich
geſchehen, oder nicht geſchehen, laͤßt ſich aus
den wenigen Fragmenten, die uns von dem
Kreſphontes uͤbrig ſind, nicht ſchlieſſen. Sie
enthalten nichts als Sittenſpruͤche und morali-
ſche Geſinnungen, von ſpaͤtern Schriftſteller ge-
legentlich angezogen, und werfen nicht das ge-
ringſte Licht auf die Oekonomie des Stuͤckes. (*)
Aus dem einzigen, bey dem Polybius, welches
eine Anrufung an die Goͤttinn des Friedens iſt,
ſcheinet zu erhellen, daß zu der Zeit, in welche
die Handlung gefallen, die Ruhe in dem Meſ-
ſeniſchen Staate noch nicht wieder hergeſtellet
geweſen; und aus ein Paar andern ſollte man
faſt ſchlieſſen, daß die Ermordung des Kreſphon-
tes und ſeiner zwey aͤltern Soͤhne, entweder ei-
nen Theil der Handlung ſelbſt ausgemacht habe,
oder doch nur kurz vorhergegangen ſey; welches
beides ſich mit der Erkennung des juͤngern Soh-
nes, der erſt verſchiedene Jahre nachher ſeinen
Vater und ſeine Bruͤder zu raͤchen kam, nicht
wohl zuſammen reimet. Die groͤßte Schwie-
rigkeit aber macht mir der Titel ſelbſt. Wenn
dieſe
(*) Dasjenige, welches Dacier anfuͤhret, (Poeti-
que d’Ariſtote, Chap. XV. Rem. 23.) ohne
ſich zu erinnern, wo er es geleſen, ſtehet bey
dem Plutarch in der Abhandlung, Wie man
ſeine Feinde nuͤtzen ſolle.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/323>, abgerufen am 25.11.2024.
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