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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Ein Türk und Despot muß, auch wenn er ver-
liebt ist, noch Türk und Despot seyn. Dem
Türken, der nur die sinnliche Liebe kennt, müs-
sen keine von den Raffinements beyfallen, die
eine verwöhnte Europäische Einbildungskraft
damit verbindet. "Ich bin dieser liebkosenden
"Maschinen satt; ihre weiche Gelehrigkeit hat
"nichts anzügliches, nichts schmeichelhaftes; ich
"will Schwierigkeiten zu überwinden haben,
"und wenn ich sie überwunden habe, durch neue
"Schwierigkeiten in Athem erhalten seyn:"
so
kann ein König von Frankreich denken, aber
kein Sultan. Es ist wahr, wenn man einem
Sultan diese Denkungsart einmal giebt, so
kömmt der Despot nicht mehr in Betrachtung;
er entäußert sich seines Despotismus selbst, um
einer freyern Liebe zu geniessen; aber wird er
deßwegen auf einmal der zahme Affe seyn, den
eine dreiste Gaucklerinn kann tanzen lassen, wie
sie will? Marmontel sagt: Solimann war ein
zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele-
genheiten seines Serraglio auf den Fuß wichtiger
Staatsgeschäfte hätte treiben sollen. Sehr
wohl; aber so hätte er auch am Ende wichtige
Staatsgeschäfte nicht auf den Fuß der kleinen
Angelegenheiten seines Serraglio treiben müs-
sen. Denn zu einem großen Manne gehört bei-
des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich-
tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.

Er

Ein Tuͤrk und Deſpot muß, auch wenn er ver-
liebt iſt, noch Tuͤrk und Deſpot ſeyn. Dem
Tuͤrken, der nur die ſinnliche Liebe kennt, muͤſ-
ſen keine von den Raffinements beyfallen, die
eine verwoͤhnte Europaͤiſche Einbildungskraft
damit verbindet. 〟Ich bin dieſer liebkoſenden
〟Maſchinen ſatt; ihre weiche Gelehrigkeit hat
〟nichts anzuͤgliches, nichts ſchmeichelhaftes; ich
〟will Schwierigkeiten zu uͤberwinden haben,
〟und wenn ich ſie uͤberwunden habe, durch neue
〟Schwierigkeiten in Athem erhalten ſeyn:〟
ſo
kann ein Koͤnig von Frankreich denken, aber
kein Sultan. Es iſt wahr, wenn man einem
Sultan dieſe Denkungsart einmal giebt, ſo
koͤmmt der Deſpot nicht mehr in Betrachtung;
er entaͤußert ſich ſeines Deſpotismus ſelbſt, um
einer freyern Liebe zu genieſſen; aber wird er
deßwegen auf einmal der zahme Affe ſeyn, den
eine dreiſte Gaucklerinn kann tanzen laſſen, wie
ſie will? Marmontel ſagt: Solimann war ein
zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele-
genheiten ſeines Serraglio auf den Fuß wichtiger
Staatsgeſchaͤfte haͤtte treiben ſollen. Sehr
wohl; aber ſo haͤtte er auch am Ende wichtige
Staatsgeſchaͤfte nicht auf den Fuß der kleinen
Angelegenheiten ſeines Serraglio treiben muͤſ-
ſen. Denn zu einem großen Manne gehoͤrt bei-
des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich-
tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.

Er
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[268/0282] Ein Tuͤrk und Deſpot muß, auch wenn er ver- liebt iſt, noch Tuͤrk und Deſpot ſeyn. Dem Tuͤrken, der nur die ſinnliche Liebe kennt, muͤſ- ſen keine von den Raffinements beyfallen, die eine verwoͤhnte Europaͤiſche Einbildungskraft damit verbindet. 〟Ich bin dieſer liebkoſenden 〟Maſchinen ſatt; ihre weiche Gelehrigkeit hat 〟nichts anzuͤgliches, nichts ſchmeichelhaftes; ich 〟will Schwierigkeiten zu uͤberwinden haben, 〟und wenn ich ſie uͤberwunden habe, durch neue 〟Schwierigkeiten in Athem erhalten ſeyn:〟 ſo kann ein Koͤnig von Frankreich denken, aber kein Sultan. Es iſt wahr, wenn man einem Sultan dieſe Denkungsart einmal giebt, ſo koͤmmt der Deſpot nicht mehr in Betrachtung; er entaͤußert ſich ſeines Deſpotismus ſelbſt, um einer freyern Liebe zu genieſſen; aber wird er deßwegen auf einmal der zahme Affe ſeyn, den eine dreiſte Gaucklerinn kann tanzen laſſen, wie ſie will? Marmontel ſagt: Solimann war ein zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele- genheiten ſeines Serraglio auf den Fuß wichtiger Staatsgeſchaͤfte haͤtte treiben ſollen. Sehr wohl; aber ſo haͤtte er auch am Ende wichtige Staatsgeſchaͤfte nicht auf den Fuß der kleinen Angelegenheiten ſeines Serraglio treiben muͤſ- ſen. Denn zu einem großen Manne gehoͤrt bei- des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich- tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln. Er

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/282>, abgerufen am 22.11.2024.