geliebte Frau Stephan um eine lumpige Adrienne so viel Umstände machen! Wir sind freylich sehr oft um ein Nichts krank; aber doch um ein so gar großes Nichts nicht. Eine neue Adrienne! Kann sie nicht hinschicken, und aus- nehmen lassen, und machen lassen. Der Mann wird ja wohl bezahlen; und er muß ja wohl.
Ganz gewiß! sagte eine andere. Aber ich habe noch etwas zu erinnern. Der Dichter schrieb zu den Zeiten unserer Mütter. Eine Adrienne! Welche Schneidersfrau trägt denn noch eine Adrienne? Es ist nicht erlaubt, daß die Aktrice hier dem guten Manne nicht ein wenig nachgeholfen! Konnte sie nicht Roberonde, Bene- dietine, Respectueuse, -- (ich habe die andern Na- men vergessen, ich würde sie auch nicht zu schreiben wissen,) -- dafür sagen! Mich in einer Adrienne zu denken; das allein könnte mich krank machen. Wenn es der neueste Stoff ist, wornach Madame Stephan lechzet, so muß es auch die neueste Tracht seyn. Wie können wir es sonst wahrscheinlich finden, daß sie darüber krank geworden?
Und ich, sagte eine dritte, (es war die gelehr- teste,) finde es sehr unanständig, daß die Stephan ein Kleid anzieht, das nicht auf ihren Leib ge- macht worden. Aber man sieht wohl, was den Verfasser zu dieser -- wie soll ich es nennen? -- Verkennung unserer Delicatesse gezwungen hat. Die Einheit der Zeit! Das Kleid mußte fertig
seyn;
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geliebte Frau Stephan um eine lumpige Adrienne ſo viel Umſtaͤnde machen! Wir ſind freylich ſehr oft um ein Nichts krank; aber doch um ein ſo gar großes Nichts nicht. Eine neue Adrienne! Kann ſie nicht hinſchicken, und aus- nehmen laſſen, und machen laſſen. Der Mann wird ja wohl bezahlen; und er muß ja wohl.
Ganz gewiß! ſagte eine andere. Aber ich habe noch etwas zu erinnern. Der Dichter ſchrieb zu den Zeiten unſerer Muͤtter. Eine Adrienne! Welche Schneidersfrau traͤgt denn noch eine Adrienne? Es iſt nicht erlaubt, daß die Aktrice hier dem guten Manne nicht ein wenig nachgeholfen! Konnte ſie nicht Roberonde, Bene- dietine, Reſpectueuſe, — (ich habe die andern Na- men vergeſſen, ich wuͤrde ſie auch nicht zu ſchreiben wiſſen,) — dafuͤr ſagen! Mich in einer Adrienne zu denken; das allein koͤnnte mich krank machen. Wenn es der neueſte Stoff iſt, wornach Madame Stephan lechzet, ſo muß es auch die neueſte Tracht ſeyn. Wie koͤnnen wir es ſonſt wahrſcheinlich finden, daß ſie daruͤber krank geworden?
Und ich, ſagte eine dritte, (es war die gelehr- teſte,) finde es ſehr unanſtaͤndig, daß die Stephan ein Kleid anzieht, das nicht auf ihren Leib ge- macht worden. Aber man ſieht wohl, was den Verfaſſer zu dieſer — wie ſoll ich es nennen? — Verkennung unſerer Delicateſſe gezwungen hat. Die Einheit der Zeit! Das Kleid mußte fertig
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geliebte Frau Stephan um eine lumpige
Adrienne ſo viel Umſtaͤnde machen! Wir ſind
freylich ſehr oft um ein Nichts krank; aber doch
um ein ſo gar großes Nichts nicht. Eine neue
Adrienne! Kann ſie nicht hinſchicken, und aus-
nehmen laſſen, und machen laſſen. Der Mann
wird ja wohl bezahlen; und er muß ja wohl.
Ganz gewiß! ſagte eine andere. Aber ich
habe noch etwas zu erinnern. Der Dichter
ſchrieb zu den Zeiten unſerer Muͤtter. Eine
Adrienne! Welche Schneidersfrau traͤgt denn
noch eine Adrienne? Es iſt nicht erlaubt, daß
die Aktrice hier dem guten Manne nicht ein wenig
nachgeholfen! Konnte ſie nicht Roberonde, Bene-
dietine, Reſpectueuſe, — (ich habe die andern Na-
men vergeſſen, ich wuͤrde ſie auch nicht zu ſchreiben
wiſſen,) — dafuͤr ſagen! Mich in einer Adrienne
zu denken; das allein koͤnnte mich krank machen.
Wenn es der neueſte Stoff iſt, wornach Madame
Stephan lechzet, ſo muß es auch die neueſte Tracht
ſeyn. Wie koͤnnen wir es ſonſt wahrſcheinlich
finden, daß ſie daruͤber krank geworden?
Und ich, ſagte eine dritte, (es war die gelehr-
teſte,) finde es ſehr unanſtaͤndig, daß die Stephan
ein Kleid anzieht, das nicht auf ihren Leib ge-
macht worden. Aber man ſieht wohl, was den
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/185>, abgerufen am 25.11.2024.
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