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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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liänern und Frantzosen zu rühmen gepfleget: Wir Teutschen hätten
einen sonderbahren Probierstein der Gedancken, der andern unbekandt;
und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe
ich ihnen bedeutet, dass es unsere Sprache selbst sey, denn was sich
darinn ohne entlehnte und ungebrauchliche Worte vernehmlich sagen
lasse, das seye würcklich was Rechtschaffenes; aber leere Worte, da
nichts hinter, und gleichsam nur ein leichter Schaum müssiger Ge-
dancken, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an.

12. Alleine, es ist gleichwohl an dem, dass in der Denck-Kunst
und in der Wesen-Lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so sich
durch alle andere Wissenschafften und Lehren ergiesset, als wenn man
daselbst handelt von Begrentzung, Eintheilung, Schluss-Form, Ord-
nung, Grund-Regeln, und ihnen entgegen gesetzten falschen Streichen;
von der Dinge Gleichheit und Unterscheid, Vollkommenheit und Mangel,
Ursach und Würckung, Zeit, Orth, und Umständen, und sonderlich
von der grossen Munster-Rolle aller Dinge unter gewissen Haupt-Stücken,
so man Prädicamenten nennet. Unter welchen allen viel
Gutes ist, damit die Teutsche Sprache allmählig anzureichern.

13. Sonderlich aber stecket die gröste natürliche Weissheit in der
Erkäntniss Gottes, der Seelen und Geister aus dem Licht der Natur,
so nicht allein sich hernach in die offenbahrte Gottes-Gelehrtheit mit
einverleibet, sondern auch einen unbeweglichen Grund leget, darauff
die Rechts-Lehre so wohl vom Rechte der Natur als der Völcker ins-
gemein und insonderheit auch die Regierungs-Kunst samt den Ge-
setzen aller Lande zu bauen. Ich finde aber hierinn die Teutsche
Sprache noch etwas mangelhafft und zu verbessern.

14. Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu diesem Zweck in denen
geistreichen Schrifften einiger tieffsinnigen Gottes-Gelehrten anzutreffen;
ja selbst diejenigen, die sich etwas zu denen Träumen der Schwermer
geneiget, brauchen gewisse schöne Worte und Reden, die man als
güldene Gefässe der Egypter ihnen abnehmen, von der Beschmitzung
reinigen und zu dem rechten Gebrauch wiedmen könte. Welcher-
gestalt wir den Griechen und Lateinern hierinn selbst würden Trotz
bieten können.

15. Am allermeisten aber ist unser Mangel, wie gedacht, bey denen
Worten zu spühren, die sich auff das Sitten-wesen, Leidenschafften
des Gemüths, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen, und aller-

liänern und Frantzosen zu rühmen gepfleget: Wir Teutschen hätten
einen sonderbahren Probierstein der Gedancken, der andern unbekandt;
und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe
ich ihnen bedeutet, dass es unsere Sprache selbst sey, denn was sich
darinn ohne entlehnte und ungebrauchliche Worte vernehmlich sagen
lasse, das seye würcklich was Rechtschaffenes; aber leere Worte, da
nichts hinter, und gleichsam nur ein leichter Schaum müssiger Ge-
dancken, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an.

12. Alleine, es ist gleichwohl an dem, dass in der Denck-Kunst
und in der Wesen-Lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so sich
durch alle andere Wissenschafften und Lehren ergiesset, als wenn man
daselbst handelt von Begrentzung, Eintheilung, Schluss-Form, Ord-
nung, Grund-Regeln, und ihnen entgegen gesetzten falschen Streichen;
von der Dinge Gleichheit und Unterscheid, Vollkommenheit und Mangel,
Ursach und Würckung, Zeit, Orth, und Umständen, und sonderlich
von der grossen Munster-Rolle aller Dinge unter gewissen Haupt-Stücken,
so man Prädicamenten nennet. Unter welchen allen viel
Gutes ist, damit die Teutsche Sprache allmählig anzureichern.

13. Sonderlich aber stecket die gröste natürliche Weissheit in der
Erkäntniss Gottes, der Seelen und Geister aus dem Licht der Natur,
so nicht allein sich hernach in die offenbahrte Gottes-Gelehrtheit mit
einverleibet, sondern auch einen unbeweglichen Grund leget, darauff
die Rechts-Lehre so wohl vom Rechte der Natur als der Völcker ins-
gemein und insonderheit auch die Regierungs-Kunst samt den Ge-
setzen aller Lande zu bauen. Ich finde aber hierinn die Teutsche
Sprache noch etwas mangelhafft und zu verbessern.

14. Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu diesem Zweck in denen
geistreichen Schrifften einiger tieffsinnigen Gottes-Gelehrten anzutreffen;
ja selbst diejenigen, die sich etwas zu denen Träumen der Schwermer
geneiget, brauchen gewisse schöne Worte und Reden, die man als
güldene Gefässe der Egypter ihnen abnehmen, von der Beschmitzung
reinigen und zu dem rechten Gebrauch wiedmen könte. Welcher-
gestalt wir den Griechen und Lateinern hierinn selbst würden Trotz
bieten können.

15. Am allermeisten aber ist unser Mangel, wie gedacht, bey denen
Worten zu spühren, die sich auff das Sitten-wesen, Leidenschafften
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[331/0005] liänern und Frantzosen zu rühmen gepfleget: Wir Teutschen hätten einen sonderbahren Probierstein der Gedancken, der andern unbekandt; und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, dass es unsere Sprache selbst sey, denn was sich darinn ohne entlehnte und ungebrauchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das seye würcklich was Rechtschaffenes; aber leere Worte, da nichts hinter, und gleichsam nur ein leichter Schaum müssiger Ge- dancken, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an. 12. Alleine, es ist gleichwohl an dem, dass in der Denck-Kunst und in der Wesen-Lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so sich durch alle andere Wissenschafften und Lehren ergiesset, als wenn man daselbst handelt von Begrentzung, Eintheilung, Schluss-Form, Ord- nung, Grund-Regeln, und ihnen entgegen gesetzten falschen Streichen; von der Dinge Gleichheit und Unterscheid, Vollkommenheit und Mangel, Ursach und Würckung, Zeit, Orth, und Umständen, und sonderlich von der grossen Munster-Rolle aller Dinge unter gewissen Haupt-Stücken, so man Prädicamenten nennet. Unter welchen allen viel Gutes ist, damit die Teutsche Sprache allmählig anzureichern. 13. Sonderlich aber stecket die gröste natürliche Weissheit in der Erkäntniss Gottes, der Seelen und Geister aus dem Licht der Natur, so nicht allein sich hernach in die offenbahrte Gottes-Gelehrtheit mit einverleibet, sondern auch einen unbeweglichen Grund leget, darauff die Rechts-Lehre so wohl vom Rechte der Natur als der Völcker ins- gemein und insonderheit auch die Regierungs-Kunst samt den Ge- setzen aller Lande zu bauen. Ich finde aber hierinn die Teutsche Sprache noch etwas mangelhafft und zu verbessern. 14. Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu diesem Zweck in denen geistreichen Schrifften einiger tieffsinnigen Gottes-Gelehrten anzutreffen; ja selbst diejenigen, die sich etwas zu denen Träumen der Schwermer geneiget, brauchen gewisse schöne Worte und Reden, die man als güldene Gefässe der Egypter ihnen abnehmen, von der Beschmitzung reinigen und zu dem rechten Gebrauch wiedmen könte. Welcher- gestalt wir den Griechen und Lateinern hierinn selbst würden Trotz bieten können. 15. Am allermeisten aber ist unser Mangel, wie gedacht, bey denen Worten zu spühren, die sich auff das Sitten-wesen, Leidenschafften des Gemüths, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen, und aller-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/5>, abgerufen am 27.04.2024.