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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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Künste und Wissenschafften, sondern zur Zierde heraus kommen, ein
mehrer Ernst zu brauchen und wenige fremde Worte einzulassen seyn.

95. Dann gleichwie in einem sonst schönen Teutschen Gedichte,
ein Frantzösisches Wort gemeiniglich ein Schandfleck seyn würde, also
solte ich gäntzlich dafür halten, dass in den Schreib-Arten, so der
Poesie am nächsten, als Romanen, Lobschrifften und öffentlichen Reden,
auch gewisser Art Historien, und auch bey Ubersetzungen aller solcher
Wercke aus fremden Sprachen, und summa, wo man nicht weniger
auff Annehmlichkeit als Nothdurfft und Nutzbarkeit siehet, man sich
der ausländischen Worte, so viel immer möglich, enthalten solle.

96. Damit aber solches besser zu Werck zu richten, müste man
gewisse, noch gleichsam zwischen Teutsch und Fremd hin und her
fladdernde Worte einmal vor alle mal Teutsch erklären, und künfftig
nicht mehr zum Unterscheid mit andern Buchstaben, sondern eben
wie die Teutschen schreiben, also damit den Gewissens-Scrupel der
wolgemeynten ehrlichen Teutschen und Eiferer vor das Vaterland,
und noch überbliebenen Herren Fruchtbringenden, verhoffentlich mit
ihrem guten Willen, gäntzlich aufheben.

97. Es hat ja der treffliche Opitz so bey uns, wie Virgilius bey
den Römern, der erste und letzte seines Schrots und Korns gewesen,
kein Bedencken gehabt, dergleichen zu thun, als zum Exempel, wann
er zum Heinsio saget:
Dass deine Poesie der meinen Mutter sey. Damit hat er, meines Erachtens, diss Wort Poesie aus habender seiner
Macht einmal vor alle mal vor Teutsch erkläret, so gut und unwiederrufflich,
als ob ein Act of parliament über eine Englische Naturalisirung ergangen.

98. Und sehe ich nicht, warum man den auswärtigen Potentzen
so wohl als Potentaten, der Galanterie wohl als schönster Gala
und hundert andern, nicht ebenmässig dergleichen Recht der Teutschen
Bürgerschafft wiederfahren lassen könne, mit etwas besserer Art, als
etliche neuliche Gelehrte Souverainitatem zum Lateinischen Wort machen
wollen, um den Suprematum zu meiden, den ein ander gebrauchet.

99. Es haben unsere Vorfahren kein Bedencken gehabt, solch Bürger-
recht zu geben. Wer siehet nicht, dass Fenster vom Lateinischen Fenestra?
und wer Frantzösisch verstehet, kan nicht zweiffeln, dass ebentheuer, so
bey uns schon sehr alt, von Avanture herkomme, dergleichen Exempel
sehr viel anzutreffen, so dieses Vorhaben rechtfertigen können.

100. Was ich von Auffhebung des Unterscheids der Schrifft ge-
dacht,

Künste und Wissenschafften, sondern zur Zierde heraus kommen, ein
mehrer Ernst zu brauchen und wenige fremde Worte einzulassen seyn.

95. Dann gleichwie in einem sonst schönen Teutschen Gedichte,
ein Frantzösisches Wort gemeiniglich ein Schandfleck seyn würde, also
solte ich gäntzlich dafür halten, dass in den Schreib-Arten, so der
Poësie am nächsten, als Romanen, Lobschrifften und öffentlichen Reden,
auch gewisser Art Historien, und auch bey Ubersetzungen aller solcher
Wercke aus fremden Sprachen, und summa, wo man nicht weniger
auff Annehmlichkeit als Nothdurfft und Nutzbarkeit siehet, man sich
der ausländischen Worte, so viel immer möglich, enthalten solle.

96. Damit aber solches besser zu Werck zu richten, müste man
gewisse, noch gleichsam zwischen Teutsch und Fremd hin und her
fladdernde Worte einmal vor alle mal Teutsch erklären, und künfftig
nicht mehr zum Unterscheid mit andern Buchstaben, sondern eben
wie die Teutschen schreiben, also damit den Gewissens-Scrupel der
wolgemeynten ehrlichen Teutschen und Eiferer vor das Vaterland,
und noch überbliebenen Herren Fruchtbringenden, verhoffentlich mit
ihrem guten Willen, gäntzlich aufheben.

97. Es hat ja der treffliche Opitz so bey uns, wie Virgilius bey
den Römern, der erste und letzte seines Schrots und Korns gewesen,
kein Bedencken gehabt, dergleichen zu thun, als zum Exempel, wann
er zum Heinsio saget:
Dass deine Poësie der meinen Mutter sey. Damit hat er, meines Erachtens, diss Wort Poesie aus habender seiner
Macht einmal vor alle mal vor Teutsch erkläret, so gut und unwiederrufflich,
als ob ein Act of parliament über eine Englische Naturalisirung ergangen.

98. Und sehe ich nicht, warum man den auswärtigen Potentzen
so wohl als Potentaten, der Galanterie wohl als schönster Gala
und hundert andern, nicht ebenmässig dergleichen Recht der Teutschen
Bürgerschafft wiederfahren lassen könne, mit etwas besserer Art, als
etliche neuliche Gelehrte Souverainitatem zum Lateinischen Wort machen
wollen, um den Suprematum zu meiden, den ein ander gebrauchet.

99. Es haben unsere Vorfahren kein Bedencken gehabt, solch Bürger-
recht zu geben. Wer siehet nicht, dass Fenster vom Lateinischen Fenestra?
und wer Frantzösisch verstehet, kan nicht zweiffeln, dass ebentheuer, so
bey uns schon sehr alt, von Avanture herkomme, dergleichen Exempel
sehr viel anzutreffen, so dieses Vorhaben rechtfertigen können.

100. Was ich von Auffhebung des Unterscheids der Schrifft ge-
dacht,

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[352/0026] Künste und Wissenschafften, sondern zur Zierde heraus kommen, ein mehrer Ernst zu brauchen und wenige fremde Worte einzulassen seyn. 95. Dann gleichwie in einem sonst schönen Teutschen Gedichte, ein Frantzösisches Wort gemeiniglich ein Schandfleck seyn würde, also solte ich gäntzlich dafür halten, dass in den Schreib-Arten, so der Poësie am nächsten, als Romanen, Lobschrifften und öffentlichen Reden, auch gewisser Art Historien, und auch bey Ubersetzungen aller solcher Wercke aus fremden Sprachen, und summa, wo man nicht weniger auff Annehmlichkeit als Nothdurfft und Nutzbarkeit siehet, man sich der ausländischen Worte, so viel immer möglich, enthalten solle. 96. Damit aber solches besser zu Werck zu richten, müste man gewisse, noch gleichsam zwischen Teutsch und Fremd hin und her fladdernde Worte einmal vor alle mal Teutsch erklären, und künfftig nicht mehr zum Unterscheid mit andern Buchstaben, sondern eben wie die Teutschen schreiben, also damit den Gewissens-Scrupel der wolgemeynten ehrlichen Teutschen und Eiferer vor das Vaterland, und noch überbliebenen Herren Fruchtbringenden, verhoffentlich mit ihrem guten Willen, gäntzlich aufheben. 97. Es hat ja der treffliche Opitz so bey uns, wie Virgilius bey den Römern, der erste und letzte seines Schrots und Korns gewesen, kein Bedencken gehabt, dergleichen zu thun, als zum Exempel, wann er zum Heinsio saget: Dass deine Poësie der meinen Mutter sey. Damit hat er, meines Erachtens, diss Wort Poesie aus habender seiner Macht einmal vor alle mal vor Teutsch erkläret, so gut und unwiederrufflich, als ob ein Act of parliament über eine Englische Naturalisirung ergangen. 98. Und sehe ich nicht, warum man den auswärtigen Potentzen so wohl als Potentaten, der Galanterie wohl als schönster Gala und hundert andern, nicht ebenmässig dergleichen Recht der Teutschen Bürgerschafft wiederfahren lassen könne, mit etwas besserer Art, als etliche neuliche Gelehrte Souverainitatem zum Lateinischen Wort machen wollen, um den Suprematum zu meiden, den ein ander gebrauchet. 99. Es haben unsere Vorfahren kein Bedencken gehabt, solch Bürger- recht zu geben. Wer siehet nicht, dass Fenster vom Lateinischen Fenestra? und wer Frantzösisch verstehet, kan nicht zweiffeln, dass ebentheuer, so bey uns schon sehr alt, von Avanture herkomme, dergleichen Exempel sehr viel anzutreffen, so dieses Vorhaben rechtfertigen können. 100. Was ich von Auffhebung des Unterscheids der Schrifft ge- dacht,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/26>, abgerufen am 23.11.2024.