Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Bild:
<< vorherige Seite

74. Erdenckung neuer Worte oder eines neuen Gebrauchs alter Worte,
wäre das letzte Mittel zu Bereicherung der Sprache. Es bestehen nun die
neuen Worte gemeiniglich in einer Gleichheit mit den alten, welche man
Analogie, das ist Ebenmass nennet, und so wol in der Zusammensetzung
als Abführung (Compositione & Derivatione) in Obacht zu nehmen hat.

75. Jemehr nun die Gleichheit beobachtet wird, und je weniger man sich
von dem so bereits in Ubung, entfernet; je mehr auch der Wolklang, und
eine gewisse Leichtigkeit der Aussprache dabey statt findet, jemehr ist das
Schmieden neuer Wörter nicht nur zu entschuldigen, sondern auch zu loben.

76. Weil aber viel gute und wolgemachte Worte auf die Erde
fallen und verlohren gehen, indem sie niemand bemercket oder bey-
behält, also dass es bissher auf das blinde Glück dissfalls ankommen,
so würde man auch darinn Nutzen schaffen, wenn durch grund-
gelehrter Kenner Urtheil, Ansehen und Beyspiel dergleichen wol er-
wogen, nach Gutbefinden erhalten und in Ubung bracht würde.

77. Ehe ich den Punct des Reichthums der Sprache beschliesse,
so will erwehnen, dass die Worte oder die Benennung aller Dinge
und Verrichtungen auf zweyerley Weise in ein Register zu bringen:
nach dem Alphabet und nach der Natur. Die erste Weise ist der
Lexicorum oder Deutungs-Bücher, und am meisten gebräuchlich. Die
andere Weise ist der Nomenclatoren oder Nahm-Bücher, und geht
nach den Sorten der Dinge. Ist von Stephano Doleto, Hadriano
Junio, Nicodemo Frischlino, Johanne Jonstono, und andern nicht
übel getrieben worden: Und zeiget sonderlich der Sprache Reich-
thum und Armuth, oder die sogenannte Copiam Verborum; daher
auch ein Italiäner (Alunno) sein dergestalt eingerichtetes Buch, Ric-
chezza della Lingua volgare
benennet.. Die Deutungs-Bücher dienen
eigentlich, wenn man wissen will, was ein vorgegebenes Wort bedeute;
und die Nahm-Bücher, wie eine vorgegebene Sache zu nennen. Jene
gehen von dem Worte zur Sache, diese von der Sache zum Wort.

78. Und solte ich dafür halten, es würde zwar das Glossarium
Etymologicum, oder der Sprach-Qvell nach den Buchstaben zu ordnen

74. Erdenckung neuer Worte oder eines neuen Gebrauchs alter Worte,
wäre das letzte Mittel zu Bereicherung der Sprache. Es bestehen nun die
neuen Worte gemeiniglich in einer Gleichheit mit den alten, welche man
Analogie, das ist Ebenmass nennet, und so wol in der Zusammensetzung
als Abführung (Compositione & Derivatione) in Obacht zu nehmen hat.

75. Jemehr nun die Gleichheit beobachtet wird, und je weniger man sich
von dem so bereits in Ubung, entfernet; je mehr auch der Wolklang, und
eine gewisse Leichtigkeit der Aussprache dabey statt findet, jemehr ist das
Schmieden neuer Wörter nicht nur zu entschuldigen, sondern auch zu loben.

76. Weil aber viel gute und wolgemachte Worte auf die Erde
fallen und verlohren gehen, indem sie niemand bemercket oder bey-
behält, also dass es bissher auf das blinde Glück dissfalls ankommen,
so würde man auch darinn Nutzen schaffen, wenn durch grund-
gelehrter Kenner Urtheil, Ansehen und Beyspiel dergleichen wol er-
wogen, nach Gutbefinden erhalten und in Ubung bracht würde.

77. Ehe ich den Punct des Reichthums der Sprache beschliesse,
so will erwehnen, dass die Worte oder die Benennung aller Dinge
und Verrichtungen auf zweyerley Weise in ein Register zu bringen:
nach dem Alphabet und nach der Natur. Die erste Weise ist der
Lexicorum oder Deutungs-Bücher, und am meisten gebräuchlich. Die
andere Weise ist der Nomenclatoren oder Nahm-Bücher, und geht
nach den Sorten der Dinge. Ist von Stephano Doleto, Hadriano
Junio, Nicodemo Frischlino, Johanne Jonstono, und andern nicht
übel getrieben worden: Und zeiget sonderlich der Sprache Reich-
thum und Armuth, oder die sogenannte Copiam Verborum; daher
auch ein Italiäner (Alunno) sein dergestalt eingerichtetes Buch, Ric-
chezza della Lingua volgare
benennet.. Die Deutungs-Bücher dienen
eigentlich, wenn man wissen will, was ein vorgegebenes Wort bedeute;
und die Nahm-Bücher, wie eine vorgegebene Sache zu nennen. Jene
gehen von dem Worte zur Sache, diese von der Sache zum Wort.

78. Und solte ich dafür halten, es würde zwar das Glossarium
Etymologicum, oder der Sprach-Qvell nach den Buchstaben zu ordnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#0022" n="348"/>
        <p>74. Erdenckung neuer Worte oder eines neuen Gebrauchs alter Worte,<lb/>
wäre das
                     letzte Mittel zu Bereicherung der Sprache. Es bestehen nun die<lb/>
neuen Worte
                     gemeiniglich in einer Gleichheit mit den alten, welche man<lb/>
Analogie, das ist
                     Ebenmass nennet, und so wol in der Zusammensetzung<lb/>
als Abführung (<hi rendition="#aq">Compositione &amp; Derivatione</hi>) in Obacht zu nehmen
                     hat.</p><lb/>
        <p>75. Jemehr nun die Gleichheit beobachtet wird, und je weniger man sich<lb/>
von
                     dem so bereits in Ubung, entfernet; je mehr auch der Wolklang, und<lb/>
eine
                     gewisse Leichtigkeit der Aussprache dabey statt findet, jemehr ist
                     das<lb/>
Schmieden neuer Wörter nicht nur zu entschuldigen, sondern auch zu
                     loben.</p><lb/>
        <p>76. Weil aber viel gute und wolgemachte Worte auf die Erde<lb/>
fallen und
                     verlohren gehen, indem sie niemand bemercket oder bey-<lb/>
behält, also dass es
                     bissher auf das blinde Glück dissfalls ankommen,<lb/>
so würde man auch darinn
                     Nutzen schaffen, wenn durch grund-<lb/>
gelehrter Kenner Urtheil, Ansehen und
                     Beyspiel dergleichen wol er-<lb/>
wogen, nach Gutbefinden erhalten und in Ubung
                     bracht würde.</p><lb/>
        <p>77. Ehe ich den Punct des Reichthums der Sprache beschliesse,<lb/>
so will
                     erwehnen, dass die Worte oder die Benennung aller Dinge<lb/>
und Verrichtungen
                     auf zweyerley Weise in ein Register zu bringen:<lb/>
nach dem Alphabet und nach
                     der Natur. Die erste Weise ist der<lb/><foreign xml:lang="lat">Lexicorum</foreign> oder Deutungs-Bücher, und am meisten gebräuchlich.
                     Die<lb/>
andere Weise ist der <hi rendition="#aq">Nomenclatoren</hi> oder
                     Nahm-Bücher, und geht<lb/>
nach den Sorten der Dinge. Ist von Stephano Doleto,
                     Hadriano<lb/>
Junio, Nicodemo Frischlino, Johanne Jonstono, und andern nicht<lb/>
übel getrieben worden: Und zeiget sonderlich der Sprache Reich-<lb/>
thum
                     und Armuth, oder die sogenannte <foreign xml:lang="lat">Copiam
                         Verborum;</foreign> daher<lb/>
auch ein Italiäner (<hi rendition="#aq">Alunno</hi>) sein dergestalt eingerichtetes Buch, <hi rendition="#aq">Ric-<lb/>
chezza della Lingua volgare</hi> benennet.. Die Deutungs-Bücher
                     dienen<lb/>
eigentlich, wenn man wissen will, <hi rendition="#g">was</hi> ein
                     vorgegebenes Wort <hi rendition="#g">bedeute;</hi><lb/>
und die Nahm-Bücher, wie
                     eine vorgegebene Sache zu <hi rendition="#g">nennen.</hi> Jene<lb/>
gehen von dem
                     Worte zur Sache, diese von der Sache zum Wort.</p><lb/>
        <p>78. Und solte ich dafür halten, es würde zwar das <foreign xml:lang="lat">Glossarium<lb/>
Etymologicum,</foreign> oder der Sprach-Qvell nach den
                     Buchstaben zu ordnen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0022] 74. Erdenckung neuer Worte oder eines neuen Gebrauchs alter Worte, wäre das letzte Mittel zu Bereicherung der Sprache. Es bestehen nun die neuen Worte gemeiniglich in einer Gleichheit mit den alten, welche man Analogie, das ist Ebenmass nennet, und so wol in der Zusammensetzung als Abführung (Compositione & Derivatione) in Obacht zu nehmen hat. 75. Jemehr nun die Gleichheit beobachtet wird, und je weniger man sich von dem so bereits in Ubung, entfernet; je mehr auch der Wolklang, und eine gewisse Leichtigkeit der Aussprache dabey statt findet, jemehr ist das Schmieden neuer Wörter nicht nur zu entschuldigen, sondern auch zu loben. 76. Weil aber viel gute und wolgemachte Worte auf die Erde fallen und verlohren gehen, indem sie niemand bemercket oder bey- behält, also dass es bissher auf das blinde Glück dissfalls ankommen, so würde man auch darinn Nutzen schaffen, wenn durch grund- gelehrter Kenner Urtheil, Ansehen und Beyspiel dergleichen wol er- wogen, nach Gutbefinden erhalten und in Ubung bracht würde. 77. Ehe ich den Punct des Reichthums der Sprache beschliesse, so will erwehnen, dass die Worte oder die Benennung aller Dinge und Verrichtungen auf zweyerley Weise in ein Register zu bringen: nach dem Alphabet und nach der Natur. Die erste Weise ist der Lexicorum oder Deutungs-Bücher, und am meisten gebräuchlich. Die andere Weise ist der Nomenclatoren oder Nahm-Bücher, und geht nach den Sorten der Dinge. Ist von Stephano Doleto, Hadriano Junio, Nicodemo Frischlino, Johanne Jonstono, und andern nicht übel getrieben worden: Und zeiget sonderlich der Sprache Reich- thum und Armuth, oder die sogenannte Copiam Verborum; daher auch ein Italiäner (Alunno) sein dergestalt eingerichtetes Buch, Ric- chezza della Lingua volgare benennet.. Die Deutungs-Bücher dienen eigentlich, wenn man wissen will, was ein vorgegebenes Wort bedeute; und die Nahm-Bücher, wie eine vorgegebene Sache zu nennen. Jene gehen von dem Worte zur Sache, diese von der Sache zum Wort. 78. Und solte ich dafür halten, es würde zwar das Glossarium Etymologicum, oder der Sprach-Qvell nach den Buchstaben zu ordnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/22
Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/22>, abgerufen am 29.03.2024.