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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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New-York.

Ambulanten Städten gleich, verschieben sich die schwimmenden
Gebäude vor den dahinterliegenden Häusermassen, welche in erhabener
Ruhe den Hintergrund bilden.

Wie ein herrlicher Rahmen spannt sich über dieses Bild in
schwindelnder Höhe, und nur über zwei mächtige Thürme geführt,
jenes Wunderwerk, die East-River-Schwebebrücke (Suspension- oder
kurzweg Brooklyn-Bridge genannt), welche die Schwesterstädte New-
York und Brooklyn seit wenigen Jahren vereint. Mit vollem Rechte
verdient das geniale Werk als ein Triumph der Ingenieurkunst be-
zeichnet zu werden. Unter ihrem Scheitel passiren die stolzest ge-
takelten Seeschiffe, da die höchsten Mastspitzen kaum an sie heran-
reichen, und über ihren Rücken schreiten jährlich 40 Millionen Men-
schen, per Bahn, Achse oder zu Fuss. Ein herrliches Panorama ge-
niesst man von ihrer Mitte aus. Weithin überblickt man New-Jersey,
den Hudson bis zu den fernen, ihn begrenzenden Bergen, man sieht
die endlos scheinenden Städte, das malerische Long-Island und Staten-
Island, und durch die Narrows eröffnet sich auch ein Ausblick auf den
weiten Ocean.

Die Verhältnisse und Bedürfnisse des Seeverkehres haben in
New-York nicht nur zu den besten Verkehrseinrichtungen geführt, son-
dern es wurde auch ein ebenso tüchtiges wie verlässliches Personal
grossgezogen, welchem sich die Bevölkerung mit Beruhigung anvertraut.
Die Hafenämter erfüllen ehrenvoll den Zweck und ihr ausübendes Per-
sonal die schweren Pflichten, welche ihnen die Regelung des Seever-
kehres auferlegt. Der Lootsen- und Hafendienst ist vorzüglich organi-
sirt, die Quais, Docks und sonstigen Hafenanlagen sind, wenn auch
nicht schön, doch zweckentsprechend ausgestattet und ausreichend.
Stabile Steinbauten sind indes selten; Anlegedämme (Piers) aus Pfählen
oder combinirte Bauten aus Stein und Holz, welche den Eisverhält-
nissen im Winter und der Gezeitenströmung besser entsprechen, sind
bevorzugt. Ebbe und Flut treiben nämlich auch hier ihr unausge-
setztes Spiel, und selbst des Hudsons Macht unterliegt an seiner Mün-
dung den Gesetzen des Oceans.

Für die sanitären und klimatischen Verhältnisse New-Yorks ist
die Nähe des Oceans von hoher Bedeutung. Obwohl es in der Breite
von 41° N. bei Länge 74° West von Greenwich, also in der Höhe
Neapels gelegen ist, und obwohl die Jahresmitteltemperatur + 12°C.
erreicht, sind die Temperaturunterschiede New-Yorks doch excessive.
Die erlahmende drückende Hitze der Hochsommertage wird durch die
wohlthuenden, aus dem Ocean einströmenden Brisen gemässigt, und

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New-York.

Ambulanten Städten gleich, verschieben sich die schwimmenden
Gebäude vor den dahinterliegenden Häusermassen, welche in erhabener
Ruhe den Hintergrund bilden.

Wie ein herrlicher Rahmen spannt sich über dieses Bild in
schwindelnder Höhe, und nur über zwei mächtige Thürme geführt,
jenes Wunderwerk, die East-River-Schwebebrücke (Suspension- oder
kurzweg Brooklyn-Bridge genannt), welche die Schwesterstädte New-
York und Brooklyn seit wenigen Jahren vereint. Mit vollem Rechte
verdient das geniale Werk als ein Triumph der Ingenieurkunst be-
zeichnet zu werden. Unter ihrem Scheitel passiren die stolzest ge-
takelten Seeschiffe, da die höchsten Mastspitzen kaum an sie heran-
reichen, und über ihren Rücken schreiten jährlich 40 Millionen Men-
schen, per Bahn, Achse oder zu Fuss. Ein herrliches Panorama ge-
niesst man von ihrer Mitte aus. Weithin überblickt man New-Jersey,
den Hudson bis zu den fernen, ihn begrenzenden Bergen, man sieht
die endlos scheinenden Städte, das malerische Long-Island und Staten-
Island, und durch die Narrows eröffnet sich auch ein Ausblick auf den
weiten Ocean.

Die Verhältnisse und Bedürfnisse des Seeverkehres haben in
New-York nicht nur zu den besten Verkehrseinrichtungen geführt, son-
dern es wurde auch ein ebenso tüchtiges wie verlässliches Personal
grossgezogen, welchem sich die Bevölkerung mit Beruhigung anvertraut.
Die Hafenämter erfüllen ehrenvoll den Zweck und ihr ausübendes Per-
sonal die schweren Pflichten, welche ihnen die Regelung des Seever-
kehres auferlegt. Der Lootsen- und Hafendienst ist vorzüglich organi-
sirt, die Quais, Docks und sonstigen Hafenanlagen sind, wenn auch
nicht schön, doch zweckentsprechend ausgestattet und ausreichend.
Stabile Steinbauten sind indes selten; Anlegedämme (Piers) aus Pfählen
oder combinirte Bauten aus Stein und Holz, welche den Eisverhält-
nissen im Winter und der Gezeitenströmung besser entsprechen, sind
bevorzugt. Ebbe und Flut treiben nämlich auch hier ihr unausge-
setztes Spiel, und selbst des Hudsons Macht unterliegt an seiner Mün-
dung den Gesetzen des Oceans.

Für die sanitären und klimatischen Verhältnisse New-Yorks ist
die Nähe des Oceans von hoher Bedeutung. Obwohl es in der Breite
von 41° N. bei Länge 74° West von Greenwich, also in der Höhe
Neapels gelegen ist, und obwohl die Jahresmitteltemperatur + 12°C.
erreicht, sind die Temperaturunterschiede New-Yorks doch excessive.
Die erlahmende drückende Hitze der Hochsommertage wird durch die
wohlthuenden, aus dem Ocean einströmenden Brisen gemässigt, und

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[51/0067] New-York. Ambulanten Städten gleich, verschieben sich die schwimmenden Gebäude vor den dahinterliegenden Häusermassen, welche in erhabener Ruhe den Hintergrund bilden. Wie ein herrlicher Rahmen spannt sich über dieses Bild in schwindelnder Höhe, und nur über zwei mächtige Thürme geführt, jenes Wunderwerk, die East-River-Schwebebrücke (Suspension- oder kurzweg Brooklyn-Bridge genannt), welche die Schwesterstädte New- York und Brooklyn seit wenigen Jahren vereint. Mit vollem Rechte verdient das geniale Werk als ein Triumph der Ingenieurkunst be- zeichnet zu werden. Unter ihrem Scheitel passiren die stolzest ge- takelten Seeschiffe, da die höchsten Mastspitzen kaum an sie heran- reichen, und über ihren Rücken schreiten jährlich 40 Millionen Men- schen, per Bahn, Achse oder zu Fuss. Ein herrliches Panorama ge- niesst man von ihrer Mitte aus. Weithin überblickt man New-Jersey, den Hudson bis zu den fernen, ihn begrenzenden Bergen, man sieht die endlos scheinenden Städte, das malerische Long-Island und Staten- Island, und durch die Narrows eröffnet sich auch ein Ausblick auf den weiten Ocean. Die Verhältnisse und Bedürfnisse des Seeverkehres haben in New-York nicht nur zu den besten Verkehrseinrichtungen geführt, son- dern es wurde auch ein ebenso tüchtiges wie verlässliches Personal grossgezogen, welchem sich die Bevölkerung mit Beruhigung anvertraut. Die Hafenämter erfüllen ehrenvoll den Zweck und ihr ausübendes Per- sonal die schweren Pflichten, welche ihnen die Regelung des Seever- kehres auferlegt. Der Lootsen- und Hafendienst ist vorzüglich organi- sirt, die Quais, Docks und sonstigen Hafenanlagen sind, wenn auch nicht schön, doch zweckentsprechend ausgestattet und ausreichend. Stabile Steinbauten sind indes selten; Anlegedämme (Piers) aus Pfählen oder combinirte Bauten aus Stein und Holz, welche den Eisverhält- nissen im Winter und der Gezeitenströmung besser entsprechen, sind bevorzugt. Ebbe und Flut treiben nämlich auch hier ihr unausge- setztes Spiel, und selbst des Hudsons Macht unterliegt an seiner Mün- dung den Gesetzen des Oceans. Für die sanitären und klimatischen Verhältnisse New-Yorks ist die Nähe des Oceans von hoher Bedeutung. Obwohl es in der Breite von 41° N. bei Länge 74° West von Greenwich, also in der Höhe Neapels gelegen ist, und obwohl die Jahresmitteltemperatur + 12°C. erreicht, sind die Temperaturunterschiede New-Yorks doch excessive. Die erlahmende drückende Hitze der Hochsommertage wird durch die wohlthuenden, aus dem Ocean einströmenden Brisen gemässigt, und 7*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/67>, abgerufen am 27.04.2024.