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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Westindische Häfen.
musste 1795 an Frankreich überlassen werden; 1798 gelang es Toussaint, die
besten Streitkräfte der Engländer von der Insel zu vertreiben.

Nach diesen Erfolgen strebte Toussaint sich von Frankreich unabhängig zu
machen und gab der Insel eine republikanische Verfassung, in welcher ihm die
Präsidentschaft auf Lebenszeit zufiel. Bonaparte entsandte 1801 ein Heer von
25.000 Mann unter General Leclerc, um Haiti wieder zu unterwerfen und die
Sclaverei wieder herzustellen; es gelang zwar den Franzosen, nach einigen mili-
tärischen Erfolgen Toussaint gefangen zu nehmen (er wurde nach Frankreich ge-
bracht und starb daselbst 1803), doch brach hierauf im Jahre 1803 der Aufstand
unter der Führung des Negergenerals Dessalines von Neuem aus und griff sieg-
reich um sich, so dass die Franzosen, welche überdies von einer englischen Flotte
bedrängt waren, im November 1803 die Insel räumen mussten. 1804 wurde die
Unabhängigkeit der Insel proclamirt; Dessalines, der erste Präsident der Republik,
liess sich noch in demselben Jahre zum Kaiser krönen und wirthschaftete nun als
grausamer Tyrann im Lande, wurde jedoch schon 1806 ermordet.

Die nun folgenden Ereignisse bis 1844 können wir füglich übergehen; wäh-
rend dieses Zeitraumes folgen einander in bunter Reihenfolge blutige Verschwö-
rungen, Mordthaten, Revolutionen und Gegenrevolutionen, Spaltungen und Wieder-
vereinigung der getrennten Landestheile, in welchen bald die republikanische,
bald die monarchische Staatsform herrscht. Bemerkenswerth ist nur, dass der öst-
liche Theil der Insel im Jahre 1814 wieder an Spanien kam, 1821 aber sich wieder
lossagte und im folgenden Jahre mit dem westlichen Theile unter dem Präsidenten
Boyer vereinigt wurde.

Nach dem Tode Boyer's im Jahre 1844 erfolgte die Scheidung des Landes
in die beiden selbständigen Republiken, wie sie dermalen bestehen. In der west-
lichen Republik, welche den Namen Haiti beibehielt, blieb bis in die Siebziger-
jahre der Bürgerkrieg sozusagen permanent; während der Periode von 1849 bis
1859 führte wieder einmal ein fratzenhaftes Kaiserthum unter dem Neger Sou-
louque, welcher sich als Faustinus I. krönen liess und mit unerhörter Grausam-
keit und Willkür regierte, ein ephemeres Dasein. Dreimal während dieser Periode,
1849, 1850 und 1855, versuchte es Soulouque, die östliche Nachbarrepublik wieder
zu unterwerfen, doch ohne Erfolg. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist eine
gewisse Stabilität in dem Regierungswechsel, doch tobte 1888 und 1889 wieder
der Bürgerkrieg mit all seinen Greueln und Folgen in der Republik.

Auch in der Dominikanischen Republik setzte sich nach der Trennung von
der Schwesterrepublik das alte Spiel der einander verdrängenden und Aufstände
anzettelnden Präsidenten fort.

Im Jahre 1861 versuchten die Spanier, von einer Partei, die eben die Herr-
schaft verloren hatte, herbeigerufen, sich wieder im Lande festzusetzen. Nachdem
spanische Truppen auf Santo Domingo ausgeschifft worden waren, genehmigte die
Königin von Spanien am 19. März 1861 die Annexion der Republik; allein schon
1863 brach ein Aufstand gegen die spanische Herrschaft aus, infolge dessen nach
langen Kämpfen 1865 die letzten spanischen Truppen die Insel wieder räumen
mussten.

Die ganze neuere Geschichte dieser Insel gibt den Beweis für die Un-
fähigkeit der Neger, auch nur eine bereits aufgerichtete Cultur zu erhalten, ge-
schweige denn, eine Cultur aufzurichten.


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Westindische Häfen.
musste 1795 an Frankreich überlassen werden; 1798 gelang es Toussaint, die
besten Streitkräfte der Engländer von der Insel zu vertreiben.

Nach diesen Erfolgen strebte Toussaint sich von Frankreich unabhängig zu
machen und gab der Insel eine republikanische Verfassung, in welcher ihm die
Präsidentschaft auf Lebenszeit zufiel. Bonaparte entsandte 1801 ein Heer von
25.000 Mann unter General Leclerc, um Haïti wieder zu unterwerfen und die
Sclaverei wieder herzustellen; es gelang zwar den Franzosen, nach einigen mili-
tärischen Erfolgen Toussaint gefangen zu nehmen (er wurde nach Frankreich ge-
bracht und starb daselbst 1803), doch brach hierauf im Jahre 1803 der Aufstand
unter der Führung des Negergenerals Dessalines von Neuem aus und griff sieg-
reich um sich, so dass die Franzosen, welche überdies von einer englischen Flotte
bedrängt waren, im November 1803 die Insel räumen mussten. 1804 wurde die
Unabhängigkeit der Insel proclamirt; Dessalines, der erste Präsident der Republik,
liess sich noch in demselben Jahre zum Kaiser krönen und wirthschaftete nun als
grausamer Tyrann im Lande, wurde jedoch schon 1806 ermordet.

Die nun folgenden Ereignisse bis 1844 können wir füglich übergehen; wäh-
rend dieses Zeitraumes folgen einander in bunter Reihenfolge blutige Verschwö-
rungen, Mordthaten, Revolutionen und Gegenrevolutionen, Spaltungen und Wieder-
vereinigung der getrennten Landestheile, in welchen bald die republikanische,
bald die monarchische Staatsform herrscht. Bemerkenswerth ist nur, dass der öst-
liche Theil der Insel im Jahre 1814 wieder an Spanien kam, 1821 aber sich wieder
lossagte und im folgenden Jahre mit dem westlichen Theile unter dem Präsidenten
Boyer vereinigt wurde.

Nach dem Tode Boyer’s im Jahre 1844 erfolgte die Scheidung des Landes
in die beiden selbständigen Republiken, wie sie dermalen bestehen. In der west-
lichen Republik, welche den Namen Haïti beibehielt, blieb bis in die Siebziger-
jahre der Bürgerkrieg sozusagen permanent; während der Periode von 1849 bis
1859 führte wieder einmal ein fratzenhaftes Kaiserthum unter dem Neger Sou-
louque, welcher sich als Faustinus I. krönen liess und mit unerhörter Grausam-
keit und Willkür regierte, ein ephemeres Dasein. Dreimal während dieser Periode,
1849, 1850 und 1855, versuchte es Soulouque, die östliche Nachbarrepublik wieder
zu unterwerfen, doch ohne Erfolg. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist eine
gewisse Stabilität in dem Regierungswechsel, doch tobte 1888 und 1889 wieder
der Bürgerkrieg mit all seinen Greueln und Folgen in der Republik.

Auch in der Dominikanischen Republik setzte sich nach der Trennung von
der Schwesterrepublik das alte Spiel der einander verdrängenden und Aufstände
anzettelnden Präsidenten fort.

Im Jahre 1861 versuchten die Spanier, von einer Partei, die eben die Herr-
schaft verloren hatte, herbeigerufen, sich wieder im Lande festzusetzen. Nachdem
spanische Truppen auf Santo Domingo ausgeschifft worden waren, genehmigte die
Königin von Spanien am 19. März 1861 die Annexion der Republik; allein schon
1863 brach ein Aufstand gegen die spanische Herrschaft aus, infolge dessen nach
langen Kämpfen 1865 die letzten spanischen Truppen die Insel wieder räumen
mussten.

Die ganze neuere Geschichte dieser Insel gibt den Beweis für die Un-
fähigkeit der Neger, auch nur eine bereits aufgerichtete Cultur zu erhalten, ge-
schweige denn, eine Cultur aufzurichten.


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[195/0211] Westindische Häfen. musste 1795 an Frankreich überlassen werden; 1798 gelang es Toussaint, die besten Streitkräfte der Engländer von der Insel zu vertreiben. Nach diesen Erfolgen strebte Toussaint sich von Frankreich unabhängig zu machen und gab der Insel eine republikanische Verfassung, in welcher ihm die Präsidentschaft auf Lebenszeit zufiel. Bonaparte entsandte 1801 ein Heer von 25.000 Mann unter General Leclerc, um Haïti wieder zu unterwerfen und die Sclaverei wieder herzustellen; es gelang zwar den Franzosen, nach einigen mili- tärischen Erfolgen Toussaint gefangen zu nehmen (er wurde nach Frankreich ge- bracht und starb daselbst 1803), doch brach hierauf im Jahre 1803 der Aufstand unter der Führung des Negergenerals Dessalines von Neuem aus und griff sieg- reich um sich, so dass die Franzosen, welche überdies von einer englischen Flotte bedrängt waren, im November 1803 die Insel räumen mussten. 1804 wurde die Unabhängigkeit der Insel proclamirt; Dessalines, der erste Präsident der Republik, liess sich noch in demselben Jahre zum Kaiser krönen und wirthschaftete nun als grausamer Tyrann im Lande, wurde jedoch schon 1806 ermordet. Die nun folgenden Ereignisse bis 1844 können wir füglich übergehen; wäh- rend dieses Zeitraumes folgen einander in bunter Reihenfolge blutige Verschwö- rungen, Mordthaten, Revolutionen und Gegenrevolutionen, Spaltungen und Wieder- vereinigung der getrennten Landestheile, in welchen bald die republikanische, bald die monarchische Staatsform herrscht. Bemerkenswerth ist nur, dass der öst- liche Theil der Insel im Jahre 1814 wieder an Spanien kam, 1821 aber sich wieder lossagte und im folgenden Jahre mit dem westlichen Theile unter dem Präsidenten Boyer vereinigt wurde. Nach dem Tode Boyer’s im Jahre 1844 erfolgte die Scheidung des Landes in die beiden selbständigen Republiken, wie sie dermalen bestehen. In der west- lichen Republik, welche den Namen Haïti beibehielt, blieb bis in die Siebziger- jahre der Bürgerkrieg sozusagen permanent; während der Periode von 1849 bis 1859 führte wieder einmal ein fratzenhaftes Kaiserthum unter dem Neger Sou- louque, welcher sich als Faustinus I. krönen liess und mit unerhörter Grausam- keit und Willkür regierte, ein ephemeres Dasein. Dreimal während dieser Periode, 1849, 1850 und 1855, versuchte es Soulouque, die östliche Nachbarrepublik wieder zu unterwerfen, doch ohne Erfolg. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist eine gewisse Stabilität in dem Regierungswechsel, doch tobte 1888 und 1889 wieder der Bürgerkrieg mit all seinen Greueln und Folgen in der Republik. Auch in der Dominikanischen Republik setzte sich nach der Trennung von der Schwesterrepublik das alte Spiel der einander verdrängenden und Aufstände anzettelnden Präsidenten fort. Im Jahre 1861 versuchten die Spanier, von einer Partei, die eben die Herr- schaft verloren hatte, herbeigerufen, sich wieder im Lande festzusetzen. Nachdem spanische Truppen auf Santo Domingo ausgeschifft worden waren, genehmigte die Königin von Spanien am 19. März 1861 die Annexion der Republik; allein schon 1863 brach ein Aufstand gegen die spanische Herrschaft aus, infolge dessen nach langen Kämpfen 1865 die letzten spanischen Truppen die Insel wieder räumen mussten. Die ganze neuere Geschichte dieser Insel gibt den Beweis für die Un- fähigkeit der Neger, auch nur eine bereits aufgerichtete Cultur zu erhalten, ge- schweige denn, eine Cultur aufzurichten. 25*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/211>, abgerufen am 30.04.2024.