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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
Staat Haiti, der nur 28.676 km2 umfasst, und nur 417.000 Einwohner
auf die 45.000 km2 grosse Dominikanische Republik.

In beiden Republiken bilden die Weissen nur einen kleinen
Bruchtheil der Bevölkerung. Die Hauptmasse bilden in Haiti die fran-
zösisch redenden Neger, welche sich hier so als Herren der Schöpfung
fühlen, dass in diesem Gemeinwesen nach § 7 der Verfassung die
Weissen weder ein öffentliches Amt bekleiden, noch ein Stimmrecht
ausüben, noch Grundbesitz erwerben dürfen. Die Dominikanische
Republik ist ein Mulattenstaat, doch bilden die Weissen ein Zehntel
der Bevölkerung, und neuere Reisende berichten, dass sich gerade
im Innern des Staates zahlreiche Weisse und helle Mischlinge finden.
Da Santo Domingo bis in unser Jahrhundert zu Spanien gehörte,
so ist hier das Spanische Landessprache.

Die Geschichte Haitis wird bis zum Jahre 1844, in welchem erst dauernd
die Trennung in zwei Staaten erfolgte, am besten gemeinsam für beide Landes-
theile betrachtet.

Nachdem Columbus auf seiner ersten Reise, und zwar am 3. December 1492 die
Insel entdeckt hatte, erfolgte bald darauf die Gründung von mehreren Städten
auf derselben, zuerst jene von San Domingo, welche Stadt überhaupt die älteste
spanische Niederlassung im neuen Welttheile war. Columbus nannte die Insel
Espanola, aus dem man später Hispaniola machte. Schon 1505 begann die Einfuhr
von Negersclaven, nachdem um diese Zeit schon ein grosser Theil der eingeborenen
Indianer infolge grausamer Behandlung durch die Weissen dahingestorben war.

Die Alleinherrschaft der Spanier auf der Insel dauerte bis 1630, in welchem
Jahre französische Flibustier von Tortuga aus sich auf Haiti festsetzten. Diese
kühnen Freibeuter, welche sich auch Bucaneers nannten, trieben als Hauptbe-
schäftigung das Abfangen und Ausplündern der spanischen Silberflotten. Nach und
nach besetzten sie den ganzen westlichen Theil der Insel; die französische Regie-
rung bewog sie, eine geordnete Niederlassung zu bilden, und im Ryswicker Frieden
(1679) wurde diese als französische Colonie anerkannt. Sie gelangte bald zu
hoher Blüthe und konnte als die reichste der westindischen Colonien angesehen
werden.

Da kam die französische Revolution und damit eine ganz neue Ordnung der
Verhältnisse. Die Schlagworte "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" drangen
über den Ocean, und am 23. August 1791 erhoben sich die Negersclaven, welche
Gleichstellung mit den Weissen verlangten. Unter den gräulichsten Verwüstungen
und Blutthaten verbreitete sich in den folgenden Jahren der Aufstand, welcher
mit der Ermordung oder Vertreibung fast aller Weissen endete, über die ganze
Insel. Die vom französischen Nationalconvent zur Herstellung der Ordnung ent-
sendeten Commissäre waren machtlos gegenüber den mit elementarer Gewalt sich
vollziehenden Ereignissen, hielten es überdies vielmehr mit den Aufständischen
als mit den Weissen, welche zumeist royalistischer Gesinnung verdächtig waren.
Ja, als 1793 die Engländer und Spanier vereint die Insel angriffen, wurde Toussaint
l'Ouverture, der Führer der Insurgenten, vom Directorium zum Obergeneral der ver-
einigten Negertruppen und Franzosen ernannt. Der spanische Theil der Insel

Die atlantische Küste von Amerika.
Staat Haïti, der nur 28.676 km2 umfasst, und nur 417.000 Einwohner
auf die 45.000 km2 grosse Dominikanische Republik.

In beiden Republiken bilden die Weissen nur einen kleinen
Bruchtheil der Bevölkerung. Die Hauptmasse bilden in Haïti die fran-
zösisch redenden Neger, welche sich hier so als Herren der Schöpfung
fühlen, dass in diesem Gemeinwesen nach § 7 der Verfassung die
Weissen weder ein öffentliches Amt bekleiden, noch ein Stimmrecht
ausüben, noch Grundbesitz erwerben dürfen. Die Dominikanische
Republik ist ein Mulattenstaat, doch bilden die Weissen ein Zehntel
der Bevölkerung, und neuere Reisende berichten, dass sich gerade
im Innern des Staates zahlreiche Weisse und helle Mischlinge finden.
Da Santo Domingo bis in unser Jahrhundert zu Spanien gehörte,
so ist hier das Spanische Landessprache.

Die Geschichte Haïtis wird bis zum Jahre 1844, in welchem erst dauernd
die Trennung in zwei Staaten erfolgte, am besten gemeinsam für beide Landes-
theile betrachtet.

Nachdem Columbus auf seiner ersten Reise, und zwar am 3. December 1492 die
Insel entdeckt hatte, erfolgte bald darauf die Gründung von mehreren Städten
auf derselben, zuerst jene von San Domingo, welche Stadt überhaupt die älteste
spanische Niederlassung im neuen Welttheile war. Columbus nannte die Insel
Espanola, aus dem man später Hispaniola machte. Schon 1505 begann die Einfuhr
von Negersclaven, nachdem um diese Zeit schon ein grosser Theil der eingeborenen
Indianer infolge grausamer Behandlung durch die Weissen dahingestorben war.

Die Alleinherrschaft der Spanier auf der Insel dauerte bis 1630, in welchem
Jahre französische Flibustier von Tortuga aus sich auf Haïti festsetzten. Diese
kühnen Freibeuter, welche sich auch Bucaneers nannten, trieben als Hauptbe-
schäftigung das Abfangen und Ausplündern der spanischen Silberflotten. Nach und
nach besetzten sie den ganzen westlichen Theil der Insel; die französische Regie-
rung bewog sie, eine geordnete Niederlassung zu bilden, und im Ryswicker Frieden
(1679) wurde diese als französische Colonie anerkannt. Sie gelangte bald zu
hoher Blüthe und konnte als die reichste der westindischen Colonien angesehen
werden.

Da kam die französische Revolution und damit eine ganz neue Ordnung der
Verhältnisse. Die Schlagworte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ drangen
über den Ocean, und am 23. August 1791 erhoben sich die Negersclaven, welche
Gleichstellung mit den Weissen verlangten. Unter den gräulichsten Verwüstungen
und Blutthaten verbreitete sich in den folgenden Jahren der Aufstand, welcher
mit der Ermordung oder Vertreibung fast aller Weissen endete, über die ganze
Insel. Die vom französischen Nationalconvent zur Herstellung der Ordnung ent-
sendeten Commissäre waren machtlos gegenüber den mit elementarer Gewalt sich
vollziehenden Ereignissen, hielten es überdies vielmehr mit den Aufständischen
als mit den Weissen, welche zumeist royalistischer Gesinnung verdächtig waren.
Ja, als 1793 die Engländer und Spanier vereint die Insel angriffen, wurde Toussaint
l’Ouverture, der Führer der Insurgenten, vom Directorium zum Obergeneral der ver-
einigten Negertruppen und Franzosen ernannt. Der spanische Theil der Insel

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[194/0210] Die atlantische Küste von Amerika. Staat Haïti, der nur 28.676 km2 umfasst, und nur 417.000 Einwohner auf die 45.000 km2 grosse Dominikanische Republik. In beiden Republiken bilden die Weissen nur einen kleinen Bruchtheil der Bevölkerung. Die Hauptmasse bilden in Haïti die fran- zösisch redenden Neger, welche sich hier so als Herren der Schöpfung fühlen, dass in diesem Gemeinwesen nach § 7 der Verfassung die Weissen weder ein öffentliches Amt bekleiden, noch ein Stimmrecht ausüben, noch Grundbesitz erwerben dürfen. Die Dominikanische Republik ist ein Mulattenstaat, doch bilden die Weissen ein Zehntel der Bevölkerung, und neuere Reisende berichten, dass sich gerade im Innern des Staates zahlreiche Weisse und helle Mischlinge finden. Da Santo Domingo bis in unser Jahrhundert zu Spanien gehörte, so ist hier das Spanische Landessprache. Die Geschichte Haïtis wird bis zum Jahre 1844, in welchem erst dauernd die Trennung in zwei Staaten erfolgte, am besten gemeinsam für beide Landes- theile betrachtet. Nachdem Columbus auf seiner ersten Reise, und zwar am 3. December 1492 die Insel entdeckt hatte, erfolgte bald darauf die Gründung von mehreren Städten auf derselben, zuerst jene von San Domingo, welche Stadt überhaupt die älteste spanische Niederlassung im neuen Welttheile war. Columbus nannte die Insel Espanola, aus dem man später Hispaniola machte. Schon 1505 begann die Einfuhr von Negersclaven, nachdem um diese Zeit schon ein grosser Theil der eingeborenen Indianer infolge grausamer Behandlung durch die Weissen dahingestorben war. Die Alleinherrschaft der Spanier auf der Insel dauerte bis 1630, in welchem Jahre französische Flibustier von Tortuga aus sich auf Haïti festsetzten. Diese kühnen Freibeuter, welche sich auch Bucaneers nannten, trieben als Hauptbe- schäftigung das Abfangen und Ausplündern der spanischen Silberflotten. Nach und nach besetzten sie den ganzen westlichen Theil der Insel; die französische Regie- rung bewog sie, eine geordnete Niederlassung zu bilden, und im Ryswicker Frieden (1679) wurde diese als französische Colonie anerkannt. Sie gelangte bald zu hoher Blüthe und konnte als die reichste der westindischen Colonien angesehen werden. Da kam die französische Revolution und damit eine ganz neue Ordnung der Verhältnisse. Die Schlagworte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ drangen über den Ocean, und am 23. August 1791 erhoben sich die Negersclaven, welche Gleichstellung mit den Weissen verlangten. Unter den gräulichsten Verwüstungen und Blutthaten verbreitete sich in den folgenden Jahren der Aufstand, welcher mit der Ermordung oder Vertreibung fast aller Weissen endete, über die ganze Insel. Die vom französischen Nationalconvent zur Herstellung der Ordnung ent- sendeten Commissäre waren machtlos gegenüber den mit elementarer Gewalt sich vollziehenden Ereignissen, hielten es überdies vielmehr mit den Aufständischen als mit den Weissen, welche zumeist royalistischer Gesinnung verdächtig waren. Ja, als 1793 die Engländer und Spanier vereint die Insel angriffen, wurde Toussaint l’Ouverture, der Führer der Insurgenten, vom Directorium zum Obergeneral der ver- einigten Negertruppen und Franzosen ernannt. Der spanische Theil der Insel

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/210>, abgerufen am 30.04.2024.