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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.

Die Ordnung und verhältnissmässige Blüthe, deren sich Mexico
seit dem weisen Regimente des Porfirio Diaz zu erfreuen hat, kommt
auch im Handelsverkehre von Vera-Cruz zum Ausdruck, noch weit
mehr aber die Thatsache, dass der Präsident der Bundesrepublik
Mexico eine möglichst strenge Centralisation einführt. Dadurch werden
immer grössere Ländergebiete der Hauptstadt Mexico tributär, und in
demselben Masse, als sich die Hauptstadt hebt, die jetzt von allen
Seiten leicht durch Eisenbahnen zu erreichen ist, steigt mittelbar die
Bedeutung ihres Hafens Vera-Cruz.

Soweit die Handelslage von Vera-Cruz von allgemeinen Ver-
hältnissen abhängt, muss man sie als eine mindestens relativ gün-
stige bezeichnen, die Stadt selbst aber hat mit wahrhaft bewunde-
rungswürdiger Ruhe bisher fast Alles unterlassen, was den Handel
an ihre Ufer fesseln kann. Vielleicht lässt sich keine ausgiebige Ab-
hilfe dafür schaffen, dass in Vera-Cruz die Sterblichkeit 5 % der
Bevölkerung erreicht, dass hier also von 1000 Einwohnern jährlich
21/2 mal so viele in ein besseres Jenseits eingehen als in London.

Aber dass an dem Damme des Zollhauses von Vera-Cruz kein
Krahn steht, dass das Geleise der Eisenbahn, welches ins Zollhaus
führt, nicht benützt werden darf, dass auf der kurzen Strecke von
550 m, welche die Eisenbahnstation von dem Zollhause trennt, keine
Schienen gelegt werden, weil die Lastträger und Frachtenführer von
Vera-Cruz thatsächlich ein ausschliessliches Privilegium auf die Be-
förderung der Handelslasten haben und dieses auch ausnützen, das
sind alte, verrottete, wenn auch privilegirte Uebelstände, welche den
Besuch des Hafens so vertheuern, dass man für eine Tonne Güter,
die von Bord zur Eisenbahnstation gebracht werden, 35 Dollars
Auslagen hat.

Und da die einflussreiche Clique der Spediteure mit den Ar-
beitern Hand in Hand geht, wird wohl so bald nichts geändert.

Zudem ist die Zahl der Lichterschiffe ungenügend, der Hafen
leicht überfüllt, so dass die später ankommenden Schiffe zur Insel
Sacrificios gewiesen werden, wo sie keine Handelsoperationen vor-
nehmen können. An den zahlreichen Festtagen, die in Mexico ge-
feiert werden, ist das Zollhaus gesperrt und so auch während der
90--100 Tage, durch welche zwischen October und April die
schweren Nordstürme herrschen, gegen die der Hafen nur wenig
Schutz bietet.

Die Eröffnung der Eisenbahnen in die Union und die Furcht,
dass auch Tampico bald Kopfstation einer Bahn werden könnte, rückte

Die atlantische Küste von Amerika.

Die Ordnung und verhältnissmässige Blüthe, deren sich Mexico
seit dem weisen Regimente des Porfirio Diaz zu erfreuen hat, kommt
auch im Handelsverkehre von Vera-Cruz zum Ausdruck, noch weit
mehr aber die Thatsache, dass der Präsident der Bundesrepublik
Mexico eine möglichst strenge Centralisation einführt. Dadurch werden
immer grössere Ländergebiete der Hauptstadt Mexico tributär, und in
demselben Masse, als sich die Hauptstadt hebt, die jetzt von allen
Seiten leicht durch Eisenbahnen zu erreichen ist, steigt mittelbar die
Bedeutung ihres Hafens Vera-Cruz.

Soweit die Handelslage von Vera-Cruz von allgemeinen Ver-
hältnissen abhängt, muss man sie als eine mindestens relativ gün-
stige bezeichnen, die Stadt selbst aber hat mit wahrhaft bewunde-
rungswürdiger Ruhe bisher fast Alles unterlassen, was den Handel
an ihre Ufer fesseln kann. Vielleicht lässt sich keine ausgiebige Ab-
hilfe dafür schaffen, dass in Vera-Cruz die Sterblichkeit 5 % der
Bevölkerung erreicht, dass hier also von 1000 Einwohnern jährlich
2½ mal so viele in ein besseres Jenseits eingehen als in London.

Aber dass an dem Damme des Zollhauses von Vera-Cruz kein
Krahn steht, dass das Geleise der Eisenbahn, welches ins Zollhaus
führt, nicht benützt werden darf, dass auf der kurzen Strecke von
550 m, welche die Eisenbahnstation von dem Zollhause trennt, keine
Schienen gelegt werden, weil die Lastträger und Frachtenführer von
Vera-Cruz thatsächlich ein ausschliessliches Privilegium auf die Be-
förderung der Handelslasten haben und dieses auch ausnützen, das
sind alte, verrottete, wenn auch privilegirte Uebelstände, welche den
Besuch des Hafens so vertheuern, dass man für eine Tonne Güter,
die von Bord zur Eisenbahnstation gebracht werden, 35 Dollars
Auslagen hat.

Und da die einflussreiche Clique der Spediteure mit den Ar-
beitern Hand in Hand geht, wird wohl so bald nichts geändert.

Zudem ist die Zahl der Lichterschiffe ungenügend, der Hafen
leicht überfüllt, so dass die später ankommenden Schiffe zur Insel
Sacrificios gewiesen werden, wo sie keine Handelsoperationen vor-
nehmen können. An den zahlreichen Festtagen, die in Mexico ge-
feiert werden, ist das Zollhaus gesperrt und so auch während der
90—100 Tage, durch welche zwischen October und April die
schweren Nordstürme herrschen, gegen die der Hafen nur wenig
Schutz bietet.

Die Eröffnung der Eisenbahnen in die Union und die Furcht,
dass auch Tampico bald Kopfstation einer Bahn werden könnte, rückte

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[166/0182] Die atlantische Küste von Amerika. Die Ordnung und verhältnissmässige Blüthe, deren sich Mexico seit dem weisen Regimente des Porfirio Diaz zu erfreuen hat, kommt auch im Handelsverkehre von Vera-Cruz zum Ausdruck, noch weit mehr aber die Thatsache, dass der Präsident der Bundesrepublik Mexico eine möglichst strenge Centralisation einführt. Dadurch werden immer grössere Ländergebiete der Hauptstadt Mexico tributär, und in demselben Masse, als sich die Hauptstadt hebt, die jetzt von allen Seiten leicht durch Eisenbahnen zu erreichen ist, steigt mittelbar die Bedeutung ihres Hafens Vera-Cruz. Soweit die Handelslage von Vera-Cruz von allgemeinen Ver- hältnissen abhängt, muss man sie als eine mindestens relativ gün- stige bezeichnen, die Stadt selbst aber hat mit wahrhaft bewunde- rungswürdiger Ruhe bisher fast Alles unterlassen, was den Handel an ihre Ufer fesseln kann. Vielleicht lässt sich keine ausgiebige Ab- hilfe dafür schaffen, dass in Vera-Cruz die Sterblichkeit 5 % der Bevölkerung erreicht, dass hier also von 1000 Einwohnern jährlich 2½ mal so viele in ein besseres Jenseits eingehen als in London. Aber dass an dem Damme des Zollhauses von Vera-Cruz kein Krahn steht, dass das Geleise der Eisenbahn, welches ins Zollhaus führt, nicht benützt werden darf, dass auf der kurzen Strecke von 550 m, welche die Eisenbahnstation von dem Zollhause trennt, keine Schienen gelegt werden, weil die Lastträger und Frachtenführer von Vera-Cruz thatsächlich ein ausschliessliches Privilegium auf die Be- förderung der Handelslasten haben und dieses auch ausnützen, das sind alte, verrottete, wenn auch privilegirte Uebelstände, welche den Besuch des Hafens so vertheuern, dass man für eine Tonne Güter, die von Bord zur Eisenbahnstation gebracht werden, 35 Dollars Auslagen hat. Und da die einflussreiche Clique der Spediteure mit den Ar- beitern Hand in Hand geht, wird wohl so bald nichts geändert. Zudem ist die Zahl der Lichterschiffe ungenügend, der Hafen leicht überfüllt, so dass die später ankommenden Schiffe zur Insel Sacrificios gewiesen werden, wo sie keine Handelsoperationen vor- nehmen können. An den zahlreichen Festtagen, die in Mexico ge- feiert werden, ist das Zollhaus gesperrt und so auch während der 90—100 Tage, durch welche zwischen October und April die schweren Nordstürme herrschen, gegen die der Hafen nur wenig Schutz bietet. Die Eröffnung der Eisenbahnen in die Union und die Furcht, dass auch Tampico bald Kopfstation einer Bahn werden könnte, rückte

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/182>, abgerufen am 24.11.2024.