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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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punkt des venetianischen Lebens an den Marcusplatz zu fesseln.
Hier hält die elegante Welt, umflattert von der lustigen Schar der
Marcustauben, ihren täglichen Corso, der zu reizender Lebhaftig-
keit sich steigert, wenn die Klänge der concertirenden Militärmusik
den weiten Raum des Platzes durchrauschen. Bei heller Mondnacht
aber, wenn die edlen Formen der von Zeit und Wetter geschwärzten
Monumentalbauten durch den milden Lichtstrom in ihrer wundervollen
Plastik hervortreten und die phantastischen Profile der uralten Basi-
lika des heiligen Marcus aus ihren reichen Ornamenten tausende von
Reflexen uns zusenden, da geniesst man den vollen Reiz der vene-
tianischen Poesie.

Die Marcuskirche und der vor ihr freistehende Glockenthurm,
vollenden so recht den eigenthümlichen Charakter des Marcusplatzes.
Die Basilika selbst zählt zu den ältesten und reichsten Gottes-
häusern der Erde. Dem Schutzpatrone der Stadt, dessen Gebeine im
Jahre 828 von Alexandrien nach Venedig überführt wurden, geweiht,
währte ihr Bau vom Jahre 976 bis 1071. Er zeigt den Venedig an-
gehörenden gemischten romanisch-byzantinischen Styl, der mit seinen
Kuppeln und hunderten von Säulen, dann mit den gothischen Zuthaten
und der verschwenderischen Pracht der ganzen Ausstattung im Laufe
der Jahrhunderte zum kostbarsten Juwel der Dogenstadt sich heraus-
gebildet hat. Ebenso herrlich ist das Innere der Kirche. Mehr als
4000 m2 der prächtigsten Mosaikmalerei, darunter die ältesten Darstel-
lungen aus der ersten Bauperiode der Basilika, bedecken die mit Gold,
Bronze und orientalischem Marmor überreich ornamentirten Wandun-
gen. Einen eigenthümlichen Schmuck erhielt die Hauptfront der Marcus-
kirche durch die berühmte Bronze-Quadriga, welche altrömischen Ur-
sprunges -- man vermuthet, sie entstamme der neronischen Kunst-
epoche -- und, als einziges tadellos erhaltenes antikes Viergespann, von
unschätzbarem Werthe ist. Die Grossen der Erde stritten um den Besitz
des Kunstwerkes. Constantin brachte die Quadriga nach Constantinopel,
der Doge Dandolo im Jahre 1204 nach Venedig, Buonaparte entführte
sie 1797 nach Paris und schmückte damit den Triumphbogen am
Carrousselplatz, bis Kaiser Franz I. sie im Jahre 1815 wieder der
Dogenstadt zurückgewann und an der geweihten Stelle aufrichten
liess. Auffallend sind auch die drei hohen, in ehernen Fussgestellen vor
der Marcuskirche aufgerichteten Flaggenmasten, auf welchen einst die
Banner der Königreiche Cypern, Candia und Morea flatterten. Ent-
sprechend den wechselvollen Schicksalen Venedigs nahmen dann die
französiche Tricolore, das habsburgische Banner und die Flaggen des

Das Mittelmeerbecken.
punkt des venetianischen Lebens an den Marcusplatz zu fesseln.
Hier hält die elegante Welt, umflattert von der lustigen Schar der
Marcustauben, ihren täglichen Corso, der zu reizender Lebhaftig-
keit sich steigert, wenn die Klänge der concertirenden Militärmusik
den weiten Raum des Platzes durchrauschen. Bei heller Mondnacht
aber, wenn die edlen Formen der von Zeit und Wetter geschwärzten
Monumentalbauten durch den milden Lichtstrom in ihrer wundervollen
Plastik hervortreten und die phantastischen Profile der uralten Basi-
lika des heiligen Marcus aus ihren reichen Ornamenten tausende von
Reflexen uns zusenden, da geniesst man den vollen Reiz der vene-
tianischen Poesie.

Die Marcuskirche und der vor ihr freistehende Glockenthurm,
vollenden so recht den eigenthümlichen Charakter des Marcusplatzes.
Die Basilika selbst zählt zu den ältesten und reichsten Gottes-
häusern der Erde. Dem Schutzpatrone der Stadt, dessen Gebeine im
Jahre 828 von Alexandrien nach Venedig überführt wurden, geweiht,
währte ihr Bau vom Jahre 976 bis 1071. Er zeigt den Venedig an-
gehörenden gemischten romanisch-byzantinischen Styl, der mit seinen
Kuppeln und hunderten von Säulen, dann mit den gothischen Zuthaten
und der verschwenderischen Pracht der ganzen Ausstattung im Laufe
der Jahrhunderte zum kostbarsten Juwel der Dogenstadt sich heraus-
gebildet hat. Ebenso herrlich ist das Innere der Kirche. Mehr als
4000 m2 der prächtigsten Mosaikmalerei, darunter die ältesten Darstel-
lungen aus der ersten Bauperiode der Basilika, bedecken die mit Gold,
Bronze und orientalischem Marmor überreich ornamentirten Wandun-
gen. Einen eigenthümlichen Schmuck erhielt die Hauptfront der Marcus-
kirche durch die berühmte Bronze-Quadriga, welche altrömischen Ur-
sprunges — man vermuthet, sie entstamme der neronischen Kunst-
epoche — und, als einziges tadellos erhaltenes antikes Viergespann, von
unschätzbarem Werthe ist. Die Grossen der Erde stritten um den Besitz
des Kunstwerkes. Constantin brachte die Quadriga nach Constantinopel,
der Doge Dandolo im Jahre 1204 nach Venedig, Buonaparte entführte
sie 1797 nach Paris und schmückte damit den Triumphbogen am
Carrousselplatz, bis Kaiser Franz I. sie im Jahre 1815 wieder der
Dogenstadt zurückgewann und an der geweihten Stelle aufrichten
liess. Auffallend sind auch die drei hohen, in ehernen Fussgestellen vor
der Marcuskirche aufgerichteten Flaggenmasten, auf welchen einst die
Banner der Königreiche Cypern, Candia und Morea flatterten. Ent-
sprechend den wechselvollen Schicksalen Venedigs nahmen dann die
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[40/0060] Das Mittelmeerbecken. punkt des venetianischen Lebens an den Marcusplatz zu fesseln. Hier hält die elegante Welt, umflattert von der lustigen Schar der Marcustauben, ihren täglichen Corso, der zu reizender Lebhaftig- keit sich steigert, wenn die Klänge der concertirenden Militärmusik den weiten Raum des Platzes durchrauschen. Bei heller Mondnacht aber, wenn die edlen Formen der von Zeit und Wetter geschwärzten Monumentalbauten durch den milden Lichtstrom in ihrer wundervollen Plastik hervortreten und die phantastischen Profile der uralten Basi- lika des heiligen Marcus aus ihren reichen Ornamenten tausende von Reflexen uns zusenden, da geniesst man den vollen Reiz der vene- tianischen Poesie. Die Marcuskirche und der vor ihr freistehende Glockenthurm, vollenden so recht den eigenthümlichen Charakter des Marcusplatzes. Die Basilika selbst zählt zu den ältesten und reichsten Gottes- häusern der Erde. Dem Schutzpatrone der Stadt, dessen Gebeine im Jahre 828 von Alexandrien nach Venedig überführt wurden, geweiht, währte ihr Bau vom Jahre 976 bis 1071. Er zeigt den Venedig an- gehörenden gemischten romanisch-byzantinischen Styl, der mit seinen Kuppeln und hunderten von Säulen, dann mit den gothischen Zuthaten und der verschwenderischen Pracht der ganzen Ausstattung im Laufe der Jahrhunderte zum kostbarsten Juwel der Dogenstadt sich heraus- gebildet hat. Ebenso herrlich ist das Innere der Kirche. Mehr als 4000 m2 der prächtigsten Mosaikmalerei, darunter die ältesten Darstel- lungen aus der ersten Bauperiode der Basilika, bedecken die mit Gold, Bronze und orientalischem Marmor überreich ornamentirten Wandun- gen. Einen eigenthümlichen Schmuck erhielt die Hauptfront der Marcus- kirche durch die berühmte Bronze-Quadriga, welche altrömischen Ur- sprunges — man vermuthet, sie entstamme der neronischen Kunst- epoche — und, als einziges tadellos erhaltenes antikes Viergespann, von unschätzbarem Werthe ist. Die Grossen der Erde stritten um den Besitz des Kunstwerkes. Constantin brachte die Quadriga nach Constantinopel, der Doge Dandolo im Jahre 1204 nach Venedig, Buonaparte entführte sie 1797 nach Paris und schmückte damit den Triumphbogen am Carrousselplatz, bis Kaiser Franz I. sie im Jahre 1815 wieder der Dogenstadt zurückgewann und an der geweihten Stelle aufrichten liess. Auffallend sind auch die drei hohen, in ehernen Fussgestellen vor der Marcuskirche aufgerichteten Flaggenmasten, auf welchen einst die Banner der Königreiche Cypern, Candia und Morea flatterten. Ent- sprechend den wechselvollen Schicksalen Venedigs nahmen dann die französiche Tricolore, das habsburgische Banner und die Flaggen des

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/60>, abgerufen am 22.11.2024.