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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Venedig.
den Kissen ausgestattete Fahrzeuge, um Schutz zu finden gegen die
Unbill der Witterung und wohl auch gegen die Neugierde der lieben
Mitmenschen. Ein grosser Theil der venetianischen Romantik hat die
geheimnissvolle Gondel zur Unterlage. Unsere ganze Umgebung lässt
sich in reizende Einzelbilder auflösen, deren jedes dem Künstler ein
prächtiges Motiv entgegenhält. Der monumentale Hintergrund von ge-
waltigstem Eindrucke ist aber die Stadt Venedig selbst. Die Ansicht
der prächtigsten Metropolen der Erde wird den Besucher kaum mit
solcher Ueberraschung erfüllen, wie der erste Anblick der Dogenstadt.

Da liegt sie vor uns mit ihren Prachtbauten und unschätzbaren
Meisterwerken wie ein reich ausgestattetes Museum! Paläste und Dome
entsteigen, mit Aphrodite vergleichbar, herrlich dem Schaume des
Meeres; jedes Bauwerk ein Stück versteinerter Poesie, und alle zu-
sammen eine vom Hauche ehrwürdiger Zeiten getragene Harmonie.
Unzähligemale hat der Künstler das Bild uns dargestellt, jetzt aber
erscheint es uns verjüngt, ja neu, wir wähnen nichts Aehnliches früher
geschaut zu haben. Der säulengetragene Dogenpalast, der berühmte
Palazzo ducale, ein Prachtbau in venetianisch-gothischem Style, in
dessen Räumen einstens Serenissimus, der fürstliche Doge, und der grosse
Rath die Staatsgeschäfte leiteten, wird sogleich zum Mittelpunkt un-
seres Interesses, wie er ehemals das Herz der Republik gebildet
hatte. Gewaltig sind die Erinnerungen, die an ihn sich knüpfen. Er
sah die Vaterstadt auf dem Gipfel ihrer Macht, auf der Höhe ihres
Glanzes, umworben und beneidet von allen Culturvölkern der Erde;
allein er sollte auch Zeuge werden ihres schmählichen Falles, der am
12. Mai 1797 sich vollzog.

Die Westfront des Dogenpalastes flankirt die sogenannte Piazzetta,
ein in den Marcusplatz einmündender, gegen die Lagune offener Platz,
den die zwei berühmten syrischen Granitsäulen des Dogen Michiel
(1120) zieren. Hier, wo heute ein lebhafter Verkehr froher Menschen
flutet, wurden ehemals die Todesurtheile vollzogen. Gegenüber dem
Dogenpalaste bewundern wir den jetzt zum königlichen Palais gehö-
renden Prachtbau der Bibliothek (Antica libreria di S. Marco), eines
Meisterwerkes Sansovino's (1536), gleichzeitig eines der schönsten
Bauwerke des Cinque cento und vielleicht der herrlichste Profanbau
Italiens. Die Bibliothek findet in dem grossartigen Palast der Procura-
zien, welcher den mit Trachyt- und Marmorplatten belegten Marcusplatz
auf drei Seiten umschliesst, eine natürliche Fortsetzung. Unter den
reich gegliederten Bogengängen haben elegante Kaffeehäuser und Kauf-
läden sich etablirt und dadurch ohne Zweifel beigetragen, den Mittel-

Venedig.
den Kissen ausgestattete Fahrzeuge, um Schutz zu finden gegen die
Unbill der Witterung und wohl auch gegen die Neugierde der lieben
Mitmenschen. Ein grosser Theil der venetianischen Romantik hat die
geheimnissvolle Gondel zur Unterlage. Unsere ganze Umgebung lässt
sich in reizende Einzelbilder auflösen, deren jedes dem Künstler ein
prächtiges Motiv entgegenhält. Der monumentale Hintergrund von ge-
waltigstem Eindrucke ist aber die Stadt Venedig selbst. Die Ansicht
der prächtigsten Metropolen der Erde wird den Besucher kaum mit
solcher Ueberraschung erfüllen, wie der erste Anblick der Dogenstadt.

Da liegt sie vor uns mit ihren Prachtbauten und unschätzbaren
Meisterwerken wie ein reich ausgestattetes Museum! Paläste und Dome
entsteigen, mit Aphrodite vergleichbar, herrlich dem Schaume des
Meeres; jedes Bauwerk ein Stück versteinerter Poesie, und alle zu-
sammen eine vom Hauche ehrwürdiger Zeiten getragene Harmonie.
Unzähligemale hat der Künstler das Bild uns dargestellt, jetzt aber
erscheint es uns verjüngt, ja neu, wir wähnen nichts Aehnliches früher
geschaut zu haben. Der säulengetragene Dogenpalast, der berühmte
Palazzo ducale, ein Prachtbau in venetianisch-gothischem Style, in
dessen Räumen einstens Serenissimus, der fürstliche Doge, und der grosse
Rath die Staatsgeschäfte leiteten, wird sogleich zum Mittelpunkt un-
seres Interesses, wie er ehemals das Herz der Republik gebildet
hatte. Gewaltig sind die Erinnerungen, die an ihn sich knüpfen. Er
sah die Vaterstadt auf dem Gipfel ihrer Macht, auf der Höhe ihres
Glanzes, umworben und beneidet von allen Culturvölkern der Erde;
allein er sollte auch Zeuge werden ihres schmählichen Falles, der am
12. Mai 1797 sich vollzog.

Die Westfront des Dogenpalastes flankirt die sogenannte Piazzetta,
ein in den Marcusplatz einmündender, gegen die Lagune offener Platz,
den die zwei berühmten syrischen Granitsäulen des Dogen Michiel
(1120) zieren. Hier, wo heute ein lebhafter Verkehr froher Menschen
flutet, wurden ehemals die Todesurtheile vollzogen. Gegenüber dem
Dogenpalaste bewundern wir den jetzt zum königlichen Palais gehö-
renden Prachtbau der Bibliothek (Antica libreria di S. Marco), eines
Meisterwerkes Sansovino’s (1536), gleichzeitig eines der schönsten
Bauwerke des Cinque cento und vielleicht der herrlichste Profanbau
Italiens. Die Bibliothek findet in dem grossartigen Palast der Procura-
zien, welcher den mit Trachyt- und Marmorplatten belegten Marcusplatz
auf drei Seiten umschliesst, eine natürliche Fortsetzung. Unter den
reich gegliederten Bogengängen haben elegante Kaffeehäuser und Kauf-
läden sich etablirt und dadurch ohne Zweifel beigetragen, den Mittel-

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[39/0059] Venedig. den Kissen ausgestattete Fahrzeuge, um Schutz zu finden gegen die Unbill der Witterung und wohl auch gegen die Neugierde der lieben Mitmenschen. Ein grosser Theil der venetianischen Romantik hat die geheimnissvolle Gondel zur Unterlage. Unsere ganze Umgebung lässt sich in reizende Einzelbilder auflösen, deren jedes dem Künstler ein prächtiges Motiv entgegenhält. Der monumentale Hintergrund von ge- waltigstem Eindrucke ist aber die Stadt Venedig selbst. Die Ansicht der prächtigsten Metropolen der Erde wird den Besucher kaum mit solcher Ueberraschung erfüllen, wie der erste Anblick der Dogenstadt. Da liegt sie vor uns mit ihren Prachtbauten und unschätzbaren Meisterwerken wie ein reich ausgestattetes Museum! Paläste und Dome entsteigen, mit Aphrodite vergleichbar, herrlich dem Schaume des Meeres; jedes Bauwerk ein Stück versteinerter Poesie, und alle zu- sammen eine vom Hauche ehrwürdiger Zeiten getragene Harmonie. Unzähligemale hat der Künstler das Bild uns dargestellt, jetzt aber erscheint es uns verjüngt, ja neu, wir wähnen nichts Aehnliches früher geschaut zu haben. Der säulengetragene Dogenpalast, der berühmte Palazzo ducale, ein Prachtbau in venetianisch-gothischem Style, in dessen Räumen einstens Serenissimus, der fürstliche Doge, und der grosse Rath die Staatsgeschäfte leiteten, wird sogleich zum Mittelpunkt un- seres Interesses, wie er ehemals das Herz der Republik gebildet hatte. Gewaltig sind die Erinnerungen, die an ihn sich knüpfen. Er sah die Vaterstadt auf dem Gipfel ihrer Macht, auf der Höhe ihres Glanzes, umworben und beneidet von allen Culturvölkern der Erde; allein er sollte auch Zeuge werden ihres schmählichen Falles, der am 12. Mai 1797 sich vollzog. Die Westfront des Dogenpalastes flankirt die sogenannte Piazzetta, ein in den Marcusplatz einmündender, gegen die Lagune offener Platz, den die zwei berühmten syrischen Granitsäulen des Dogen Michiel (1120) zieren. Hier, wo heute ein lebhafter Verkehr froher Menschen flutet, wurden ehemals die Todesurtheile vollzogen. Gegenüber dem Dogenpalaste bewundern wir den jetzt zum königlichen Palais gehö- renden Prachtbau der Bibliothek (Antica libreria di S. Marco), eines Meisterwerkes Sansovino’s (1536), gleichzeitig eines der schönsten Bauwerke des Cinque cento und vielleicht der herrlichste Profanbau Italiens. Die Bibliothek findet in dem grossartigen Palast der Procura- zien, welcher den mit Trachyt- und Marmorplatten belegten Marcusplatz auf drei Seiten umschliesst, eine natürliche Fortsetzung. Unter den reich gegliederten Bogengängen haben elegante Kaffeehäuser und Kauf- läden sich etablirt und dadurch ohne Zweifel beigetragen, den Mittel-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/59>, abgerufen am 08.05.2024.