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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
10.000 Mann. Nebstdem konnte man dort grosse Herden Schlachtvieh
(bis 2500 Ochsen) zur Approvisionirung der Hauptstadt in Bereitschaft
halten.

Ein eigenthümliches unvergleichlich anziehendes Leben entfaltet
sich vor unseren Blicken, wenn wir aus dem Engpass des Lido die
inneren Lagunen erreichen und längs der Canalpfähle gegen Venedig
dampfen. Jetzt erst gewahrt man die bedeutende Zahl von Eilanden, deren
fast jedes ein oder mehrere grössere Bauwerke trägt. Der grüne
Schmuck des Laubwerkes tönt das Bild vortheilhaft ab. Man sieht,
dass das spärliche Lagunenterrain vorzüglich ausgenützt ward. Auf-
fallend ist die Menge der Thürme und Glockengiebel, die indes eine
wohlthuende festliche Stimmung vermitteln. Venedig hatte von jeher
der Entfaltung der katholischen Kirche, deren volle Unterstützung seine
Dogen häufig genossen, den freiesten Spielraum gewährt, und die zahl-
reichen prachtvollen kirchlichen Bauten, worin die Eigenart der
venetianischen Kunst verkörpert ist, sind und waren auch die ergie-
bigsten Quellen seines Glanzes. Der gleichen religiösen Stimmung der
Bevölkerung entsprechend, fand das Klosterleben einen günstigen
Boden zur Entwicklung, und wir wissen, dass beim Sturze der Republik
123 Klöster in Venedig und auf den Laguneninseln bestanden. Die
Hochhaltung der katholischen Kirche hinderte die Republik aber
keineswegs, in der Levante den staatsklugen Grundsatz der Duldung
zu bethätigen und schonend sich zu benehmen.

Zu den stabilen Objecten des Lagunenbildes gesellen sich nun
auch die behenden Gestalten der Fahrzeuge des venetianischen Ge-
bietes. Flinke, flachgebaute Batelli, dann wieder die pfeilschnell vorbei-
schiessenden Vipere kreuzen, von zwei bis vier Ruderern bewegt, das
Fahrwasser, während der eigentliche Beherrscher des Lagunenplanes
das leichtbeschwingte Fischerboot des Chioggioten, das auch weit
draussen in hoher See Bewunderung erregt, wie ein Schmetterling rechts
und links und selbst am fernen Horizonte seine farbigen Flügel zeigt.
Die schwarz gedeckte Gondel erscheint in Gesellschaft ihrer fröhlichen
Genossen, noch mehr aber neben den raschen und lärmenden Local-
dampfern, welche zu den Seebädern am Lido verkehren, wie ein Ana-
chronismus; man ist versucht, an ein geheimnissvolles "Vermächtniss
der Ahnfrau" zu denken, das den Blicken der Profanen entzogen
werden soll. So düster schleicht das Fahrzeug einher, und fast dro-
hend blitzt das hellebardenartig gezackte Eisen seines Buges. Ohne
Gondeln ist jedoch Venedig fast undenkbar. Da keine Wagen in der
Stadt verkehren können, so schuf man sich gedeckte, mit schwellen-

Das Mittelmeerbecken.
10.000 Mann. Nebstdem konnte man dort grosse Herden Schlachtvieh
(bis 2500 Ochsen) zur Approvisionirung der Hauptstadt in Bereitschaft
halten.

Ein eigenthümliches unvergleichlich anziehendes Leben entfaltet
sich vor unseren Blicken, wenn wir aus dem Engpass des Lido die
inneren Lagunen erreichen und längs der Canalpfähle gegen Venedig
dampfen. Jetzt erst gewahrt man die bedeutende Zahl von Eilanden, deren
fast jedes ein oder mehrere grössere Bauwerke trägt. Der grüne
Schmuck des Laubwerkes tönt das Bild vortheilhaft ab. Man sieht,
dass das spärliche Lagunenterrain vorzüglich ausgenützt ward. Auf-
fallend ist die Menge der Thürme und Glockengiebel, die indes eine
wohlthuende festliche Stimmung vermitteln. Venedig hatte von jeher
der Entfaltung der katholischen Kirche, deren volle Unterstützung seine
Dogen häufig genossen, den freiesten Spielraum gewährt, und die zahl-
reichen prachtvollen kirchlichen Bauten, worin die Eigenart der
venetianischen Kunst verkörpert ist, sind und waren auch die ergie-
bigsten Quellen seines Glanzes. Der gleichen religiösen Stimmung der
Bevölkerung entsprechend, fand das Klosterleben einen günstigen
Boden zur Entwicklung, und wir wissen, dass beim Sturze der Republik
123 Klöster in Venedig und auf den Laguneninseln bestanden. Die
Hochhaltung der katholischen Kirche hinderte die Republik aber
keineswegs, in der Levante den staatsklugen Grundsatz der Duldung
zu bethätigen und schonend sich zu benehmen.

Zu den stabilen Objecten des Lagunenbildes gesellen sich nun
auch die behenden Gestalten der Fahrzeuge des venetianischen Ge-
bietes. Flinke, flachgebaute Batelli, dann wieder die pfeilschnell vorbei-
schiessenden Vipere kreuzen, von zwei bis vier Ruderern bewegt, das
Fahrwasser, während der eigentliche Beherrscher des Lagunenplanes
das leichtbeschwingte Fischerboot des Chioggioten, das auch weit
draussen in hoher See Bewunderung erregt, wie ein Schmetterling rechts
und links und selbst am fernen Horizonte seine farbigen Flügel zeigt.
Die schwarz gedeckte Gondel erscheint in Gesellschaft ihrer fröhlichen
Genossen, noch mehr aber neben den raschen und lärmenden Local-
dampfern, welche zu den Seebädern am Lido verkehren, wie ein Ana-
chronismus; man ist versucht, an ein geheimnissvolles „Vermächtniss
der Ahnfrau“ zu denken, das den Blicken der Profanen entzogen
werden soll. So düster schleicht das Fahrzeug einher, und fast dro-
hend blitzt das hellebardenartig gezackte Eisen seines Buges. Ohne
Gondeln ist jedoch Venedig fast undenkbar. Da keine Wagen in der
Stadt verkehren können, so schuf man sich gedeckte, mit schwellen-

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[38/0058] Das Mittelmeerbecken. 10.000 Mann. Nebstdem konnte man dort grosse Herden Schlachtvieh (bis 2500 Ochsen) zur Approvisionirung der Hauptstadt in Bereitschaft halten. Ein eigenthümliches unvergleichlich anziehendes Leben entfaltet sich vor unseren Blicken, wenn wir aus dem Engpass des Lido die inneren Lagunen erreichen und längs der Canalpfähle gegen Venedig dampfen. Jetzt erst gewahrt man die bedeutende Zahl von Eilanden, deren fast jedes ein oder mehrere grössere Bauwerke trägt. Der grüne Schmuck des Laubwerkes tönt das Bild vortheilhaft ab. Man sieht, dass das spärliche Lagunenterrain vorzüglich ausgenützt ward. Auf- fallend ist die Menge der Thürme und Glockengiebel, die indes eine wohlthuende festliche Stimmung vermitteln. Venedig hatte von jeher der Entfaltung der katholischen Kirche, deren volle Unterstützung seine Dogen häufig genossen, den freiesten Spielraum gewährt, und die zahl- reichen prachtvollen kirchlichen Bauten, worin die Eigenart der venetianischen Kunst verkörpert ist, sind und waren auch die ergie- bigsten Quellen seines Glanzes. Der gleichen religiösen Stimmung der Bevölkerung entsprechend, fand das Klosterleben einen günstigen Boden zur Entwicklung, und wir wissen, dass beim Sturze der Republik 123 Klöster in Venedig und auf den Laguneninseln bestanden. Die Hochhaltung der katholischen Kirche hinderte die Republik aber keineswegs, in der Levante den staatsklugen Grundsatz der Duldung zu bethätigen und schonend sich zu benehmen. Zu den stabilen Objecten des Lagunenbildes gesellen sich nun auch die behenden Gestalten der Fahrzeuge des venetianischen Ge- bietes. Flinke, flachgebaute Batelli, dann wieder die pfeilschnell vorbei- schiessenden Vipere kreuzen, von zwei bis vier Ruderern bewegt, das Fahrwasser, während der eigentliche Beherrscher des Lagunenplanes das leichtbeschwingte Fischerboot des Chioggioten, das auch weit draussen in hoher See Bewunderung erregt, wie ein Schmetterling rechts und links und selbst am fernen Horizonte seine farbigen Flügel zeigt. Die schwarz gedeckte Gondel erscheint in Gesellschaft ihrer fröhlichen Genossen, noch mehr aber neben den raschen und lärmenden Local- dampfern, welche zu den Seebädern am Lido verkehren, wie ein Ana- chronismus; man ist versucht, an ein geheimnissvolles „Vermächtniss der Ahnfrau“ zu denken, das den Blicken der Profanen entzogen werden soll. So düster schleicht das Fahrzeug einher, und fast dro- hend blitzt das hellebardenartig gezackte Eisen seines Buges. Ohne Gondeln ist jedoch Venedig fast undenkbar. Da keine Wagen in der Stadt verkehren können, so schuf man sich gedeckte, mit schwellen-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/58>, abgerufen am 08.05.2024.