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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Marseille.
erfrischenden Anblick auf das weite Meer und die malerischen Inseln
der Bucht von Marseille.

Ungeachtet der Classicität des alten Marseille, besitzt die Stadt
-- wie schon angedeutet -- gar keine an die vorchristliche Periode
erinnernden und überhaupt keine wahrhaft alten Bauwerke. Was an
Fragmenten älterer Gebäude vorhanden ist, reicht nicht über das
XI. Jahrhundert zurück. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass
Marseille nie für Jahrhunderte völlig verarmte und menschenleer wurde,
wie etwa Ravenna. Die Baulust ruhte nie und die späteren Geschlechter
warfen pietätlos die Bauten der Vorfahren um, weil sie Platz und
Material brauchten. So verschwanden die alten Bauwerke in neuen.
Welch ein Unterschied gegen Arles, das allerdings mehr als 1000
Jahre keine Rolle mehr spielt! Was an Marseilles Bauwerken schön
genannt werden kann, ist fast ausnahmslos modern, sogar ganz mo-
dern, und was alt, wie einige Kirchen, ist wiederholt umgebaut.
Nichts erinnert daran, dass man auf dem Pflaster von Marseille nach
Jahrtausenden rechnen kann.

Unter den durch eine auffallende Architektur, Grösse und kost-
bares Material hervorragendsten Monumentalbauten beansprucht die
neue auf einer 9 m hohen, künstlich aufgeführten Plattform ruhende
Kathedrale am Quai de la Joliette den ersten Rang.

Fünf Thüren und Kuppeln überragen die in byzantinisch-roma-
nischem Styl gehaltene Basilika, deren 1852 begonnener Bau gegen-
wärtig der Vollendung entgegengeht. Kein anderer Baustyl hätte die
uralten Beziehungen Marseilles zum Oriente zu versinnlichen vermocht,
wie der erwähnte, in welchem ausser den byzantinisch-romanischen
Motiven auch neuere classische Erinnerungen glücklich verwerthet
erscheinen.

Die alte Kathedrale La Major (Ste. Marie Majoure), am Ende
der Esplanade La Torette gelegen, wurde grösstentheils abgetragen.
Sie soll der Ueberlieferung nach auf den Ruinen eines Baaltempels er-
baut worden sein.

Eine der schönsten Kirchen ist die im byzantinischen Style
gehaltene, auf der Höhe errichtete Notre-Dame de la Garde, an deren
Stelle ehemals die aus dem Jahre 1214 entstammte berühmte Capelle
gleichen Namens gestanden hatte. Die neue, 1864 eingeweihte, reich
mit Marmorsculpturen und Malereien gezierte Kirche ist von einer
Kuppel und einem 45 m hohen Thurm überragt.

Die Spitze des letzteren nimmt eine 9 m hohe vergoldete Statue

50*

Marseille.
erfrischenden Anblick auf das weite Meer und die malerischen Inseln
der Bucht von Marseille.

Ungeachtet der Classicität des alten Marseille, besitzt die Stadt
— wie schon angedeutet — gar keine an die vorchristliche Periode
erinnernden und überhaupt keine wahrhaft alten Bauwerke. Was an
Fragmenten älterer Gebäude vorhanden ist, reicht nicht über das
XI. Jahrhundert zurück. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass
Marseille nie für Jahrhunderte völlig verarmte und menschenleer wurde,
wie etwa Ravenna. Die Baulust ruhte nie und die späteren Geschlechter
warfen pietätlos die Bauten der Vorfahren um, weil sie Platz und
Material brauchten. So verschwanden die alten Bauwerke in neuen.
Welch ein Unterschied gegen Arles, das allerdings mehr als 1000
Jahre keine Rolle mehr spielt! Was an Marseilles Bauwerken schön
genannt werden kann, ist fast ausnahmslos modern, sogar ganz mo-
dern, und was alt, wie einige Kirchen, ist wiederholt umgebaut.
Nichts erinnert daran, dass man auf dem Pflaster von Marseille nach
Jahrtausenden rechnen kann.

Unter den durch eine auffallende Architektur, Grösse und kost-
bares Material hervorragendsten Monumentalbauten beansprucht die
neue auf einer 9 m hohen, künstlich aufgeführten Plattform ruhende
Kathedrale am Quai de la Joliette den ersten Rang.

Fünf Thüren und Kuppeln überragen die in byzantinisch-roma-
nischem Styl gehaltene Basilika, deren 1852 begonnener Bau gegen-
wärtig der Vollendung entgegengeht. Kein anderer Baustyl hätte die
uralten Beziehungen Marseilles zum Oriente zu versinnlichen vermocht,
wie der erwähnte, in welchem ausser den byzantinisch-romanischen
Motiven auch neuere classische Erinnerungen glücklich verwerthet
erscheinen.

Die alte Kathedrale La Major (Ste. Marie Majoure), am Ende
der Esplanade La Torette gelegen, wurde grösstentheils abgetragen.
Sie soll der Ueberlieferung nach auf den Ruinen eines Baaltempels er-
baut worden sein.

Eine der schönsten Kirchen ist die im byzantinischen Style
gehaltene, auf der Höhe errichtete Nôtre-Dame de la Garde, an deren
Stelle ehemals die aus dem Jahre 1214 entstammte berühmte Capelle
gleichen Namens gestanden hatte. Die neue, 1864 eingeweihte, reich
mit Marmorsculpturen und Malereien gezierte Kirche ist von einer
Kuppel und einem 45 m hohen Thurm überragt.

Die Spitze des letzteren nimmt eine 9 m hohe vergoldete Statue

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[395/0415] Marseille. erfrischenden Anblick auf das weite Meer und die malerischen Inseln der Bucht von Marseille. Ungeachtet der Classicität des alten Marseille, besitzt die Stadt — wie schon angedeutet — gar keine an die vorchristliche Periode erinnernden und überhaupt keine wahrhaft alten Bauwerke. Was an Fragmenten älterer Gebäude vorhanden ist, reicht nicht über das XI. Jahrhundert zurück. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass Marseille nie für Jahrhunderte völlig verarmte und menschenleer wurde, wie etwa Ravenna. Die Baulust ruhte nie und die späteren Geschlechter warfen pietätlos die Bauten der Vorfahren um, weil sie Platz und Material brauchten. So verschwanden die alten Bauwerke in neuen. Welch ein Unterschied gegen Arles, das allerdings mehr als 1000 Jahre keine Rolle mehr spielt! Was an Marseilles Bauwerken schön genannt werden kann, ist fast ausnahmslos modern, sogar ganz mo- dern, und was alt, wie einige Kirchen, ist wiederholt umgebaut. Nichts erinnert daran, dass man auf dem Pflaster von Marseille nach Jahrtausenden rechnen kann. Unter den durch eine auffallende Architektur, Grösse und kost- bares Material hervorragendsten Monumentalbauten beansprucht die neue auf einer 9 m hohen, künstlich aufgeführten Plattform ruhende Kathedrale am Quai de la Joliette den ersten Rang. Fünf Thüren und Kuppeln überragen die in byzantinisch-roma- nischem Styl gehaltene Basilika, deren 1852 begonnener Bau gegen- wärtig der Vollendung entgegengeht. Kein anderer Baustyl hätte die uralten Beziehungen Marseilles zum Oriente zu versinnlichen vermocht, wie der erwähnte, in welchem ausser den byzantinisch-romanischen Motiven auch neuere classische Erinnerungen glücklich verwerthet erscheinen. Die alte Kathedrale La Major (Ste. Marie Majoure), am Ende der Esplanade La Torette gelegen, wurde grösstentheils abgetragen. Sie soll der Ueberlieferung nach auf den Ruinen eines Baaltempels er- baut worden sein. Eine der schönsten Kirchen ist die im byzantinischen Style gehaltene, auf der Höhe errichtete Nôtre-Dame de la Garde, an deren Stelle ehemals die aus dem Jahre 1214 entstammte berühmte Capelle gleichen Namens gestanden hatte. Die neue, 1864 eingeweihte, reich mit Marmorsculpturen und Malereien gezierte Kirche ist von einer Kuppel und einem 45 m hohen Thurm überragt. Die Spitze des letzteren nimmt eine 9 m hohe vergoldete Statue 50*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/415>, abgerufen am 22.11.2024.