Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_078.001 ple_078.005 ple_078.011 ple_078.035 1) ple_078.041 Das Stilgesetz der Poesie. Leipzig 1901. 2) ple_078.042
Über Goethes Hermann und Dorothea, a. a. O. S. 158. ple_078.001 ple_078.005 ple_078.011 ple_078.035 1) ple_078.041 Das Stilgesetz der Poesie. Leipzig 1901. 2) ple_078.042
Über Goethes Hermann und Dorothea, a. a. O. S. 158. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0092" n="78"/><lb n="ple_078.001"/> bloß durch ihren Klang, sondern auch durch ihren Gefühlswert, unmittelbar <lb n="ple_078.002"/> Empfindungen, die sich vereinen, um eine Stimmung hervorzurufen, welche <lb n="ple_078.003"/> das anschauliche Bild gleichsam unter sich läßt und sich schwebend von <lb n="ple_078.004"/> ihm entfernt.</p> <p><lb n="ple_078.005"/> Das Verdienst nun, mit den Erfahrungen dieser künstlerischen Entwicklung <lb n="ple_078.006"/> und zugleich mit den methodisch erworbenen Einsichten der <lb n="ple_078.007"/> modernen Wissenschaft aufs neue an das Problem des Laokoon herangetreten <lb n="ple_078.008"/> zu sein, gebührt <hi rendition="#g">Theodor</hi> A. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> der in einem inhaltreichen <lb n="ple_078.009"/> und gedankenscharfen Buche<note xml:id="ple_078_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_078.041"/> Das Stilgesetz der Poesie. Leipzig 1901.</note> das Verhältnis der Dichtersprache zur Anschauung <lb n="ple_078.010"/> psychologisch untersucht hat.</p> <p><lb n="ple_078.011"/> Was zeigt nun eine solche Untersuchung? Zunächst dies, daß Worte <lb n="ple_078.012"/> und Anschauungen sich tatsächlich niemals decken. Aller sprachliche Ausdruck <lb n="ple_078.013"/> beruht auf Abstraktion; Worte heben immer nur diejenigen Beziehungen <lb n="ple_078.014"/> eines Gegenstandes oder Vorgangs heraus, die für den Zweck des <lb n="ple_078.015"/> Sprechenden, für den Zusammenhang der Rede Bedeutung haben, und auch <lb n="ple_078.016"/> diese stets in einer allgemeinen, mithin abstrakten Form: das Wort an sich <lb n="ple_078.017"/> bezeichnet niemals eine konkrete und individuelle Anschauung, sondern <lb n="ple_078.018"/> immer nur einen allgemeinen Begriff. Und wenn nun auch verschiedene <lb n="ple_078.019"/> Begriffe einander bestimmen und zu engeren, also anschaulicheren Vorstellungen <lb n="ple_078.020"/> gegenseitig determinieren, so erreichen doch auch solche Wortverbindungen <lb n="ple_078.021"/> niemals die anschauliche Bestimmtheit eines konkreten Bildes, <lb n="ple_078.022"/> und das Individuelle als solches bleibt immer unaussprechlich. Das wußte <lb n="ple_078.023"/> schon Wilhelm von Humboldt. „Die Poesie“, sagt er,<note xml:id="ple_078_2" place="foot" n="2)"><lb n="ple_078.042"/> Über Goethes Hermann und Dorothea, a. a. O. S. 158.</note> „ist die <hi rendition="#g">Kunst</hi> <lb n="ple_078.024"/> durch <hi rendition="#g">Sprache.</hi> In dieser kurzen Beschreibung liegt für denjenigen, welcher <lb n="ple_078.025"/> den vollen Sinn dieser beiden Wörter faßt, ihre ganze Höhe und unbegreifliche <lb n="ple_078.026"/> Natur. Sie soll den Widerspruch, worin die Kunst, welche nur in <lb n="ple_078.027"/> der Einbildungskraft lebt und nichts als Individuen will, mit der Sprache <lb n="ple_078.028"/> steht, die bloß für den Verstand da ist und alles in allgemeine Begriffe <lb n="ple_078.029"/> verwandelt, — diesen Widerspruch soll sie nicht etwa <hi rendition="#g">lösen,</hi> so daß <hi rendition="#g">nichts</hi> <lb n="ple_078.030"/> an die Stelle treten, sondern <hi rendition="#g">vereinigen,</hi> daß aus beiden ein <hi rendition="#g">Etwas</hi> <lb n="ple_078.031"/> werde, was mehr sei, als jedes einzelne für sich war.“ Die Schärfe der <lb n="ple_078.032"/> begrifflichen Beziehungen hervortreten zu lassen, ist die Aufgabe und die <lb n="ple_078.033"/> Kunst der prosaischen Sprachbehandlung. Was nun aber ist die Eigenart der <lb n="ple_078.034"/> Dichtersprache und der dichterischen Darstellung, die aus ihr hervorwächst?</p> <p><lb n="ple_078.035"/> Kraft des innerlichen Erlebens ist der Mutterschoß der künstlerischen <lb n="ple_078.036"/> Schöpfung. Alle künstlerische Wirkung beruht darauf, daß wir diese innere <lb n="ple_078.037"/> Kraft und Lebendigkeit nachempfindend genießen. Das gilt für die Poesie <lb n="ple_078.038"/> wie für alle übrigen Künste. Schönheit genießen heißt innere Lebendigkeit, <lb n="ple_078.039"/> „die Lebensfülle und den Kraftreichtum der Welt“ nachempfinden. Auf den <lb n="ple_078.040"/> Begriff der <hi rendition="#g">Nachempfindung</hi> überhaupt kommt es zunächst an.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0092]
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bloß durch ihren Klang, sondern auch durch ihren Gefühlswert, unmittelbar ple_078.002
Empfindungen, die sich vereinen, um eine Stimmung hervorzurufen, welche ple_078.003
das anschauliche Bild gleichsam unter sich läßt und sich schwebend von ple_078.004
ihm entfernt.
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Das Verdienst nun, mit den Erfahrungen dieser künstlerischen Entwicklung ple_078.006
und zugleich mit den methodisch erworbenen Einsichten der ple_078.007
modernen Wissenschaft aufs neue an das Problem des Laokoon herangetreten ple_078.008
zu sein, gebührt Theodor A. Meyer, der in einem inhaltreichen ple_078.009
und gedankenscharfen Buche 1) das Verhältnis der Dichtersprache zur Anschauung ple_078.010
psychologisch untersucht hat.
ple_078.011
Was zeigt nun eine solche Untersuchung? Zunächst dies, daß Worte ple_078.012
und Anschauungen sich tatsächlich niemals decken. Aller sprachliche Ausdruck ple_078.013
beruht auf Abstraktion; Worte heben immer nur diejenigen Beziehungen ple_078.014
eines Gegenstandes oder Vorgangs heraus, die für den Zweck des ple_078.015
Sprechenden, für den Zusammenhang der Rede Bedeutung haben, und auch ple_078.016
diese stets in einer allgemeinen, mithin abstrakten Form: das Wort an sich ple_078.017
bezeichnet niemals eine konkrete und individuelle Anschauung, sondern ple_078.018
immer nur einen allgemeinen Begriff. Und wenn nun auch verschiedene ple_078.019
Begriffe einander bestimmen und zu engeren, also anschaulicheren Vorstellungen ple_078.020
gegenseitig determinieren, so erreichen doch auch solche Wortverbindungen ple_078.021
niemals die anschauliche Bestimmtheit eines konkreten Bildes, ple_078.022
und das Individuelle als solches bleibt immer unaussprechlich. Das wußte ple_078.023
schon Wilhelm von Humboldt. „Die Poesie“, sagt er, 2) „ist die Kunst ple_078.024
durch Sprache. In dieser kurzen Beschreibung liegt für denjenigen, welcher ple_078.025
den vollen Sinn dieser beiden Wörter faßt, ihre ganze Höhe und unbegreifliche ple_078.026
Natur. Sie soll den Widerspruch, worin die Kunst, welche nur in ple_078.027
der Einbildungskraft lebt und nichts als Individuen will, mit der Sprache ple_078.028
steht, die bloß für den Verstand da ist und alles in allgemeine Begriffe ple_078.029
verwandelt, — diesen Widerspruch soll sie nicht etwa lösen, so daß nichts ple_078.030
an die Stelle treten, sondern vereinigen, daß aus beiden ein Etwas ple_078.031
werde, was mehr sei, als jedes einzelne für sich war.“ Die Schärfe der ple_078.032
begrifflichen Beziehungen hervortreten zu lassen, ist die Aufgabe und die ple_078.033
Kunst der prosaischen Sprachbehandlung. Was nun aber ist die Eigenart der ple_078.034
Dichtersprache und der dichterischen Darstellung, die aus ihr hervorwächst?
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Kraft des innerlichen Erlebens ist der Mutterschoß der künstlerischen ple_078.036
Schöpfung. Alle künstlerische Wirkung beruht darauf, daß wir diese innere ple_078.037
Kraft und Lebendigkeit nachempfindend genießen. Das gilt für die Poesie ple_078.038
wie für alle übrigen Künste. Schönheit genießen heißt innere Lebendigkeit, ple_078.039
„die Lebensfülle und den Kraftreichtum der Welt“ nachempfinden. Auf den ple_078.040
Begriff der Nachempfindung überhaupt kommt es zunächst an.
1) ple_078.041
Das Stilgesetz der Poesie. Leipzig 1901.
2) ple_078.042
Über Goethes Hermann und Dorothea, a. a. O. S. 158.
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