Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908. ple_074.001 Zweiter Teil. ple_074.002 Die Formenelemente der Poesie. ple_074.003 8. Sprache und Anschauung. Das Wesen aller Kunst, dies hat uns ple_074.004 ple_074.013 ple_074.030 ple_074.001 Zweiter Teil. ple_074.002 Die Formenelemente der Poesie. ple_074.003 8. Sprache und Anschauung. Das Wesen aller Kunst, dies hat uns ple_074.004 ple_074.013 ple_074.030 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0088" n="E74"/> </div> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <lb n="ple_074.001"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Zweiter Teil.</hi><lb n="ple_074.002"/> Die Formenelemente der Poesie.</hi> </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <lb n="ple_074.003"/> <hi rendition="#b">8. Sprache und Anschauung.</hi> </head> <p> Das Wesen aller Kunst, dies hat uns <lb n="ple_074.004"/> die bisherige Betrachtung gelehrt, beruht darauf, daß sie ein inneres <hi rendition="#g">Erlebnis</hi> <lb n="ple_074.005"/> des Künstlers — das Wort im weitesten Sinne genommen — in der <lb n="ple_074.006"/> Phantasie des Beschauers oder Hörers lebendig macht, ihn zwingt es nachzuerleben. <lb n="ple_074.007"/> Hierzu bedarf sie äußerer Darstellungsmittel, eines Mediums, <lb n="ple_074.008"/> durch dessen Gestaltung sie eine solche Wirkung erreicht. Die Verschiedenheit <lb n="ple_074.009"/> dieser Darstellungsmittel scheidet die einzelnen Künste voneinander. <lb n="ple_074.010"/> Ausdrucksmittel und Medium der <hi rendition="#g">Poesie</hi> ist die Sprache; die Dichtkunst <lb n="ple_074.011"/> ist <hi rendition="#g">Wortkunst,</hi> wie die Musik Tonkunst und die Malerei Kunst der Farbe <lb n="ple_074.012"/> ist. Hierdurch wird ihre Eigenart bestimmt.</p> <p><lb n="ple_074.013"/> Es wäre nun aber offenbar falsch anzunehmen, daß diese Verschiedenheit <lb n="ple_074.014"/> der Künste nur äußerlicher und gewissermaßen zufälliger Art sei, daß <lb n="ple_074.015"/> es die gleichen Erlebnisse wären, welche die verschiedenen Künste auf ihre <lb n="ple_074.016"/> Art vermitteln wollten und könnten. Nicht jedes Erlebnis ist den verschiedenen <lb n="ple_074.017"/> Darstellungsmitteln in gleicher Weise zugänglich, und es sind <lb n="ple_074.018"/> zum mindesten immer verschiedene Seiten eines Vorgangs, was der Maler <lb n="ple_074.019"/> in Farben, der Musiker in Tönen und der Dichter in Worten wiederzugeben <lb n="ple_074.020"/> vermag. Die Verschiedenheit der Darstellungsmittel also bedingt eine Verschiedenheit <lb n="ple_074.021"/> des inneren Erlebnisses, des künstlerischen Vorgangs in der <lb n="ple_074.022"/> Seele des Empfangenden sowohl wie des Schaffenden. Wählt doch der <lb n="ple_074.023"/> Künstler seine besonderen Darstellungsmittel nicht etwa beliebig oder nach <lb n="ple_074.024"/> äußeren Zweckmäßigkeitsgründen, sondern seine individuelle Begabung <lb n="ple_074.025"/> nötigt sie ihm auf; und für den Dichter ist das Wort selbst ein ebenso <lb n="ple_074.026"/> wesentlicher Teil des Erlebnisses wie für den Musiker die Melodien und <lb n="ple_074.027"/> für den Bildner die Form. Was also ist die innere Eigenart der Poesie, <lb n="ple_074.028"/> wie sie durch die Natur der Sprache bestimmt und gegen die der übrigen <lb n="ple_074.029"/> Künste abgegrenzt ist?</p> <p><lb n="ple_074.030"/> Die Frage läßt sich bestimmter fassen. Alles was die Phantasie in <lb n="ple_074.031"/> eine zugleich lebendige und bestimmt gerichtete Tätigkeit versetzt, pflegen <lb n="ple_074.032"/> wir <hi rendition="#g">anschaulich</hi> zu nennen, und in diesem Sinne ist <hi rendition="#g">Anschaulichkeit</hi> <lb n="ple_074.033"/> der Darstellung das Ziel, das jeder Künstler mit den Mitteln seiner Kunst </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E74/0088]
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Zweiter Teil. ple_074.002
Die Formenelemente der Poesie.
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8. Sprache und Anschauung. Das Wesen aller Kunst, dies hat uns ple_074.004
die bisherige Betrachtung gelehrt, beruht darauf, daß sie ein inneres Erlebnis ple_074.005
des Künstlers — das Wort im weitesten Sinne genommen — in der ple_074.006
Phantasie des Beschauers oder Hörers lebendig macht, ihn zwingt es nachzuerleben. ple_074.007
Hierzu bedarf sie äußerer Darstellungsmittel, eines Mediums, ple_074.008
durch dessen Gestaltung sie eine solche Wirkung erreicht. Die Verschiedenheit ple_074.009
dieser Darstellungsmittel scheidet die einzelnen Künste voneinander. ple_074.010
Ausdrucksmittel und Medium der Poesie ist die Sprache; die Dichtkunst ple_074.011
ist Wortkunst, wie die Musik Tonkunst und die Malerei Kunst der Farbe ple_074.012
ist. Hierdurch wird ihre Eigenart bestimmt.
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Es wäre nun aber offenbar falsch anzunehmen, daß diese Verschiedenheit ple_074.014
der Künste nur äußerlicher und gewissermaßen zufälliger Art sei, daß ple_074.015
es die gleichen Erlebnisse wären, welche die verschiedenen Künste auf ihre ple_074.016
Art vermitteln wollten und könnten. Nicht jedes Erlebnis ist den verschiedenen ple_074.017
Darstellungsmitteln in gleicher Weise zugänglich, und es sind ple_074.018
zum mindesten immer verschiedene Seiten eines Vorgangs, was der Maler ple_074.019
in Farben, der Musiker in Tönen und der Dichter in Worten wiederzugeben ple_074.020
vermag. Die Verschiedenheit der Darstellungsmittel also bedingt eine Verschiedenheit ple_074.021
des inneren Erlebnisses, des künstlerischen Vorgangs in der ple_074.022
Seele des Empfangenden sowohl wie des Schaffenden. Wählt doch der ple_074.023
Künstler seine besonderen Darstellungsmittel nicht etwa beliebig oder nach ple_074.024
äußeren Zweckmäßigkeitsgründen, sondern seine individuelle Begabung ple_074.025
nötigt sie ihm auf; und für den Dichter ist das Wort selbst ein ebenso ple_074.026
wesentlicher Teil des Erlebnisses wie für den Musiker die Melodien und ple_074.027
für den Bildner die Form. Was also ist die innere Eigenart der Poesie, ple_074.028
wie sie durch die Natur der Sprache bestimmt und gegen die der übrigen ple_074.029
Künste abgegrenzt ist?
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Die Frage läßt sich bestimmter fassen. Alles was die Phantasie in ple_074.031
eine zugleich lebendige und bestimmt gerichtete Tätigkeit versetzt, pflegen ple_074.032
wir anschaulich zu nennen, und in diesem Sinne ist Anschaulichkeit ple_074.033
der Darstellung das Ziel, das jeder Künstler mit den Mitteln seiner Kunst
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