Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_123.001 ple_123.009 ple_123.030 1) ple_123.041
Beiträge zu einer Ästhetik der Lyrik (Halle 1905) S. 9. Der Ausdruck gnomisch ple_123.042 ist offenbar verfehlt, aber was er bezeichnen will, ist an sich richtig. ple_123.001 ple_123.009 ple_123.030 1) ple_123.041
Beiträge zu einer Ästhetik der Lyrik (Halle 1905) S. 9. Der Ausdruck gnomisch ple_123.042 ist offenbar verfehlt, aber was er bezeichnen will, ist an sich richtig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0137" n="123"/><lb n="ple_123.001"/> Goethe den Weg zu ihr gebrochen und sie als erster erreicht. <lb n="ple_123.002"/> Eichendorff, Heine, auch Mörike haben ihm zu folgen vermocht. In <lb n="ple_123.003"/> Jägers Abendlied, in den beiden Nachtliedern des Wanderers, in dem Gedicht <lb n="ple_123.004"/> An den Mond ist das künstlerisch Zwingende des Wortes aufs höchste <lb n="ple_123.005"/> gesteigert. Jeder Hörer und Leser steht unter dem Eindruck: so habe <lb n="ple_123.006"/> ich's auch empfunden und erlebt, doch nicht ausdrücken können, unter <lb n="ple_123.007"/> dem Eindruck: nicht anders, nicht besser kann ausgesprochen werden, was <lb n="ple_123.008"/> durch das Labyrinth der Menschenbrust wandelt. —</p> <p><lb n="ple_123.009"/> Versuchen wir nunmehr näher in das Geheimnis dieser Sprachkunst <lb n="ple_123.010"/> und ihrer Wirkung einzudringen, so müssen wir uns dessen erinnern, was <lb n="ple_123.011"/> uns das sechste Kapitel über das Wesen der Dichtersprache gelehrt hat. <lb n="ple_123.012"/> Jedes innere Erlebnis besteht aus einem lebendigen und einheitlichen Zusammenhang <lb n="ple_123.013"/> von Gedanken und Empfindungen. Indem der Dichter nun <lb n="ple_123.014"/> einen solchen darstellt, ist ihm das Wort entweder ganz unmittelbar Ausdruck <lb n="ple_123.015"/> seiner Gefühle, oder es tritt ihm zwischen Stimmung und Klanggebilde <lb n="ple_123.016"/> die bildliche Anschauung als vermittelndes Glied. In diesem Sinne <lb n="ple_123.017"/> konnten wir sagen, daß alle poetischen Schöpfungen sich auf einer Skala <lb n="ple_123.018"/> zwischen der rein akustischen und der anschaulich bildenden Wirkung <lb n="ple_123.019"/> bewegen und zumeist von beiden etwas an sich tragen. Sinn, Klang und <lb n="ple_123.020"/> Bild erscheinen somit als die drei Elemente eines jeden Gedichtes, und mit <lb n="ple_123.021"/> Recht unterscheidet <hi rendition="#g">Geiger</hi> in seinem schon öfter angeführten Buche drei <lb n="ple_123.022"/> Wirkungsmöglichkeiten, die er als <hi rendition="#g">gnomische, anschauliche</hi> und <lb n="ple_123.023"/> <hi rendition="#g">musikalische</hi> bezeichnet.<note xml:id="ple_123_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_123.041"/> Beiträge zu einer Ästhetik der Lyrik (Halle 1905) S. 9. Der Ausdruck <hi rendition="#g">gnomisch</hi> <lb n="ple_123.042"/> ist offenbar verfehlt, aber was er bezeichnen will, ist an sich richtig.</note> Der Dichter strebt entweder nach einer unmittelbaren <lb n="ple_123.024"/> und einfachen Wiedergabe dessen, was in ihm vorgeht: das <lb n="ple_123.025"/> Wort ist der schlichte Ausdruck des Gefühls. Oder es vermittelt vielmehr <lb n="ple_123.026"/> eine Anschauung, die den Sinn bildlich ausdrückt. Oder endlich, — womit <lb n="ple_123.027"/> Geiger die Reihe beginnt, — er sucht die rein klangliche Wirkung seiner <lb n="ple_123.028"/> Worte in ein unmittelbares Verhältnis zum Empfindungsinhalt zu bringen <lb n="ple_123.029"/> und auf diese Weise eine Art von musikalischer Wirkung zu erreichen.</p> <p><lb n="ple_123.030"/> Die schlichte Aussprache eines inneren Vorgangs gehört eigentlich <lb n="ple_123.031"/> der Prosa an. Wo es aber ein tiefes inniges Gefühl ist, das durch sie <lb n="ple_123.032"/> zum Ausdruck kommt, vermag sie gleichwohl mit dichterischer Kraft zu <lb n="ple_123.033"/> wirken. Das Gefühl, daß Wort und Sinn einander in innerster Verwandtschaft <lb n="ple_123.034"/> decken, die Wahrheit des Ausdrucks also, ist es, was hier zwingt <lb n="ple_123.035"/> und künstlerische Wirkung hervorruft. Mit Recht führt Geiger Mignons <lb n="ple_123.036"/> Lied „Nur wer die Sehnsucht kennt“ an, und manche andere Goethesche <lb n="ple_123.037"/> Verse können diesem zur Seite gestellt werden. Unter den großen deutschen <lb n="ple_123.038"/> Lyrikern ist es besonders Heine, der sich auf diese Kunst des schlichten <lb n="ple_123.039"/> Ausdrucks versteht. Ein Beispiel mögen die schönen Verse aus der „Heimkehr“ <lb n="ple_123.040"/> geben: </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [123/0137]
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Goethe den Weg zu ihr gebrochen und sie als erster erreicht. ple_123.002
Eichendorff, Heine, auch Mörike haben ihm zu folgen vermocht. In ple_123.003
Jägers Abendlied, in den beiden Nachtliedern des Wanderers, in dem Gedicht ple_123.004
An den Mond ist das künstlerisch Zwingende des Wortes aufs höchste ple_123.005
gesteigert. Jeder Hörer und Leser steht unter dem Eindruck: so habe ple_123.006
ich's auch empfunden und erlebt, doch nicht ausdrücken können, unter ple_123.007
dem Eindruck: nicht anders, nicht besser kann ausgesprochen werden, was ple_123.008
durch das Labyrinth der Menschenbrust wandelt. —
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Versuchen wir nunmehr näher in das Geheimnis dieser Sprachkunst ple_123.010
und ihrer Wirkung einzudringen, so müssen wir uns dessen erinnern, was ple_123.011
uns das sechste Kapitel über das Wesen der Dichtersprache gelehrt hat. ple_123.012
Jedes innere Erlebnis besteht aus einem lebendigen und einheitlichen Zusammenhang ple_123.013
von Gedanken und Empfindungen. Indem der Dichter nun ple_123.014
einen solchen darstellt, ist ihm das Wort entweder ganz unmittelbar Ausdruck ple_123.015
seiner Gefühle, oder es tritt ihm zwischen Stimmung und Klanggebilde ple_123.016
die bildliche Anschauung als vermittelndes Glied. In diesem Sinne ple_123.017
konnten wir sagen, daß alle poetischen Schöpfungen sich auf einer Skala ple_123.018
zwischen der rein akustischen und der anschaulich bildenden Wirkung ple_123.019
bewegen und zumeist von beiden etwas an sich tragen. Sinn, Klang und ple_123.020
Bild erscheinen somit als die drei Elemente eines jeden Gedichtes, und mit ple_123.021
Recht unterscheidet Geiger in seinem schon öfter angeführten Buche drei ple_123.022
Wirkungsmöglichkeiten, die er als gnomische, anschauliche und ple_123.023
musikalische bezeichnet. 1) Der Dichter strebt entweder nach einer unmittelbaren ple_123.024
und einfachen Wiedergabe dessen, was in ihm vorgeht: das ple_123.025
Wort ist der schlichte Ausdruck des Gefühls. Oder es vermittelt vielmehr ple_123.026
eine Anschauung, die den Sinn bildlich ausdrückt. Oder endlich, — womit ple_123.027
Geiger die Reihe beginnt, — er sucht die rein klangliche Wirkung seiner ple_123.028
Worte in ein unmittelbares Verhältnis zum Empfindungsinhalt zu bringen ple_123.029
und auf diese Weise eine Art von musikalischer Wirkung zu erreichen.
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Die schlichte Aussprache eines inneren Vorgangs gehört eigentlich ple_123.031
der Prosa an. Wo es aber ein tiefes inniges Gefühl ist, das durch sie ple_123.032
zum Ausdruck kommt, vermag sie gleichwohl mit dichterischer Kraft zu ple_123.033
wirken. Das Gefühl, daß Wort und Sinn einander in innerster Verwandtschaft ple_123.034
decken, die Wahrheit des Ausdrucks also, ist es, was hier zwingt ple_123.035
und künstlerische Wirkung hervorruft. Mit Recht führt Geiger Mignons ple_123.036
Lied „Nur wer die Sehnsucht kennt“ an, und manche andere Goethesche ple_123.037
Verse können diesem zur Seite gestellt werden. Unter den großen deutschen ple_123.038
Lyrikern ist es besonders Heine, der sich auf diese Kunst des schlichten ple_123.039
Ausdrucks versteht. Ein Beispiel mögen die schönen Verse aus der „Heimkehr“ ple_123.040
geben:
1) ple_123.041
Beiträge zu einer Ästhetik der Lyrik (Halle 1905) S. 9. Der Ausdruck gnomisch ple_123.042
ist offenbar verfehlt, aber was er bezeichnen will, ist an sich richtig.
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