treme zu nennen, jeglicher auf den ersten Blick den Elephanten für das weiseste, den Fisch für das dümmste Thier erkennen.
Jtzt etwas zerlegt. Das Obergesicht bis zur Nasenwurzel ist der Sitz der innern Arbeit, der Ge- danken und Entschlüsse; das Untergesicht ist der Sitz der Aeußerung. So sind nun die Thiere mit sehr zurück- weichenden Stirnen mit wenig Hirn begabt, die mit vorliegenden mit desto mehr.
Herausstehende Nase und Maul -- (herausstehendes Maul durchaus gewiß nicht) bedeutet Beredsamkeit, Selbstvertrauen, Vorwitz, Unverschämtheit, Unbesonnenheit, Büberey, und alle Fehler, die in fertiger Aeußerung zusammen laufen. Dieß ist nun so ein Urtheil im Geschmack aller alten Phy- siognomisten. Absprechend und unbestimmt.
Die Nase nämlich ist der Sitz des Hohns; ihr Rümpfen spottet; die Oberlippe, so man sie aufwirft, bedeutet Frechheit und Unverschämtheit, auch Drohung; die vorgerückte Unterlippe weist Ruhmredigkeit und Dummheit.
Was diese Zeichen noch lebhafter macht, ist die Gebärde des Kopswerfens oder allmähligen Hinauf- ziehens und Umschauens. Jenes bedeutet Hohnlachen, und da spielt die Nase eine Hauptrolle; dieses ist der Beweis der höchsten Vermessenheit, und hier zeichnet sich am stärksten die Unterlippe aus.
Jm Gegentheil wird das eingezogene Untergesicht Verschwiegenheit, Bescheidenheit, Ernst, Zurück- haltung anzeigen; und alle Fehler in Heimtücke und Verstocktheit bestehen. Nicht so durchaus. Spitziges Kinn ist viel öfter Zeichen von heimtückischer List -- als zurückgehendes. Zurückgehendes ist sel- ten planvoll und unternehmend.
Der Nase gerade Bildung weißagt Ernst; eingebogne Krümme edle Denkungsart; die platt anlie- gende Oberlippe (wenn sie sich nicht wohl schließt) verkündigt Blödigkeit; die ähnliche Unterlippe Bedacht im Reden.
Bisher war das Gesicht der Länge nach betrachtet; itzt etwas von der Breite.
Hier theilt es sich in zwey Hauptarten, die, wo die Backen fast in gleicher Fläche liegen, und die Nase nur wie ein Hügel vorsteht, und das Maul wie eine Säbelwunde in ebener Fläche sich lang hinzieht, und die Kiefern eine nur wenig gekrümmte Linie ausmachen. Solche Form macht das Gesicht sehr breit gegen die Länge -- und äußerst grob, hölzern, dumm; und in allen Absichten beschränkt. Eigensinn und Un- beweglichkeit ist ihr Hauptcharakter. Zweytens die, wo die Nase einen scharfen Rücken hat, und alle Theile zu beyden Seiten einen spitzen Winkel mit einander machen. Die Backenknochen sind dann unmerklich, folglich ist zwischen ihnen und der Nase nicht Lehnung, sondern Wulst. Die Lippen weichen zu beyden Seiten zurück; der Mund ebenfalls, oder läuft in eyrunde Oeffnung zusammen; die Kiefern spitzen sich am Kinne scharf zu. Diese sind feiner, geschäfftiger, listiger.
Jch
III. Abſchnitt. VI. Fragment.
treme zu nennen, jeglicher auf den erſten Blick den Elephanten fuͤr das weiſeſte, den Fiſch fuͤr das duͤmmſte Thier erkennen.
Jtzt etwas zerlegt. Das Obergeſicht bis zur Naſenwurzel iſt der Sitz der innern Arbeit, der Ge- danken und Entſchluͤſſe; das Untergeſicht iſt der Sitz der Aeußerung. So ſind nun die Thiere mit ſehr zuruͤck- weichenden Stirnen mit wenig Hirn begabt, die mit vorliegenden mit deſto mehr.
Herausſtehende Naſe und Maul — (herausſtehendes Maul durchaus gewiß nicht) bedeutet Beredſamkeit, Selbſtvertrauen, Vorwitz, Unverſchaͤmtheit, Unbeſonnenheit, Buͤberey, und alle Fehler, die in fertiger Aeußerung zuſammen laufen. Dieß iſt nun ſo ein Urtheil im Geſchmack aller alten Phy- ſiognomiſten. Abſprechend und unbeſtimmt.
Die Naſe naͤmlich iſt der Sitz des Hohns; ihr Ruͤmpfen ſpottet; die Oberlippe, ſo man ſie aufwirft, bedeutet Frechheit und Unverſchaͤmtheit, auch Drohung; die vorgeruͤckte Unterlippe weiſt Ruhmredigkeit und Dummheit.
Was dieſe Zeichen noch lebhafter macht, iſt die Gebaͤrde des Kopſwerfens oder allmaͤhligen Hinauf- ziehens und Umſchauens. Jenes bedeutet Hohnlachen, und da ſpielt die Naſe eine Hauptrolle; dieſes iſt der Beweis der hoͤchſten Vermeſſenheit, und hier zeichnet ſich am ſtaͤrkſten die Unterlippe aus.
Jm Gegentheil wird das eingezogene Untergeſicht Verſchwiegenheit, Beſcheidenheit, Ernſt, Zuruͤck- haltung anzeigen; und alle Fehler in Heimtuͤcke und Verſtocktheit beſtehen. Nicht ſo durchaus. Spitziges Kinn iſt viel oͤfter Zeichen von heimtuͤckiſcher Liſt — als zuruͤckgehendes. Zuruͤckgehendes iſt ſel- ten planvoll und unternehmend.
Der Naſe gerade Bildung weißagt Ernſt; eingebogne Kruͤmme edle Denkungsart; die platt anlie- gende Oberlippe (wenn ſie ſich nicht wohl ſchließt) verkuͤndigt Bloͤdigkeit; die aͤhnliche Unterlippe Bedacht im Reden.
Bisher war das Geſicht der Laͤnge nach betrachtet; itzt etwas von der Breite.
Hier theilt es ſich in zwey Hauptarten, die, wo die Backen faſt in gleicher Flaͤche liegen, und die Naſe nur wie ein Huͤgel vorſteht, und das Maul wie eine Saͤbelwunde in ebener Flaͤche ſich lang hinzieht, und die Kiefern eine nur wenig gekruͤmmte Linie ausmachen. Solche Form macht das Geſicht ſehr breit gegen die Laͤnge — und aͤußerſt grob, hoͤlzern, dumm; und in allen Abſichten beſchraͤnkt. Eigenſinn und Un- beweglichkeit iſt ihr Hauptcharakter. Zweytens die, wo die Naſe einen ſcharfen Ruͤcken hat, und alle Theile zu beyden Seiten einen ſpitzen Winkel mit einander machen. Die Backenknochen ſind dann unmerklich, folglich iſt zwiſchen ihnen und der Naſe nicht Lehnung, ſondern Wulſt. Die Lippen weichen zu beyden Seiten zuruͤck; der Mund ebenfalls, oder laͤuft in eyrunde Oeffnung zuſammen; die Kiefern ſpitzen ſich am Kinne ſcharf zu. Dieſe ſind feiner, geſchaͤfftiger, liſtiger.
Jch
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III. Abſchnitt. VI. Fragment.
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Thier erkennen.
Jtzt etwas zerlegt. Das Obergeſicht bis zur Naſenwurzel iſt der Sitz der innern Arbeit, der Ge-
danken und Entſchluͤſſe; das Untergeſicht iſt der Sitz der Aeußerung. So ſind nun die Thiere mit ſehr zuruͤck-
weichenden Stirnen mit wenig Hirn begabt, die mit vorliegenden mit deſto mehr.
Herausſtehende Naſe und Maul — (herausſtehendes Maul durchaus gewiß nicht) bedeutet
Beredſamkeit, Selbſtvertrauen, Vorwitz, Unverſchaͤmtheit, Unbeſonnenheit, Buͤberey, und alle Fehler,
die in fertiger Aeußerung zuſammen laufen. Dieß iſt nun ſo ein Urtheil im Geſchmack aller alten Phy-
ſiognomiſten. Abſprechend und unbeſtimmt.
Die Naſe naͤmlich iſt der Sitz des Hohns; ihr Ruͤmpfen ſpottet; die Oberlippe, ſo man ſie aufwirft,
bedeutet Frechheit und Unverſchaͤmtheit, auch Drohung; die vorgeruͤckte Unterlippe weiſt Ruhmredigkeit und
Dummheit.
Was dieſe Zeichen noch lebhafter macht, iſt die Gebaͤrde des Kopſwerfens oder allmaͤhligen Hinauf-
ziehens und Umſchauens. Jenes bedeutet Hohnlachen, und da ſpielt die Naſe eine Hauptrolle; dieſes iſt der
Beweis der hoͤchſten Vermeſſenheit, und hier zeichnet ſich am ſtaͤrkſten die Unterlippe aus.
Jm Gegentheil wird das eingezogene Untergeſicht Verſchwiegenheit, Beſcheidenheit, Ernſt, Zuruͤck-
haltung anzeigen; und alle Fehler in Heimtuͤcke und Verſtocktheit beſtehen. Nicht ſo durchaus. Spitziges
Kinn iſt viel oͤfter Zeichen von heimtuͤckiſcher Liſt — als zuruͤckgehendes. Zuruͤckgehendes iſt ſel-
ten planvoll und unternehmend.
Der Naſe gerade Bildung weißagt Ernſt; eingebogne Kruͤmme edle Denkungsart; die platt anlie-
gende Oberlippe (wenn ſie ſich nicht wohl ſchließt) verkuͤndigt Bloͤdigkeit; die aͤhnliche Unterlippe Bedacht
im Reden.
Bisher war das Geſicht der Laͤnge nach betrachtet; itzt etwas von der Breite.
Hier theilt es ſich in zwey Hauptarten, die, wo die Backen faſt in gleicher Flaͤche liegen, und die
Naſe nur wie ein Huͤgel vorſteht, und das Maul wie eine Saͤbelwunde in ebener Flaͤche ſich lang hinzieht, und
die Kiefern eine nur wenig gekruͤmmte Linie ausmachen. Solche Form macht das Geſicht ſehr breit gegen die
Laͤnge — und aͤußerſt grob, hoͤlzern, dumm; und in allen Abſichten beſchraͤnkt. Eigenſinn und Un-
beweglichkeit iſt ihr Hauptcharakter. Zweytens die, wo die Naſe einen ſcharfen Ruͤcken hat, und alle
Theile zu beyden Seiten einen ſpitzen Winkel mit einander machen. Die Backenknochen ſind dann unmerklich,
folglich iſt zwiſchen ihnen und der Naſe nicht Lehnung, ſondern Wulſt. Die Lippen weichen zu beyden Seiten
zuruͤck; der Mund ebenfalls, oder laͤuft in eyrunde Oeffnung zuſammen; die Kiefern ſpitzen ſich am Kinne ſcharf
zu. Dieſe ſind feiner, geſchaͤfftiger, liſtiger.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/218>, abgerufen am 16.07.2024.
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