Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Allgemeine Betrachtungen. O du, der gerade diesen Augenblick Millionen Augen, die dich nicht in deinen Werken, "Lehre mich schreiben nach deinem Willen, denn du bist mein Gott! dein guter Ach! daß wir's so selten denken, wie unmittelbar wir dich -- offenbaren, darstellen, ver- Wem Gott Menschheit gab, dem gab er Religionsempfänglichkeit, und wer auf eine ähn- Aber alles hat seine Zeit. Nicht jede Fähigkeit des Menschen kann sich entwickeln, wenn Es ist jedem seine Stunde bestimmt; wie seiner Empfängniß und Geburt in die sichtbare Namen
Allgemeine Betrachtungen. O du, der gerade dieſen Augenblick Millionen Augen, die dich nicht in deinen Werken, „Lehre mich ſchreiben nach deinem Willen, denn du biſt mein Gott! dein guter Ach! daß wir’s ſo ſelten denken, wie unmittelbar wir dich — offenbaren, darſtellen, ver- Wem Gott Menſchheit gab, dem gab er Religionsempfaͤnglichkeit, und wer auf eine aͤhn- Aber alles hat ſeine Zeit. Nicht jede Faͤhigkeit des Menſchen kann ſich entwickeln, wenn Es iſt jedem ſeine Stunde beſtimmt; wie ſeiner Empfaͤngniß und Geburt in die ſichtbare Namen
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Allgemeine Betrachtungen.
O du, der gerade dieſen Augenblick Millionen Augen, die dich nicht in deinen Werken,
dich nicht im Angeſichte der Menſchheit ſehen — dennoch vaͤterlich erfreut — laß mich an dieſem
mein ſchaamvolles Herz ſuͤß durchbebenden Morgen die Kinderbitte vor deinem Throne niederlegen:
„Lehre mich ſchreiben nach deinem Willen, denn du biſt mein Gott! dein guter
„Geiſt fuͤhre mich auf ebener Bahn! Laß deinem Knechte dein Werk ſcheinen, und dei-
„ne Herrlichkeit deinem Kinde! Die Lieblichkeit des Herrn meines Gottes ſey vor mir!
„Foͤrdere mein Geſchaͤffte! Ja foͤrdere und vollende das Werk meiner Haͤnde.“ —
Ach! daß wir’s ſo ſelten denken, wie unmittelbar wir dich — offenbaren, darſtellen, ver-
herrlichen — wenn ſich unſere Seele in Anbetung deiner verſenkt und verliert! So ſelten uns der
Herzzerſprengenden Wonne dahingeben — die unſer Angeſicht, wie’s auch immer gebildet, wie’s
auch immer zerruͤttet ſey — dennoch wieder mit dem Geiſte deines Sohnes ſalbet, und Pfand iſt,
Stral iſt der unſichtbaren Welt, in die wir, reif geworden im Nachtleibe von Erde — ſo bald, ſo
bald geboren werden ſollten!
Wem Gott Menſchheit gab, dem gab er Religionsempfaͤnglichkeit, und wer auf eine aͤhn-
liche Weiſe gegliedert iſt, wie — der, der allen ſeinen Bruͤdern gleich wurde — der darf nie
denken — unwiderherſtellbar verdorben zu ſeyn.
Aber alles hat ſeine Zeit. Nicht jede Faͤhigkeit des Menſchen kann ſich entwickeln, wenn
ſie will — nicht jede kann ſich in dem gegenwaͤrtigen Leben entwickeln. Es wird ſich alles geben.
Der, welchem tauſend Jahre ſind, wie ein einziger Tag, kann ruhig und ohne Zorn wax-
ten, bis alles zur Reife gelangt und Frucht bringt, dreyßigfaͤltig, ſechzigfaͤltig, hundertfaͤltig.
Unzaͤhlige Menſchen mit den herrlichſten Anlagen ſollen nach dem Geheimniſſe des goͤttlichen
Rathſchluſſes — mit unentwickelten Anlagen aus dieſer Welt herausgehen. Es ſoll noch nicht
offenbar werden, was in ihnen iſt — wie viel ſoll noch aufbehalten ſeyn dem Tage, vor dem alle
Tage und Naͤchte verſchwinden?
Es iſt jedem ſeine Stunde beſtimmt; wie ſeiner Empfaͤngniß und Geburt in die ſichtbare
Welt; ſo ſeiner Geburt in die unſichtbare Welt. Darum ſoll eben der Sohn regieren im
Namen
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