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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus VII.
-- der erringt's! Er frägt nicht: "Sind viele, die mei-
&q;nen Weg gehen, oder meinen Weg billigen?" Er frägt:
&q;Geh' ich den vorgezeichneten Weg? Und wenn ich al-
&q;lein wäre, der denselben wandelt:" Er hört deswegen
nicht auf, der einzige richtige Weg zu seyn -- der Weg
der stillen Demuth, der Gott sich unterwerfenden Zufrie-
denheit, der Aufopferung an Gott -- des Strebens nach
einer bessern Welt, einem freyern, leidenlosen, unbegränz-
ten Leben -- der Weg der Gerechtigkeit, Mäßigkeit, der
Treue, der Güte, der Wohlthätigkeit oder wohlthätigen
Wirksamkeit -- der bescheidenen, liebevollen Hingebung
seiner selbst für andere! -- Wie schmahl, wie einsam und
unbetreten dieser Weg sey -- Er führt dennoch zum Le-
ben, zur Freyheit, zu einer Freyheit, zu einem Leben,
die allein dieses Namens werth sind, wogegen alles, was
Freyheit heißt, Sklaverey, alles was Leben genennt
wird, Tod ist.

51.
Guter Baum.
Matth.
VII. 17.

Ein jeder guter Baum bringt gute Früchte.
Gut seyn und Gutes thun sind so unzertrennliche Dinge,
wie Licht seyn und heiter machen. Wer nicht Gutes thut,
und am Gutes thun Freude hat, der ist nicht gut. Wer
mit Freude Gutes thut, der ist gut. Eine gute, nützli-
che, frohe Wohlthat kann so wenig aus einem bösen Her-
zen herkommen, als die Finsterniß, als solche einen Licht-
strahl zeugen, als ein fauler Baum gute, gesunde, kraft-
volle Früchte bringen kann. In der natürlichen und
sittlichen Welt geht alles nach denselben einförmigen

Ge-

Matthäus VII.
— der erringt’s! Er frägt nicht: „Sind viele, die mei-
&q;nen Weg gehen, oder meinen Weg billigen?„ Er frägt:
&q;Geh’ ich den vorgezeichneten Weg? Und wenn ich al-
&q;lein wäre, der denſelben wandelt:„ Er hört deswegen
nicht auf, der einzige richtige Weg zu ſeyn — der Weg
der ſtillen Demuth, der Gott ſich unterwerfenden Zufrie-
denheit, der Aufopferung an Gott — des Strebens nach
einer beſſern Welt, einem freyern, leidenloſen, unbegränz-
ten Leben — der Weg der Gerechtigkeit, Mäßigkeit, der
Treue, der Güte, der Wohlthätigkeit oder wohlthätigen
Wirkſamkeit — der beſcheidenen, liebevollen Hingebung
ſeiner ſelbſt für andere! — Wie ſchmahl, wie einſam und
unbetreten dieſer Weg ſey — Er führt dennoch zum Le-
ben, zur Freyheit, zu einer Freyheit, zu einem Leben,
die allein dieſes Namens werth ſind, wogegen alles, was
Freyheit heißt, Sklaverey, alles was Leben genennt
wird, Tod iſt.

51.
Guter Baum.
Matth.
VII. 17.

Ein jeder guter Baum bringt gute Früchte.
Gut ſeyn und Gutes thun ſind ſo unzertrennliche Dinge,
wie Licht ſeyn und heiter machen. Wer nicht Gutes thut,
und am Gutes thun Freude hat, der iſt nicht gut. Wer
mit Freude Gutes thut, der iſt gut. Eine gute, nützli-
che, frohe Wohlthat kann ſo wenig aus einem böſen Her-
zen herkommen, als die Finſterniß, als ſolche einen Licht-
ſtrahl zeugen, als ein fauler Baum gute, geſunde, kraft-
volle Früchte bringen kann. In der natürlichen und
ſittlichen Welt geht alles nach denſelben einförmigen

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[60[80]/0088] Matthäus VII. — der erringt’s! Er frägt nicht: „Sind viele, die mei- &q;nen Weg gehen, oder meinen Weg billigen?„ Er frägt: &q;Geh’ ich den vorgezeichneten Weg? Und wenn ich al- &q;lein wäre, der denſelben wandelt:„ Er hört deswegen nicht auf, der einzige richtige Weg zu ſeyn — der Weg der ſtillen Demuth, der Gott ſich unterwerfenden Zufrie- denheit, der Aufopferung an Gott — des Strebens nach einer beſſern Welt, einem freyern, leidenloſen, unbegränz- ten Leben — der Weg der Gerechtigkeit, Mäßigkeit, der Treue, der Güte, der Wohlthätigkeit oder wohlthätigen Wirkſamkeit — der beſcheidenen, liebevollen Hingebung ſeiner ſelbſt für andere! — Wie ſchmahl, wie einſam und unbetreten dieſer Weg ſey — Er führt dennoch zum Le- ben, zur Freyheit, zu einer Freyheit, zu einem Leben, die allein dieſes Namens werth ſind, wogegen alles, was Freyheit heißt, Sklaverey, alles was Leben genennt wird, Tod iſt. 51. Guter Baum. Ein jeder guter Baum bringt gute Früchte. Gut ſeyn und Gutes thun ſind ſo unzertrennliche Dinge, wie Licht ſeyn und heiter machen. Wer nicht Gutes thut, und am Gutes thun Freude hat, der iſt nicht gut. Wer mit Freude Gutes thut, der iſt gut. Eine gute, nützli- che, frohe Wohlthat kann ſo wenig aus einem böſen Her- zen herkommen, als die Finſterniß, als ſolche einen Licht- ſtrahl zeugen, als ein fauler Baum gute, geſunde, kraft- volle Früchte bringen kann. In der natürlichen und ſittlichen Welt geht alles nach denſelben einförmigen Ge-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 60[80]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/88>, abgerufen am 04.09.2024.