Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Enge Pforte. -- wer darf sagen: Es ist mir leicht -- Einen einzi-"gen Tag dies Wort durchaus mit Gewissenhaftigkeit "zu befolgen." Nicht, daß wir hierdurch einen Men- schen den Muth benehmen wollen. Ferne! Der Geist des Evangeliums will uns freylich die Grösse der Schwie- rigkeiten zeigen; Abenr er ist's auch, der uns unaufhör- lich zuruft: Was den Menschen unmöglich ist,Luc. XVIII. 27. das ist es Gott nicht. Und eben der Geist, der uns sagt -- "Ohne Christus mögt' ihr nichts thun;Joh. XV. 5. sagt uns auch: Ihr vermöget alles durch Chri-Phil. IX. 13. stum, der Euch stärket. Aber, ja: wo Nachläßig- keit ist, wo Zwecklosigkeit die Seele des Menschen, wie der Wind eine Woge hin und her trenibt -- da ist an keine Ruhe -- und ohne Ruhe, wie ist an wahre dau- erhafte Seeligkeit zu denken! Die Seeligkeit, die Chri- stus aufschliesst und verheisst, ist jedem Menschen, der das Evangelium kennt, erreichbar, aber sie muß sein Ziel, sein Hauptzweck, das bestäudige Augenmerk seiner Seele seyn. Die Wege anderer Menschen sollen ihn weniger bekümmern als sein Weg. Der Weg, der ihm vorge- zeichnet ist, so rauh und schmahl er sey, soll allein seine Aufmerksamkeit reizen, und seine Kräfte in Bewegung setzen. Es soll ihm so Ernst seyn zu diesem Ziele von Seeligkeit zu gelangen, als es bey Kampfspielen einem Wettläufer daran gelegen war, der Erste am Ziele zu seyn. Wem's halb Ernst ist, der hört hier ein schwe- res treffendes Wort: Viele werden trachten hinein zu kommen, und werden es nicht vermögen. Wems ganz Ernst ist, so ernst, wie um ein Amt, eine Würde, wovon sein und seiner Familie Glück abhängt -- der
Enge Pforte. — wer darf ſagen: Es iſt mir leicht — Einen einzi-„gen Tag dies Wort durchaus mit Gewiſſenhaftigkeit „zu befolgen.„ Nicht, daß wir hierdurch einen Men- ſchen den Muth benehmen wollen. Ferne! Der Geiſt des Evangeliums will uns freylich die Gröſſe der Schwie- rigkeiten zeigen; Abẽr er iſt’s auch, der uns unaufhör- lich zuruft: Was den Menſchen unmöglich iſt,Luc. XVIII. 27. das iſt es Gott nicht. Und eben der Geiſt, der uns ſagt — „Ohne Chriſtus mögt’ ihr nichts thun;Joh. XV. 5. ſagt uns auch: Ihr vermöget alles durch Chri-Phil. IX. 13. ſtum, der Euch ſtärket. Aber, ja: wo Nachläßig- keit iſt, wo Zweckloſigkeit die Seele des Menſchen, wie der Wind eine Woge hin und her trẽibt — da iſt an keine Ruhe — und ohne Ruhe, wie iſt an wahre dau- erhafte Seeligkeit zu denken! Die Seeligkeit, die Chri- ſtus aufſchlieſſt und verheiſſt, iſt jedem Menſchen, der das Evangelium kennt, erreichbar, aber ſie muß ſein Ziel, ſein Hauptzweck, das beſtäudige Augenmerk ſeiner Seele ſeyn. Die Wege anderer Menſchen ſollen ihn weniger bekümmern als ſein Weg. Der Weg, der ihm vorge- zeichnet iſt, ſo rauh und ſchmahl er ſey, ſoll allein ſeine Aufmerkſamkeit reizen, und ſeine Kräfte in Bewegung ſetzen. Es ſoll ihm ſo Ernſt ſeyn zu dieſem Ziele von Seeligkeit zu gelangen, als es bey Kampfſpielen einem Wettläufer daran gelegen war, der Erſte am Ziele zu ſeyn. Wem’s halb Ernſt iſt, der hört hier ein ſchwe- res treffendes Wort: Viele werden trachten hinein zu kommen, und werden es nicht vermögen. Wems ganz Ernſt iſt, ſo ernſt, wie um ein Amt, eine Würde, wovon ſein und ſeiner Familie Glück abhängt — der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0087" n="59[79]"/><fw place="top" type="header">Enge Pforte.</fw><lb/> — wer darf ſagen: Es iſt mir leicht — Einen einzi-<lb/> „gen Tag dies Wort durchaus mit Gewiſſenhaftigkeit<lb/> „zu befolgen.„ Nicht, daß wir hierdurch einen Men-<lb/> ſchen den Muth benehmen wollen. Ferne! Der Geiſt<lb/> des Evangeliums will uns freylich die Gröſſe der Schwie-<lb/> rigkeiten zeigen; Abẽr er iſt’s auch, der uns unaufhör-<lb/> lich zuruft: <hi rendition="#fr">Was den Menſchen unmöglich iſt,</hi><note place="right">Luc.<lb/><hi rendition="#aq">XVIII.</hi> 27.</note><lb/><hi rendition="#fr">das iſt es Gott nicht.</hi> Und eben der Geiſt, der uns<lb/> ſagt — „<hi rendition="#fr">Ohne Chriſtus mögt’ ihr nichts thun;</hi><note place="right">Joh. <hi rendition="#aq">XV.</hi> 5.</note><lb/> ſagt uns auch: <hi rendition="#fr">Ihr vermöget alles durch Chri-</hi><note place="right">Phil. <hi rendition="#aq">IX.</hi> 13.</note><lb/><hi rendition="#fr">ſtum, der Euch ſtärket.</hi> Aber, ja: wo Nachläßig-<lb/> keit iſt, wo Zweckloſigkeit die Seele des Menſchen, wie<lb/> der Wind eine Woge hin und her trẽibt — da iſt an<lb/> keine Ruhe — und ohne Ruhe, wie iſt an wahre dau-<lb/> erhafte Seeligkeit zu denken! Die Seeligkeit, die Chri-<lb/> ſtus aufſchlieſſt und verheiſſt, iſt jedem Menſchen, der<lb/> das Evangelium kennt, erreichbar, aber ſie muß ſein Ziel,<lb/> ſein Hauptzweck, das beſtäudige Augenmerk ſeiner Seele<lb/> ſeyn. Die Wege anderer Menſchen ſollen ihn weniger<lb/> bekümmern als ſein Weg. Der Weg, der ihm vorge-<lb/> zeichnet iſt, ſo rauh und ſchmahl er ſey, ſoll allein ſeine<lb/> Aufmerkſamkeit reizen, und ſeine Kräfte in Bewegung<lb/> ſetzen. Es ſoll ihm ſo Ernſt ſeyn zu dieſem Ziele von<lb/> Seeligkeit zu gelangen, als es bey Kampfſpielen einem<lb/> Wettläufer daran gelegen war, der Erſte am Ziele zu<lb/> ſeyn. Wem’s halb Ernſt iſt, der hört hier ein ſchwe-<lb/> res treffendes Wort: <hi rendition="#fr">Viele werden trachten hinein<lb/> zu kommen, und werden es nicht vermögen.</hi><lb/> Wems ganz Ernſt iſt, ſo ernſt, wie um ein Amt, eine<lb/> Würde, wovon ſein und ſeiner Familie Glück abhängt<lb/> <fw place="bottom" type="catch">— der</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59[79]/0087]
Enge Pforte.
— wer darf ſagen: Es iſt mir leicht — Einen einzi-
„gen Tag dies Wort durchaus mit Gewiſſenhaftigkeit
„zu befolgen.„ Nicht, daß wir hierdurch einen Men-
ſchen den Muth benehmen wollen. Ferne! Der Geiſt
des Evangeliums will uns freylich die Gröſſe der Schwie-
rigkeiten zeigen; Abẽr er iſt’s auch, der uns unaufhör-
lich zuruft: Was den Menſchen unmöglich iſt,
das iſt es Gott nicht. Und eben der Geiſt, der uns
ſagt — „Ohne Chriſtus mögt’ ihr nichts thun;
ſagt uns auch: Ihr vermöget alles durch Chri-
ſtum, der Euch ſtärket. Aber, ja: wo Nachläßig-
keit iſt, wo Zweckloſigkeit die Seele des Menſchen, wie
der Wind eine Woge hin und her trẽibt — da iſt an
keine Ruhe — und ohne Ruhe, wie iſt an wahre dau-
erhafte Seeligkeit zu denken! Die Seeligkeit, die Chri-
ſtus aufſchlieſſt und verheiſſt, iſt jedem Menſchen, der
das Evangelium kennt, erreichbar, aber ſie muß ſein Ziel,
ſein Hauptzweck, das beſtäudige Augenmerk ſeiner Seele
ſeyn. Die Wege anderer Menſchen ſollen ihn weniger
bekümmern als ſein Weg. Der Weg, der ihm vorge-
zeichnet iſt, ſo rauh und ſchmahl er ſey, ſoll allein ſeine
Aufmerkſamkeit reizen, und ſeine Kräfte in Bewegung
ſetzen. Es ſoll ihm ſo Ernſt ſeyn zu dieſem Ziele von
Seeligkeit zu gelangen, als es bey Kampfſpielen einem
Wettläufer daran gelegen war, der Erſte am Ziele zu
ſeyn. Wem’s halb Ernſt iſt, der hört hier ein ſchwe-
res treffendes Wort: Viele werden trachten hinein
zu kommen, und werden es nicht vermögen.
Wems ganz Ernſt iſt, ſo ernſt, wie um ein Amt, eine
Würde, wovon ſein und ſeiner Familie Glück abhängt
— der
Luc.
XVIII. 27.
Joh. XV. 5.
Phil. IX. 13.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |