Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Matthäus VII.
Verdammniß führet; Und ihrer sind viele, die
darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und
der Weg ist schmahl, der zum Leben führet, und
es sind ihrer wenige, die ihn finden.
-- Und die
Luc.
XIII. 24.
Parallelstelle: Es sprach einer zum Herrn: Mey-
nest du, daß wenig selig werden? Er aber sprach:
Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte
eingehet; Denn viele werden, das sag' ich Euch,
darnach trachten, wie sie hinein kommen, und
werden es nicht vermögen.
-- Es ist wohl bejam-
mernswürdigste Unwissenheit oder die abgeschmackteste
Affektation, (Gezwungenheit) wenn man diese Worte
bloß auf die damahlige Verfolgungsvolle Zeit einge-
schränkt wissen will. Fühlt es nicht jeder, auch der be-
ste, kultivirteste, weiseste Mensch, welchen Kampf, wel-
che Geistesanstrengung es kostet unserm Herrn in Ein-
falt nachzufolgen, und seine Grundsätze zu den einzigen
Grundsätzen unsers Lebens zu machen? Wär's nicht ge-
radezu Unverschämtheit zu läugnen; Auch ohne alle
Rücksicht auf das, was man gewaltthätige Verfolgung
nennt, giebt's oft beynahe unübersteigliche Hindernisse
der Tugend. Man rechne, wenn man will, alles äus-
serliche, was uns im Wege stehen mag, ab, was doch
warlich zu allen und jeden Zeiten, an allen und jeden
Orten nicht wenig ist; -- Wie vieles bleibt uns nur
in unserer eigenen Natur übrig, das uns den Weg ver-
sperrt -- und den Durchbruch oft so unendlich schwehr
macht. Man denke nur einen Augenblick an das Wort
des Herrn, wovon wir eben in der vorhergehenden Be-
trachtung geredet haben, alles, was ihr wollt, zurück

-- wer

Matthäus VII.
Verdammniß führet; Und ihrer ſind viele, die
darauf wandeln. Und die Pforte iſt eng, und
der Weg iſt ſchmahl, der zum Leben führet, und
es ſind ihrer wenige, die ihn finden.
— Und die
Luc.
XIII. 24.
Parallelſtelle: Es ſprach einer zum Herrn: Mey-
neſt du, daß wenig ſelig werden? Er aber ſprach:
Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte
eingehet; Denn viele werden, das ſag’ ich Euch,
darnach trachten, wie ſie hinein kommen, und
werden es nicht vermögen.
— Es iſt wohl bejam-
mernswürdigſte Unwiſſenheit oder die abgeſchmackteſte
Affektation, (Gezwungenheit) wenn man dieſe Worte
bloß auf die damahlige Verfolgungsvolle Zeit einge-
ſchränkt wiſſen will. Fühlt es nicht jeder, auch der be-
ſte, kultivirteſte, weiſeſte Menſch, welchen Kampf, wel-
che Geiſtesanſtrengung es koſtet unſerm Herrn in Ein-
falt nachzufolgen, und ſeine Grundſätze zu den einzigen
Grundſätzen unſers Lebens zu machen? Wär’s nicht ge-
radezu Unverſchämtheit zu läugnen; Auch ohne alle
Rückſicht auf das, was man gewaltthätige Verfolgung
nennt, giebt’s oft beynahe unüberſteigliche Hinderniſſe
der Tugend. Man rechne, wenn man will, alles äuſ-
ſerliche, was uns im Wege ſtehen mag, ab, was doch
warlich zu allen und jeden Zeiten, an allen und jeden
Orten nicht wenig iſt; — Wie vieles bleibt uns nur
in unſerer eigenen Natur übrig, das uns den Weg ver-
ſperrt — und den Durchbruch oft ſo unendlich ſchwehr
macht. Man denke nur einen Augenblick an das Wort
des Herrn, wovon wir eben in der vorhergehenden Be-
trachtung geredet haben, alles, was ihr wollt, zurück

— wer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0086" n="58[78]"/><fw place="top" type="header">Matthäus <hi rendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Verdammniß führet; Und ihrer &#x017F;ind viele, die<lb/>
darauf wandeln. Und die Pforte i&#x017F;t eng, und<lb/>
der Weg i&#x017F;t &#x017F;chmahl, der zum Leben führet, und<lb/>
es &#x017F;ind ihrer wenige, die ihn finden.</hi> &#x2014; Und die<lb/><note place="left">Luc.<lb/><hi rendition="#aq">XIII.</hi> 24.</note>Parallel&#x017F;telle: <hi rendition="#fr">Es &#x017F;prach einer zum Herrn: Mey-<lb/>
ne&#x017F;t du, daß wenig &#x017F;elig werden? Er aber &#x017F;prach:<lb/>
Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte<lb/>
eingehet; Denn viele werden, das &#x017F;ag&#x2019; ich Euch,<lb/>
darnach trachten, wie &#x017F;ie hinein kommen, und<lb/>
werden es nicht vermögen.</hi> &#x2014; Es i&#x017F;t wohl bejam-<lb/>
mernswürdig&#x017F;te Unwi&#x017F;&#x017F;enheit oder die abge&#x017F;chmackte&#x017F;te<lb/>
Affektation, (Gezwungenheit) wenn man die&#x017F;e Worte<lb/>
bloß auf die damahlige Verfolgungsvolle Zeit einge-<lb/>
&#x017F;chränkt wi&#x017F;&#x017F;en will. Fühlt es nicht jeder, auch der be-<lb/>
&#x017F;te, kultivirte&#x017F;te, wei&#x017F;e&#x017F;te Men&#x017F;ch, welchen Kampf, wel-<lb/>
che Gei&#x017F;tesan&#x017F;trengung es ko&#x017F;tet un&#x017F;erm Herrn in Ein-<lb/>
falt nachzufolgen, und &#x017F;eine Grund&#x017F;ätze zu den einzigen<lb/>
Grund&#x017F;ätzen un&#x017F;ers Lebens zu machen? Wär&#x2019;s nicht ge-<lb/>
radezu Unver&#x017F;chämtheit zu läugnen; Auch ohne alle<lb/>
Rück&#x017F;icht auf das, was man gewaltthätige Verfolgung<lb/>
nennt, giebt&#x2019;s oft beynahe unüber&#x017F;teigliche Hinderni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
der Tugend. Man rechne, wenn man will, alles äu&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erliche, was uns im Wege &#x017F;tehen mag, ab, was doch<lb/>
warlich zu allen und jeden Zeiten, an allen und jeden<lb/>
Orten nicht wenig i&#x017F;t; &#x2014; Wie vieles bleibt uns nur<lb/>
in un&#x017F;erer eigenen Natur übrig, das uns den Weg ver-<lb/>
&#x017F;perrt &#x2014; und den Durchbruch oft &#x017F;o unendlich &#x017F;chwehr<lb/>
macht. Man denke nur einen Augenblick an das Wort<lb/>
des Herrn, wovon wir eben in der vorhergehenden Be-<lb/>
trachtung geredet haben, <hi rendition="#fr">alles, was ihr wollt,</hi> zurück<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x2014; wer</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58[78]/0086] Matthäus VII. Verdammniß führet; Und ihrer ſind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte iſt eng, und der Weg iſt ſchmahl, der zum Leben führet, und es ſind ihrer wenige, die ihn finden. — Und die Parallelſtelle: Es ſprach einer zum Herrn: Mey- neſt du, daß wenig ſelig werden? Er aber ſprach: Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet; Denn viele werden, das ſag’ ich Euch, darnach trachten, wie ſie hinein kommen, und werden es nicht vermögen. — Es iſt wohl bejam- mernswürdigſte Unwiſſenheit oder die abgeſchmackteſte Affektation, (Gezwungenheit) wenn man dieſe Worte bloß auf die damahlige Verfolgungsvolle Zeit einge- ſchränkt wiſſen will. Fühlt es nicht jeder, auch der be- ſte, kultivirteſte, weiſeſte Menſch, welchen Kampf, wel- che Geiſtesanſtrengung es koſtet unſerm Herrn in Ein- falt nachzufolgen, und ſeine Grundſätze zu den einzigen Grundſätzen unſers Lebens zu machen? Wär’s nicht ge- radezu Unverſchämtheit zu läugnen; Auch ohne alle Rückſicht auf das, was man gewaltthätige Verfolgung nennt, giebt’s oft beynahe unüberſteigliche Hinderniſſe der Tugend. Man rechne, wenn man will, alles äuſ- ſerliche, was uns im Wege ſtehen mag, ab, was doch warlich zu allen und jeden Zeiten, an allen und jeden Orten nicht wenig iſt; — Wie vieles bleibt uns nur in unſerer eigenen Natur übrig, das uns den Weg ver- ſperrt — und den Durchbruch oft ſo unendlich ſchwehr macht. Man denke nur einen Augenblick an das Wort des Herrn, wovon wir eben in der vorhergehenden Be- trachtung geredet haben, alles, was ihr wollt, zurück — wer Luc. XIII. 24.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/86
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 58[78]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/86>, abgerufen am 12.06.2024.