den gegenwärtigen Augenblick nicht Sorgenfrey geniessen kann, kann keinen geniessen; Wirkt oh- ne zu wirken. Man mag alles ertragen, wenn man nur das trägt, was unmittelbar auf uns liegt, ohne an die Lasten der Zukunft vorauszu- greifen. Weislich ist jedem Tage, ja jedem Momente sein Quantum, sein Maaß, Kraft und Last, Stärke und Schwäche zugemessen -- Wer dabey nicht ruhig und Kummerfrey ist -- ist in dem Momente der vor- greifenden Aengstlichkeit ein Ungläubiger, ein Atheist. Ich mögte mich immer mehr befleissen, mich nur auf den gegenwärtigen Punkt, in dem ich lebe, hinzuheften, und mir jede ängstliche neugierige Hinaussicht in die Zu- kunft, jede Frage: Wie wird es kommen? schlechter- dings zu verbieten.
MatthäusVII.
45. Richten.
Matth. VII. 1.
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer- det. Sprecht nicht ab über die geheimen Absichten und Endzwecke der Menschen. Sprecht keine entscheidende nachtheilige Urtheile aus, wider euere Brüder. Seyd gelind und liebreich in der Beurtheilung der Menschen -- Seyd nicht scharf gegen andere, daß es andere auch nicht gegen euch seyn. -- -- Kein Mensch ist gern von an- dern gerichtet, weder in Ansehung seiner allenfalls ge- heimen Absichten, noch in Ansehung des Schicksals, das er verdient haben soll; und kaum Einer ist, der andere nicht gerne richte. Man spricht gerade über an-
dere
Matthäus VII.
den gegenwärtigen Augenblick nicht Sorgenfrey genieſſen kann, kann keinen genieſſen; Wirkt oh- ne zu wirken. Man mag alles ertragen, wenn man nur das trägt, was unmittelbar auf uns liegt, ohne an die Laſten der Zukunft vorauszu- greifen. Weislich iſt jedem Tage, ja jedem Momente ſein Quantum, ſein Maaß, Kraft und Laſt, Stärke und Schwäche zugemeſſen — Wer dabey nicht ruhig und Kummerfrey iſt — iſt in dem Momente der vor- greifenden Aengſtlichkeit ein Ungläubiger, ein Atheiſt. Ich mögte mich immer mehr befleiſſen, mich nur auf den gegenwärtigen Punkt, in dem ich lebe, hinzuheften, und mir jede ängſtliche neugierige Hinausſicht in die Zu- kunft, jede Frage: Wie wird es kommen? ſchlechter- dings zu verbieten.
MatthäusVII.
45. Richten.
Matth. VII. 1.
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer- det. Sprecht nicht ab über die geheimen Abſichten und Endzwecke der Menſchen. Sprecht keine entſcheidende nachtheilige Urtheile aus, wider euere Brüder. Seyd gelind und liebreich in der Beurtheilung der Menſchen — Seyd nicht ſcharf gegen andere, daß es andere auch nicht gegen euch ſeyn. — — Kein Menſch iſt gern von an- dern gerichtet, weder in Anſehung ſeiner allenfalls ge- heimen Abſichten, noch in Anſehung des Schickſals, das er verdient haben ſoll; und kaum Einer iſt, der andere nicht gerne richte. Man ſpricht gerade über an-
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[40[60]/0068]
Matthäus VII.
den gegenwärtigen Augenblick nicht Sorgenfrey
genieſſen kann, kann keinen genieſſen; Wirkt oh-
ne zu wirken. Man mag alles ertragen, wenn
man nur das trägt, was unmittelbar auf uns
liegt, ohne an die Laſten der Zukunft vorauszu-
greifen. Weislich iſt jedem Tage, ja jedem Momente
ſein Quantum, ſein Maaß, Kraft und Laſt, Stärke
und Schwäche zugemeſſen — Wer dabey nicht ruhig
und Kummerfrey iſt — iſt in dem Momente der vor-
greifenden Aengſtlichkeit ein Ungläubiger, ein Atheiſt.
Ich mögte mich immer mehr befleiſſen, mich nur auf
den gegenwärtigen Punkt, in dem ich lebe, hinzuheften,
und mir jede ängſtliche neugierige Hinausſicht in die Zu-
kunft, jede Frage: Wie wird es kommen? ſchlechter-
dings zu verbieten.
Matthäus VII.
45.
Richten.
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer-
det. Sprecht nicht ab über die geheimen Abſichten und
Endzwecke der Menſchen. Sprecht keine entſcheidende
nachtheilige Urtheile aus, wider euere Brüder. Seyd
gelind und liebreich in der Beurtheilung der Menſchen —
Seyd nicht ſcharf gegen andere, daß es andere auch nicht
gegen euch ſeyn. — — Kein Menſch iſt gern von an-
dern gerichtet, weder in Anſehung ſeiner allenfalls ge-
heimen Abſichten, noch in Anſehung des Schickſals,
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 40[60]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/68>, abgerufen am 21.11.2024.
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