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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Dienen und Herrschen.
ste seyn, der sey euer Knecht. Gleichwie des
Menschen Sohn nicht gekommen ist, daß Er
Ihm dienen lasse -- sondern daß Er diene, und
gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Was willst du, daß ich dir thun soll? War
die gewöhnliche Frage, womit Jesus jedem Bittenden
zuvor oder entgegen kam. Er gewährte so gern eine je-
de Bitte, und schlug so ungern eine einzige ab. Aber
jetzt muß Er abschlagen, weil die Bitte unvernünftig,
und die Gewährung derselben nicht in seiner Gewalt
stand. Die Mutter von Jakobus und Johannes
erwartete bald, daß Jesus als König Israels den Thron
besteigen, und zu Jerusalem seine Residenz aufschlagen
werde. Wie Bathseba für Salomon bey David um
das Königreich bath; So diese fromme, aber noch nicht
genug erleuchtete Frau für ihre Söhne um den höchsten
Rang, um die nächste Stelle an dem Throne des Mes-
sias. Sie hatte ihre Einbildung voll von glänzenden
Bildern -- Jesus voll von Bildern des Leidens und To-
des. Beyde sprachen, jedes aus seinem eigenen Elemente,
seinem besondern Gesichtspunkte. Jesus antwortet:
"Ihr wisset nicht, was ihr bittet. Ihr habt ganz
&q;unrichtige Begriffe von meinem Reiche. Und wenn es
&q;allenfalls auch in einem erhabneren Sinn, als ihr es
&q;denket, wahr werden könnte, daß die Ersten meiner
&q;Jünger zu meinen Mitregenten erhoben würden --
&q;lieben Leute, so ist's noch lange nicht an dem. Erst
&q;muß ein bittrer herber Kelch bis auf den letzten Tro-
&q;pfen ausgetrunken seyn. Erst müssen Fluthen von

&q;Be-
T 5

Dienen und Herrſchen.
ſte ſeyn, der ſey euer Knecht. Gleichwie des
Menſchen Sohn nicht gekommen iſt, daß Er
Ihm dienen laſſe — ſondern daß Er diene, und
gebe ſein Leben zu einer Erlöſung für viele.

Was willſt du, daß ich dir thun ſoll? War
die gewöhnliche Frage, womit Jeſus jedem Bittenden
zuvor oder entgegen kam. Er gewährte ſo gern eine je-
de Bitte, und ſchlug ſo ungern eine einzige ab. Aber
jetzt muß Er abſchlagen, weil die Bitte unvernünftig,
und die Gewährung derſelben nicht in ſeiner Gewalt
ſtand. Die Mutter von Jakobus und Johannes
erwartete bald, daß Jeſus als König Iſraels den Thron
beſteigen, und zu Jeruſalem ſeine Reſidenz aufſchlagen
werde. Wie Bathſeba für Salomon bey David um
das Königreich bath; So dieſe fromme, aber noch nicht
genug erleuchtete Frau für ihre Söhne um den höchſten
Rang, um die nächſte Stelle an dem Throne des Meſ-
ſias. Sie hatte ihre Einbildung voll von glänzenden
Bildern — Jeſus voll von Bildern des Leidens und To-
des. Beyde ſprachen, jedes aus ſeinem eigenen Elemente,
ſeinem beſondern Geſichtspunkte. Jeſus antwortet:
Ihr wiſſet nicht, was ihr bittet. Ihr habt ganz
&q;unrichtige Begriffe von meinem Reiche. Und wenn es
&q;allenfalls auch in einem erhabneren Sinn, als ihr es
&q;denket, wahr werden könnte, daß die Erſten meiner
&q;Jünger zu meinen Mitregenten erhoben würden —
&q;lieben Leute, ſo iſt’s noch lange nicht an dem. Erſt
&q;muß ein bittrer herber Kelch bis auf den letzten Tro-
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[297[317]/0325] Dienen und Herrſchen. ſte ſeyn, der ſey euer Knecht. Gleichwie des Menſchen Sohn nicht gekommen iſt, daß Er Ihm dienen laſſe — ſondern daß Er diene, und gebe ſein Leben zu einer Erlöſung für viele. Was willſt du, daß ich dir thun ſoll? War die gewöhnliche Frage, womit Jeſus jedem Bittenden zuvor oder entgegen kam. Er gewährte ſo gern eine je- de Bitte, und ſchlug ſo ungern eine einzige ab. Aber jetzt muß Er abſchlagen, weil die Bitte unvernünftig, und die Gewährung derſelben nicht in ſeiner Gewalt ſtand. Die Mutter von Jakobus und Johannes erwartete bald, daß Jeſus als König Iſraels den Thron beſteigen, und zu Jeruſalem ſeine Reſidenz aufſchlagen werde. Wie Bathſeba für Salomon bey David um das Königreich bath; So dieſe fromme, aber noch nicht genug erleuchtete Frau für ihre Söhne um den höchſten Rang, um die nächſte Stelle an dem Throne des Meſ- ſias. Sie hatte ihre Einbildung voll von glänzenden Bildern — Jeſus voll von Bildern des Leidens und To- des. Beyde ſprachen, jedes aus ſeinem eigenen Elemente, ſeinem beſondern Geſichtspunkte. Jeſus antwortet: „Ihr wiſſet nicht, was ihr bittet. Ihr habt ganz &q;unrichtige Begriffe von meinem Reiche. Und wenn es &q;allenfalls auch in einem erhabneren Sinn, als ihr es &q;denket, wahr werden könnte, daß die Erſten meiner &q;Jünger zu meinen Mitregenten erhoben würden — &q;lieben Leute, ſo iſt’s noch lange nicht an dem. Erſt &q;muß ein bittrer herber Kelch bis auf den letzten Tro- &q;pfen ausgetrunken ſeyn. Erſt müſſen Fluthen von &q;Be- T 5

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 297[317]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/325>, abgerufen am 24.11.2024.