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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Weg zur Glückseeligkeit. Reichthum.
re, ewige Dinge, wie Ich sie verkündige, oder Glaube
an Mich!

7. Willst du vollkommen seyn; So geh hin
und verkauf Alles, was du hast, und gieb es
den Armen, so wirst du einen Schatz im Him-
mel haben -- und komm und folge Mir nach.

Alle Tugenden, wie sie Namen haben mögen, sind ein
Tausch eines kurzen, gegenwärtigen Vergnügens an ein
Zukünfriges, grösseres, längerdaurendes. Vollkom-
menheit
ist Fertigkeit in der Tugend. Fertigkeit in der
Tugend heißt Bereitwilligkeit, Leichtigkeit alle sinnlichen
Vergnügungen, wie unschuldig und erlaubt sie auch al-
lenfals an sich selbst seyn mögen, um sittlicher und gei-
stiger Vergnügungen willen aufzuopfern. Unser Herr
machte also dem edlen jungen Mann einen sehr eh-
renvollen Vorschlag -- Ein Mann, der alle gött-
liche Gebote von seiner Kindheit an beobachtet hat-
te, sollte der nicht vorbereitet genug seyn, in des
Herrn unmittelbare Jüngerschaft zu treten, und in sei-
ner Schule zu erhabneren Gesinnungen und Tugenden ge-
bildet werden können, als der Buchstabe des mosaischen
Gesetzes ihn nicht zu bilden vermögend war? -- Je-
nes beynahe hastige Verlangen nach dem ewigen Leben;
Jenes feuervolle Streben nach Vollkommenheit, das
sich in Ihm regte, berechtigte es den Herrn nicht, Ihm
diesen Vorschlag zu thun; Ihm diese höhere Tugend
und Seeligkeit vorzuweisen? -- Ihn zu dieser höchsten
Stufe des Glaubens und der Liebe zu erheben? Hätte
der gute Mensch Christo geglaubt; Hätte er so geliebt,

wie

Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum.
re, ewige Dinge, wie Ich ſie verkündige, oder Glaube
an Mich!

7. Willſt du vollkommen ſeyn; So geh hin
und verkauf Alles, was du haſt, und gieb es
den Armen, ſo wirſt du einen Schatz im Him-
mel haben — und komm und folge Mir nach.

Alle Tugenden, wie ſie Namen haben mögen, ſind ein
Tauſch eines kurzen, gegenwärtigen Vergnügens an ein
Zukünfriges, gröſſeres, längerdaurendes. Vollkom-
menheit
iſt Fertigkeit in der Tugend. Fertigkeit in der
Tugend heißt Bereitwilligkeit, Leichtigkeit alle ſinnlichen
Vergnügungen, wie unſchuldig und erlaubt ſie auch al-
lenfals an ſich ſelbſt ſeyn mögen, um ſittlicher und gei-
ſtiger Vergnügungen willen aufzuopfern. Unſer Herr
machte alſo dem edlen jungen Mann einen ſehr eh-
renvollen Vorſchlag — Ein Mann, der alle gött-
liche Gebote von ſeiner Kindheit an beobachtet hat-
te, ſollte der nicht vorbereitet genug ſeyn, in des
Herrn unmittelbare Jüngerſchaft zu treten, und in ſei-
ner Schule zu erhabneren Geſinnungen und Tugenden ge-
bildet werden können, als der Buchſtabe des moſaiſchen
Geſetzes ihn nicht zu bilden vermögend war? — Je-
nes beynahe haſtige Verlangen nach dem ewigen Leben;
Jenes feuervolle Streben nach Vollkommenheit, das
ſich in Ihm regte, berechtigte es den Herrn nicht, Ihm
dieſen Vorſchlag zu thun; Ihm dieſe höhere Tugend
und Seeligkeit vorzuweiſen? — Ihn zu dieſer höchſten
Stufe des Glaubens und der Liebe zu erheben? Hätte
der gute Menſch Chriſto geglaubt; Hätte er ſo geliebt,

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[285[305]/0313] Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum. re, ewige Dinge, wie Ich ſie verkündige, oder Glaube an Mich! 7. Willſt du vollkommen ſeyn; So geh hin und verkauf Alles, was du haſt, und gieb es den Armen, ſo wirſt du einen Schatz im Him- mel haben — und komm und folge Mir nach. Alle Tugenden, wie ſie Namen haben mögen, ſind ein Tauſch eines kurzen, gegenwärtigen Vergnügens an ein Zukünfriges, gröſſeres, längerdaurendes. Vollkom- menheit iſt Fertigkeit in der Tugend. Fertigkeit in der Tugend heißt Bereitwilligkeit, Leichtigkeit alle ſinnlichen Vergnügungen, wie unſchuldig und erlaubt ſie auch al- lenfals an ſich ſelbſt ſeyn mögen, um ſittlicher und gei- ſtiger Vergnügungen willen aufzuopfern. Unſer Herr machte alſo dem edlen jungen Mann einen ſehr eh- renvollen Vorſchlag — Ein Mann, der alle gött- liche Gebote von ſeiner Kindheit an beobachtet hat- te, ſollte der nicht vorbereitet genug ſeyn, in des Herrn unmittelbare Jüngerſchaft zu treten, und in ſei- ner Schule zu erhabneren Geſinnungen und Tugenden ge- bildet werden können, als der Buchſtabe des moſaiſchen Geſetzes ihn nicht zu bilden vermögend war? — Je- nes beynahe haſtige Verlangen nach dem ewigen Leben; Jenes feuervolle Streben nach Vollkommenheit, das ſich in Ihm regte, berechtigte es den Herrn nicht, Ihm dieſen Vorſchlag zu thun; Ihm dieſe höhere Tugend und Seeligkeit vorzuweiſen? — Ihn zu dieſer höchſten Stufe des Glaubens und der Liebe zu erheben? Hätte der gute Menſch Chriſto geglaubt; Hätte er ſo geliebt, wie

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 285[305]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/313>, abgerufen am 24.11.2024.