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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XIX.
wie Christus ihn lieben lehren wollte -- welche Freuden
und Ehren wären seiner Aufopferung auf den Fuß nach-
gefolget! So hätte er ganz im Geiste seines guten
2. Cor. IX. 8Meisters gehandelt, der, obwohl Er reich war,
um unsertwillen arm worden, damit wir durch
seine Armuth reich würden.
Wen Jesus so unmit-
telbar ruft -- sollte der nicht folgen? Der nicht Alles
aufopfern? Der nicht Alles, was ihm Gewinn wä-
re, für Schaden, Koth und Unrath achten!

Zugleich ward dieser Jüngling durch dieß einzige
Wort Jesu tief in die ihm so nöthige Kenntniß seiner
selbst hineingeführt. -- Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst,
war der letzte Punkt göttlicher
Gebote, den ihm Jesus vorgehalten hatte -- worauf
er unmittelbar die Antwort anfügte: Das Alles hab'
ich gehalten von meiner Jugend an.
"Also wird
&q;es, wofern du den Nächsten, den Armen wie dich selbst
&q;liebest -- dir nicht schwer seyn, alles für so viele deiner ar-
&q;men Nebenmenschen zu thun und zu missen;" -- Nichts
ist gewöhnlicher, als zu wähnen -- Man erfülle das
Gebot der Liebe -- und in dem Momente, wo die An-
wendung gemacht -- wo etwas wichtiges aufgeopfert
werden soll -- ist alle Liebe, alle Großmuth wie gebunden.

8. Da der Jüngling das Wort gehört, gieng
er betrübt von Ihm, denn er hatte viel Güter.

So viel er hatte -- Es war doch eine armseelige Bette-
ley gegen das, was ihm von dem Treuen und Wahrhafti-
gen angeboten wurde. Er wähnete an Ihn zu glauben,
und glaubte nicht an Ihn. Hätte er an Ihn, als den

besten,

Matthäus XIX.
wie Chriſtus ihn lieben lehren wollte — welche Freuden
und Ehren wären ſeiner Aufopferung auf den Fuß nach-
gefolget! So hätte er ganz im Geiſte ſeines guten
2. Cor. IX. 8Meiſters gehandelt, der, obwohl Er reich war,
um unſertwillen arm worden, damit wir durch
ſeine Armuth reich würden.
Wen Jeſus ſo unmit-
telbar ruft — ſollte der nicht folgen? Der nicht Alles
aufopfern? Der nicht Alles, was ihm Gewinn wä-
re, für Schaden, Koth und Unrath achten!

Zugleich ward dieſer Jüngling durch dieß einzige
Wort Jeſu tief in die ihm ſo nöthige Kenntniß ſeiner
ſelbſt hineingeführt. — Du ſollſt deinen Nächſten
lieben wie dich ſelbſt,
war der letzte Punkt göttlicher
Gebote, den ihm Jeſus vorgehalten hatte — worauf
er unmittelbar die Antwort anfügte: Das Alles hab’
ich gehalten von meiner Jugend an.
„Alſo wird
&q;es, wofern du den Nächſten, den Armen wie dich ſelbſt
&q;liebeſt — dir nicht ſchwer ſeyn, alles für ſo viele deiner ar-
&q;men Nebenmenſchen zu thun und zu miſſen;„ — Nichts
iſt gewöhnlicher, als zu wähnen — Man erfülle das
Gebot der Liebe — und in dem Momente, wo die An-
wendung gemacht — wo etwas wichtiges aufgeopfert
werden ſoll — iſt alle Liebe, alle Großmuth wie gebunden.

8. Da der Jüngling das Wort gehört, gieng
er betrübt von Ihm, denn er hatte viel Güter.

So viel er hatte — Es war doch eine armſeelige Bette-
ley gegen das, was ihm von dem Treuen und Wahrhafti-
gen angeboten wurde. Er wähnete an Ihn zu glauben,
und glaubte nicht an Ihn. Hätte er an Ihn, als den

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[286[306]/0314] Matthäus XIX. wie Chriſtus ihn lieben lehren wollte — welche Freuden und Ehren wären ſeiner Aufopferung auf den Fuß nach- gefolget! So hätte er ganz im Geiſte ſeines guten Meiſters gehandelt, der, obwohl Er reich war, um unſertwillen arm worden, damit wir durch ſeine Armuth reich würden. Wen Jeſus ſo unmit- telbar ruft — ſollte der nicht folgen? Der nicht Alles aufopfern? Der nicht Alles, was ihm Gewinn wä- re, für Schaden, Koth und Unrath achten! 2. Cor. IX. 8 Zugleich ward dieſer Jüngling durch dieß einzige Wort Jeſu tief in die ihm ſo nöthige Kenntniß ſeiner ſelbſt hineingeführt. — Du ſollſt deinen Nächſten lieben wie dich ſelbſt, war der letzte Punkt göttlicher Gebote, den ihm Jeſus vorgehalten hatte — worauf er unmittelbar die Antwort anfügte: Das Alles hab’ ich gehalten von meiner Jugend an. „Alſo wird &q;es, wofern du den Nächſten, den Armen wie dich ſelbſt &q;liebeſt — dir nicht ſchwer ſeyn, alles für ſo viele deiner ar- &q;men Nebenmenſchen zu thun und zu miſſen;„ — Nichts iſt gewöhnlicher, als zu wähnen — Man erfülle das Gebot der Liebe — und in dem Momente, wo die An- wendung gemacht — wo etwas wichtiges aufgeopfert werden ſoll — iſt alle Liebe, alle Großmuth wie gebunden. 8. Da der Jüngling das Wort gehört, gieng er betrübt von Ihm, denn er hatte viel Güter. So viel er hatte — Es war doch eine armſeelige Bette- ley gegen das, was ihm von dem Treuen und Wahrhafti- gen angeboten wurde. Er wähnete an Ihn zu glauben, und glaubte nicht an Ihn. Hätte er an Ihn, als den beſten,

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 286[306]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/314>, abgerufen am 24.11.2024.