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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Das Cananäische Weib.
Ach Herr! Du Sohn Davids! Erbarme dich
mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel
geplaget. Und er antwortete ihr kein Wort. Da
traten zu Ihm seine Jünger, baten Ihn und spra-
chen: Laß sie doch von Dir! Denn sie schreyet
uns nach; Er antwortete aber und sprach: Ich
bin nicht gesandt, denn nur zu den verlohrnen
Schaafen des Hauses Israels! Sie kam aber und
fiel vor ihm nieder, und sprach: Herr Hilf mir!
Aber Er antwortete und sprach Es ist nicht fein,
daß man den Kindern ihr Brod nehme, und
werfe es für die Hündlein. Sie sprach: Ja Herr!
Aber doch essen die Hündlein von den Brosamen,
die von ihrer Herrn Tische fallen. Da antwor-
tete Jesus und sprach zu ihr: O Weib! dein
Glaube ist groß! Dir geschehe wie du willst! Und
ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.

Der Glaube, den Jesus groß nennt; Der Ihm
vorzüglich gefällt, ist eben so demüthig als muthig und
kühn. Wenn der Glaube, die Hülfserwartung eines Hülfs-
bedürftigen, noch so kühn ist -- wenn er nur demüthig
ist -- so ist er in den Augen des Herrn kostbar. Nie beschalt
Jesus den Glauben, weil er zu kühn war; Aber mehr-
mahls den der nicht kühn genug war. Dieß ist aus
der ganzen Evangelischen Geschichte so klar, als etwas klar
seyn kann. Jesus hilft sogar denen, welchen zu helfen
Er eigentlich keinen Beruf hat. Er war wirklich nur zu
den Israeliten gesendet. Er, als der König der Ju-
den, sollte nur den verlohrnen Schaafen des Hau-

ses
O 2

Das Cananäiſche Weib.
Ach Herr! Du Sohn Davids! Erbarme dich
mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel
geplaget. Und er antwortete ihr kein Wort. Da
traten zu Ihm ſeine Jünger, baten Ihn und ſpra-
chen: Laß ſie doch von Dir! Denn ſie ſchreyet
uns nach; Er antwortete aber und ſprach: Ich
bin nicht geſandt, denn nur zu den verlohrnen
Schaafen des Hauſes Iſraels! Sie kam aber und
fiel vor ihm nieder, und ſprach: Herr Hilf mir!
Aber Er antwortete und ſprach Es iſt nicht fein,
daß man den Kindern ihr Brod nehme, und
werfe es für die Hündlein. Sie ſprach: Ja Herr!
Aber doch eſſen die Hündlein von den Broſamen,
die von ihrer Herrn Tiſche fallen. Da antwor-
tete Jeſus und ſprach zu ihr: O Weib! dein
Glaube iſt groß! Dir geſchehe wie du willſt! Und
ihre Tochter ward geſund zu derſelbigen Stunde.

Der Glaube, den Jeſus groß nennt; Der Ihm
vorzüglich gefällt, iſt eben ſo demüthig als muthig und
kühn. Wenn der Glaube, die Hülfserwartung eines Hülfs-
bedürftigen, noch ſo kühn iſt — wenn er nur demüthig
iſt — ſo iſt er in den Augen des Herrn koſtbar. Nie beſchalt
Jeſus den Glauben, weil er zu kühn war; Aber mehr-
mahls den der nicht kühn genug war. Dieß iſt aus
der ganzen Evangeliſchen Geſchichte ſo klar, als etwas klar
ſeyn kann. Jeſus hilft ſogar denen, welchen zu helfen
Er eigentlich keinen Beruf hat. Er war wirklich nur zu
den Iſraeliten geſendet. Er, als der König der Ju-
den, ſollte nur den verlohrnen Schaafen des Hau-

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O 2
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[211[231]/0239] Das Cananäiſche Weib. Ach Herr! Du Sohn Davids! Erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu Ihm ſeine Jünger, baten Ihn und ſpra- chen: Laß ſie doch von Dir! Denn ſie ſchreyet uns nach; Er antwortete aber und ſprach: Ich bin nicht geſandt, denn nur zu den verlohrnen Schaafen des Hauſes Iſraels! Sie kam aber und fiel vor ihm nieder, und ſprach: Herr Hilf mir! Aber Er antwortete und ſprach Es iſt nicht fein, daß man den Kindern ihr Brod nehme, und werfe es für die Hündlein. Sie ſprach: Ja Herr! Aber doch eſſen die Hündlein von den Broſamen, die von ihrer Herrn Tiſche fallen. Da antwor- tete Jeſus und ſprach zu ihr: O Weib! dein Glaube iſt groß! Dir geſchehe wie du willſt! Und ihre Tochter ward geſund zu derſelbigen Stunde. Der Glaube, den Jeſus groß nennt; Der Ihm vorzüglich gefällt, iſt eben ſo demüthig als muthig und kühn. Wenn der Glaube, die Hülfserwartung eines Hülfs- bedürftigen, noch ſo kühn iſt — wenn er nur demüthig iſt — ſo iſt er in den Augen des Herrn koſtbar. Nie beſchalt Jeſus den Glauben, weil er zu kühn war; Aber mehr- mahls den der nicht kühn genug war. Dieß iſt aus der ganzen Evangeliſchen Geſchichte ſo klar, als etwas klar ſeyn kann. Jeſus hilft ſogar denen, welchen zu helfen Er eigentlich keinen Beruf hat. Er war wirklich nur zu den Iſraeliten geſendet. Er, als der König der Ju- den, ſollte nur den verlohrnen Schaafen des Hau- ſes O 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 211[231]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/239>, abgerufen am 13.06.2024.