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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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der Meßias.
Klugheit und Liebe zur Ordnung. Er hatte noch un-
endlich viel Gutes in der tiefsten Stille zu thun, und für
das Ihm so liebe Menschengeschlecht mit seinem Vater
allein in Richtigkeit zu bringen, daß kein Aug es sehen,
kein Ohr es vernehmen, und daß es in keines Menschen
Herz aufsteigen konnte. Diese grossen edlen Gesin-
nungen waren's, dieß tiefe innere heilige Wohlwollen
gegen das menschliche Geschlecht ---- das Lieblingsge-
schlecht des Vaters aller Geister -- diese Geräuschflie-
hende unermüdete Wohlthätigkeit, dieser ganz göttliche
Sinn war's, wodurch Er sich als den Liebling des Va-
ters, als den Auserwähltesten Seiner Knechte auszeich-
nete! Wie anders konnte es seyn -- Er mußte der Er-
ste, nächste, unmittelbarste Gegenstand des göttlichen
Wohlgefallens seyn! Gott mußte an Ihm mehr Freude
haben, als an der ganzen Schöpfung. Um Seinetwillen
mußte die ganze Schöpfung Gott aufs neue lieb wer-
den. Auf Ihm ruhete der Geist Gottes! In Ihm und
durch Ihn ward Alles Göttliche, was auf die Mensch-
heit wirken kann, offenbar. Er mußte den Heyden
das Gericht verkünden;
Oder: Das Recht unter
die Heyden bringen
-- Oder nicht müde, noch
matt werden, der Erde die Gerechtigkeit,
Ord-
nung, Wahrheit, Ruhe, Seeligkeit, wiederzubringen.
Und das that Er mit einer Einfalt und Würde, einer
Bescheidenheit und Demuth, die dem pharisäischen Gei-
ste seiner Zeit schnurgerad' entgegen war. Sie, die
Pharisäer
thaten alles, in der Absicht, von den Leu-
ten gesehen
und gerühmt zu werden. Um Rettung

der
L

der Meßias.
Klugheit und Liebe zur Ordnung. Er hatte noch un-
endlich viel Gutes in der tiefſten Stille zu thun, und für
das Ihm ſo liebe Menſchengeſchlecht mit ſeinem Vater
allein in Richtigkeit zu bringen, daß kein Aug es ſehen,
kein Ohr es vernehmen, und daß es in keines Menſchen
Herz aufſteigen konnte. Dieſe groſſen edlen Geſin-
nungen waren’s, dieß tiefe innere heilige Wohlwollen
gegen das menſchliche Geſchlecht —— das Lieblingsge-
ſchlecht des Vaters aller Geiſter — dieſe Geräuſchflie-
hende unermüdete Wohlthätigkeit, dieſer ganz göttliche
Sinn war’s, wodurch Er ſich als den Liebling des Va-
ters, als den Auserwählteſten Seiner Knechte auszeich-
nete! Wie anders konnte es ſeyn — Er mußte der Er-
ſte, nächſte, unmittelbarſte Gegenſtand des göttlichen
Wohlgefallens ſeyn! Gott mußte an Ihm mehr Freude
haben, als an der ganzen Schöpfung. Um Seinetwillen
mußte die ganze Schöpfung Gott aufs neue lieb wer-
den. Auf Ihm ruhete der Geiſt Gottes! In Ihm und
durch Ihn ward Alles Göttliche, was auf die Menſch-
heit wirken kann, offenbar. Er mußte den Heyden
das Gericht verkünden;
Oder: Das Recht unter
die Heyden bringen
— Oder nicht müde, noch
matt werden, der Erde die Gerechtigkeit,
Ord-
nung, Wahrheit, Ruhe, Seeligkeit, wiederzubringen.
Und das that Er mit einer Einfalt und Würde, einer
Beſcheidenheit und Demuth, die dem phariſäiſchen Gei-
ſte ſeiner Zeit ſchnurgerad’ entgegen war. Sie, die
Phariſäer
thaten alles, in der Abſicht, von den Leu-
ten geſehen
und gerühmt zu werden. Um Rettung

der
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[161[181]/0189] der Meßias. Klugheit und Liebe zur Ordnung. Er hatte noch un- endlich viel Gutes in der tiefſten Stille zu thun, und für das Ihm ſo liebe Menſchengeſchlecht mit ſeinem Vater allein in Richtigkeit zu bringen, daß kein Aug es ſehen, kein Ohr es vernehmen, und daß es in keines Menſchen Herz aufſteigen konnte. Dieſe groſſen edlen Geſin- nungen waren’s, dieß tiefe innere heilige Wohlwollen gegen das menſchliche Geſchlecht —— das Lieblingsge- ſchlecht des Vaters aller Geiſter — dieſe Geräuſchflie- hende unermüdete Wohlthätigkeit, dieſer ganz göttliche Sinn war’s, wodurch Er ſich als den Liebling des Va- ters, als den Auserwählteſten Seiner Knechte auszeich- nete! Wie anders konnte es ſeyn — Er mußte der Er- ſte, nächſte, unmittelbarſte Gegenſtand des göttlichen Wohlgefallens ſeyn! Gott mußte an Ihm mehr Freude haben, als an der ganzen Schöpfung. Um Seinetwillen mußte die ganze Schöpfung Gott aufs neue lieb wer- den. Auf Ihm ruhete der Geiſt Gottes! In Ihm und durch Ihn ward Alles Göttliche, was auf die Menſch- heit wirken kann, offenbar. Er mußte den Heyden das Gericht verkünden; Oder: Das Recht unter die Heyden bringen — Oder nicht müde, noch matt werden, der Erde die Gerechtigkeit, Ord- nung, Wahrheit, Ruhe, Seeligkeit, wiederzubringen. Und das that Er mit einer Einfalt und Würde, einer Beſcheidenheit und Demuth, die dem phariſäiſchen Gei- ſte ſeiner Zeit ſchnurgerad’ entgegen war. Sie, die Phariſäer thaten alles, in der Abſicht, von den Leu- ten geſehen und gerühmt zu werden. Um Rettung der L

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 161[181]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/189>, abgerufen am 02.10.2024.