"Außerdem muß mich jeder, wer mich nicht näher kennt, für einen moralischen Indifferentisten halten. Wie Sie wissen, urtheilen die Menschen so gern nach allgemeinen Maaßstäben, ich meyne, nach Sprüchwörtern; und wie Sie es jezt treiben, da Sie bey mir logieren, wird man mich da nicht nach dem Sprüchworte: Gleich sucht sich, Gleich findt sich, für eben das halten, wofür Sie Sich zeigen? Werden aber Andere, die mich näher kennen, Sie nicht eines Undanks beschuldigen, und Sie eben darum jeder Niederträchtigkeit fähig halten? Scho- nung für Sie also ist auch Schonung für mich, und umgekehrt."
"Wir sind nicht die Einzigen in der Welt: innere und äußere Verhältnisse binden uns an Andere; und wer sich selbst nicht achtet, nicht gut ist, ach- tet Andere auch nicht, ist Andern auch nicht gut: und dann sind Verachtung und Mistrauen die Dor- nen, die uns auf unserm Lebenspfad überall ritzen. Als wahrer Freund von Ihnen, muß ich Sie dem- nach bitten, Sich in meine Haus- und Lebens-Ord- nung zu fügen, oder Sich eine Wohnung bey Leu- ten aufzusuchen, die an Ihnen weiter kein Inter- esse finden, als -- von Ihnen bezahlt zu wer- den." --
Hr. Bispink hatte recht: ich fühlte das, ich hätte vor seinen Augen versinken mögen, ich fühlte
„Außerdem muß mich jeder, wer mich nicht naͤher kennt, fuͤr einen moraliſchen Indifferentiſten halten. Wie Sie wiſſen, urtheilen die Menſchen ſo gern nach allgemeinen Maaßſtaͤben, ich meyne, nach Spruͤchwoͤrtern; und wie Sie es jezt treiben, da Sie bey mir logieren, wird man mich da nicht nach dem Spruͤchworte: Gleich ſucht ſich, Gleich findt ſich, fuͤr eben das halten, wofuͤr Sie Sich zeigen? Werden aber Andere, die mich naͤher kennen, Sie nicht eines Undanks beſchuldigen, und Sie eben darum jeder Niedertraͤchtigkeit faͤhig halten? Scho- nung fuͤr Sie alſo iſt auch Schonung fuͤr mich, und umgekehrt.“
„Wir ſind nicht die Einzigen in der Welt: innere und aͤußere Verhaͤltniſſe binden uns an Andere; und wer ſich ſelbſt nicht achtet, nicht gut iſt, ach- tet Andere auch nicht, iſt Andern auch nicht gut: und dann ſind Verachtung und Mistrauen die Dor- nen, die uns auf unſerm Lebenspfad uͤberall ritzen. Als wahrer Freund von Ihnen, muß ich Sie dem- nach bitten, Sich in meine Haus- und Lebens-Ord- nung zu fuͤgen, oder Sich eine Wohnung bey Leu- ten aufzuſuchen, die an Ihnen weiter kein Inter- eſſe finden, als — von Ihnen bezahlt zu wer- den.“ —
Hr. Bispink hatte recht: ich fuͤhlte das, ich haͤtte vor ſeinen Augen verſinken moͤgen, ich fuͤhlte
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0281"n="277"/><p>„Außerdem muß mich jeder, wer mich nicht<lb/>
naͤher kennt, fuͤr einen moraliſchen Indifferentiſten<lb/>
halten. Wie Sie wiſſen, urtheilen die Menſchen<lb/>ſo gern nach allgemeinen Maaßſtaͤben, ich meyne,<lb/>
nach Spruͤchwoͤrtern; und wie Sie es jezt treiben, da<lb/>
Sie bey mir logieren, wird man mich da nicht nach<lb/>
dem Spruͤchworte: Gleich ſucht ſich, Gleich findt<lb/>ſich, fuͤr eben das halten, wofuͤr Sie Sich zeigen?<lb/>
Werden aber Andere, die mich naͤher kennen, Sie<lb/>
nicht eines Undanks beſchuldigen, und Sie eben<lb/>
darum jeder Niedertraͤchtigkeit faͤhig halten? Scho-<lb/>
nung fuͤr Sie alſo iſt auch Schonung fuͤr mich,<lb/>
und umgekehrt.“</p><lb/><p>„Wir ſind nicht die Einzigen in der Welt: innere<lb/>
und aͤußere Verhaͤltniſſe binden uns an Andere;<lb/>
und wer ſich ſelbſt nicht achtet, nicht gut iſt, ach-<lb/>
tet Andere auch nicht, iſt Andern auch nicht gut:<lb/>
und dann ſind Verachtung und Mistrauen die Dor-<lb/>
nen, die uns auf unſerm Lebenspfad uͤberall ritzen.<lb/>
Als wahrer Freund von Ihnen, muß ich Sie dem-<lb/>
nach bitten, Sich in meine Haus- und Lebens-Ord-<lb/>
nung zu fuͤgen, oder Sich eine Wohnung bey Leu-<lb/>
ten aufzuſuchen, die an Ihnen weiter kein Inter-<lb/>
eſſe finden, als — von Ihnen bezahlt zu wer-<lb/>
den.“—</p><lb/><p>Hr. <hirendition="#g">Bispink</hi> hatte recht: ich fuͤhlte das, ich<lb/>
haͤtte vor ſeinen Augen verſinken moͤgen, ich fuͤhlte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[277/0281]
„Außerdem muß mich jeder, wer mich nicht
naͤher kennt, fuͤr einen moraliſchen Indifferentiſten
halten. Wie Sie wiſſen, urtheilen die Menſchen
ſo gern nach allgemeinen Maaßſtaͤben, ich meyne,
nach Spruͤchwoͤrtern; und wie Sie es jezt treiben, da
Sie bey mir logieren, wird man mich da nicht nach
dem Spruͤchworte: Gleich ſucht ſich, Gleich findt
ſich, fuͤr eben das halten, wofuͤr Sie Sich zeigen?
Werden aber Andere, die mich naͤher kennen, Sie
nicht eines Undanks beſchuldigen, und Sie eben
darum jeder Niedertraͤchtigkeit faͤhig halten? Scho-
nung fuͤr Sie alſo iſt auch Schonung fuͤr mich,
und umgekehrt.“
„Wir ſind nicht die Einzigen in der Welt: innere
und aͤußere Verhaͤltniſſe binden uns an Andere;
und wer ſich ſelbſt nicht achtet, nicht gut iſt, ach-
tet Andere auch nicht, iſt Andern auch nicht gut:
und dann ſind Verachtung und Mistrauen die Dor-
nen, die uns auf unſerm Lebenspfad uͤberall ritzen.
Als wahrer Freund von Ihnen, muß ich Sie dem-
nach bitten, Sich in meine Haus- und Lebens-Ord-
nung zu fuͤgen, oder Sich eine Wohnung bey Leu-
ten aufzuſuchen, die an Ihnen weiter kein Inter-
eſſe finden, als — von Ihnen bezahlt zu wer-
den.“ —
Hr. Bispink hatte recht: ich fuͤhlte das, ich
haͤtte vor ſeinen Augen verſinken moͤgen, ich fuͤhlte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/281>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.