nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu gläubig gewesen wäre. Als ich ihm dieß beweisen wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem Vorwande: daß er einmal den festen Vorsaz gefaßt habe, niemals, unter keinerley Umständen, über Religionssachen zu streiten. Bravo für alle Esel in den Kirchen-Mühlen! -- Er hatte einen Be- kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief mitgeben wollte; aber der Brief ist nicht geschrie- ben worden: es war auch schon so recht: denn in Paris hätte ich ihn doch nicht abgeben können. Was und wohin die vielen Blinden damals nicht alles dachten!
Von dem berühmten und berüchtigten Eulo- gius Schneider erzählte er allerhand skandalöse Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet, nichts weniger als skandalös waren. Doch ich wußte recht gut, wie und wofür ich die Erzählun- gen eines Koblenzer dickbäuchigen Kanonikus von einem Ketzer und Apostaten zu nehmen hatte *)
Das Volk im Trierlande ist überhaupt kein Volk, bey welchem ich leben möchte. Das ganze Land ist katholisch, und zwar recht jesuitisch-katholisch; daher alle Ketzerey -- folglich auch alle Vernunft und
*) Was ich über Eulogius Schneider in Strasburg sonst erfahren habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzähle ich in der Folge.
nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu glaͤubig geweſen waͤre. Als ich ihm dieß beweiſen wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem Vorwande: daß er einmal den feſten Vorſaz gefaßt habe, niemals, unter keinerley Umſtaͤnden, uͤber Religionsſachen zu ſtreiten. Bravo fuͤr alle Eſel in den Kirchen-Muͤhlen! — Er hatte einen Be- kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief mitgeben wollte; aber der Brief iſt nicht geſchrie- ben worden: es war auch ſchon ſo recht: denn in Paris haͤtte ich ihn doch nicht abgeben koͤnnen. Was und wohin die vielen Blinden damals nicht alles dachten!
Von dem beruͤhmten und beruͤchtigten Eulo- gius Schneider erzaͤhlte er allerhand ſkandaloͤſe Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet, nichts weniger als ſkandaloͤs waren. Doch ich wußte recht gut, wie und wofuͤr ich die Erzaͤhlun- gen eines Koblenzer dickbaͤuchigen Kanonikus von einem Ketzer und Apoſtaten zu nehmen hatte *)
Das Volk im Trierlande iſt uͤberhaupt kein Volk, bey welchem ich leben moͤchte. Das ganze Land iſt katholiſch, und zwar recht jeſuitiſch-katholiſch; daher alle Ketzerey — folglich auch alle Vernunft und
*) Was ich uͤber Eulogius Schneider in Strasburg ſonſt erfahren habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzaͤhle ich in der Folge.
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nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu
glaͤubig geweſen waͤre. Als ich ihm dieß beweiſen
wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem
Vorwande: daß er einmal den feſten Vorſaz gefaßt
habe, niemals, unter keinerley Umſtaͤnden, uͤber
Religionsſachen zu ſtreiten. Bravo fuͤr alle Eſel
in den Kirchen-Muͤhlen! — Er hatte einen Be-
kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief
mitgeben wollte; aber der Brief iſt nicht geſchrie-
ben worden: es war auch ſchon ſo recht: denn in
Paris haͤtte ich ihn doch nicht abgeben koͤnnen.
Was und wohin die vielen Blinden damals nicht
alles dachten!
Von dem beruͤhmten und beruͤchtigten Eulo-
gius Schneider erzaͤhlte er allerhand ſkandaloͤſe
Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet,
nichts weniger als ſkandaloͤs waren. Doch ich
wußte recht gut, wie und wofuͤr ich die Erzaͤhlun-
gen eines Koblenzer dickbaͤuchigen Kanonikus von
einem Ketzer und Apoſtaten zu nehmen hatte *)
Das Volk im Trierlande iſt uͤberhaupt kein Volk,
bey welchem ich leben moͤchte. Das ganze Land
iſt katholiſch, und zwar recht jeſuitiſch-katholiſch;
daher alle Ketzerey — folglich auch alle Vernunft und
*) Was ich uͤber Eulogius Schneider in Strasburg ſonſt erfahren
habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzaͤhle ich in der Folge.
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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