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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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rücht recht ernstlich; aber wohl aus übertriebener
Delikatesse, die sonst mein Fehler nicht war: denn
wenn ein Herr Professor sich mit einem hübschen
Mädel auf eine Viertelstunde einlassen kann, ohne
auf Stand und dergleichen zu achten: warum ein
Magister nicht auf immer? die Liebe läßt sich doch
wahrlich durch einen gesetzlichen Machtspruch nicht
so modificiren, wie man einen Bauerkerl durch den
Korporalstock modificirt: Sonst müßten die Herren
Moralisten und Regenten die untadelhaftesten Mu-
ster in der Liebe seyn!

Madam Cheminon hatte ein Mädchen, Namens
Fiekchen -- den Zunamen habe ich vergessen --
zu sich genommen, weil das Mädchen Obdach suchte,
und wöchentlich 16 Groschen zu verzehren hatte.
Fiekchen war noch nicht 16 Jahre alt, sah sehr gut
aus, und hatte durch ihr gutes Ansehen einen Stu-
denten, S* aus M***, in sich verliebt gemacht.
Dieser hatte ihr versprochen, sie zu heurathen, und
bis dahin das Kostgeld für sie herzugeben. Anfäng-
lich wurde Fiekchen gut gehalten, hernach aber ver-
stoßen, weil sie den Respekt gegen das alte gebiete-
rische Fegfeuer manchmal aus den Augen setzte, und,
was das wichtigste war, endlich das Kostgeld aus-
blieb. In dieser traurigen Lage begegnete mir
das arme Mädchen mit roth geweinten Augen.
Auf meine Frage nach der Ursache ihrer Thränen,

ruͤcht recht ernſtlich; aber wohl aus uͤbertriebener
Delikateſſe, die ſonſt mein Fehler nicht war: denn
wenn ein Herr Profeſſor ſich mit einem huͤbſchen
Maͤdel auf eine Viertelſtunde einlaſſen kann, ohne
auf Stand und dergleichen zu achten: warum ein
Magiſter nicht auf immer? die Liebe laͤßt ſich doch
wahrlich durch einen geſetzlichen Machtſpruch nicht
ſo modificiren, wie man einen Bauerkerl durch den
Korporalſtock modificirt: Sonſt muͤßten die Herren
Moraliſten und Regenten die untadelhafteſten Mu-
ſter in der Liebe ſeyn!

Madam Cheminon hatte ein Maͤdchen, Namens
Fiekchen — den Zunamen habe ich vergeſſen —
zu ſich genommen, weil das Maͤdchen Obdach ſuchte,
und woͤchentlich 16 Groſchen zu verzehren hatte.
Fiekchen war noch nicht 16 Jahre alt, ſah ſehr gut
aus, und hatte durch ihr gutes Anſehen einen Stu-
denten, S* aus M***, in ſich verliebt gemacht.
Dieſer hatte ihr verſprochen, ſie zu heurathen, und
bis dahin das Koſtgeld fuͤr ſie herzugeben. Anfaͤng-
lich wurde Fiekchen gut gehalten, hernach aber ver-
ſtoßen, weil ſie den Reſpekt gegen das alte gebiete-
riſche Fegfeuer manchmal aus den Augen ſetzte, und,
was das wichtigſte war, endlich das Koſtgeld aus-
blieb. In dieſer traurigen Lage begegnete mir
das arme Maͤdchen mit roth geweinten Augen.
Auf meine Frage nach der Urſache ihrer Thraͤnen,

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[268[278]/0280] ruͤcht recht ernſtlich; aber wohl aus uͤbertriebener Delikateſſe, die ſonſt mein Fehler nicht war: denn wenn ein Herr Profeſſor ſich mit einem huͤbſchen Maͤdel auf eine Viertelſtunde einlaſſen kann, ohne auf Stand und dergleichen zu achten: warum ein Magiſter nicht auf immer? die Liebe laͤßt ſich doch wahrlich durch einen geſetzlichen Machtſpruch nicht ſo modificiren, wie man einen Bauerkerl durch den Korporalſtock modificirt: Sonſt muͤßten die Herren Moraliſten und Regenten die untadelhafteſten Mu- ſter in der Liebe ſeyn! Madam Cheminon hatte ein Maͤdchen, Namens Fiekchen — den Zunamen habe ich vergeſſen — zu ſich genommen, weil das Maͤdchen Obdach ſuchte, und woͤchentlich 16 Groſchen zu verzehren hatte. Fiekchen war noch nicht 16 Jahre alt, ſah ſehr gut aus, und hatte durch ihr gutes Anſehen einen Stu- denten, S* aus M***, in ſich verliebt gemacht. Dieſer hatte ihr verſprochen, ſie zu heurathen, und bis dahin das Koſtgeld fuͤr ſie herzugeben. Anfaͤng- lich wurde Fiekchen gut gehalten, hernach aber ver- ſtoßen, weil ſie den Reſpekt gegen das alte gebiete- riſche Fegfeuer manchmal aus den Augen ſetzte, und, was das wichtigſte war, endlich das Koſtgeld aus- blieb. In dieſer traurigen Lage begegnete mir das arme Maͤdchen mit roth geweinten Augen. Auf meine Frage nach der Urſache ihrer Thraͤnen,

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 268[278]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/280>, abgerufen am 28.11.2024.