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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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men noch die großen Uneinigkeiten und Zänkereien
unter den Protestanten selbst: wer solle da Recht ha-
ben? Luther oder Kalvin? Bahrdt oder
Götz? Semler oder Reus? -- Bei sogestal-
teten Sachen müsse ein gescheuter Protestant allemal
ein Freigeist werden d). Sehn Sie, Herr Pfar-
rer, fuhr ich fort, den Ursprung meiner Freigeiste-
rei? Aber im System der katholischen Kirche finde
ich alle Zweifel gehoben, und eben so viel Gewiß-
heit als in Kästners Geometrie. -- Herr Neuner
schien mit diesem Galimathias zufrieden zu seyn,
und versprach, sich bestens zu meinem Vortheil zu
verwenden.

Allein, obgleich die katholischen Pfaffen gern
ihre Kirche zu mehren suchen, seys auch mit unwür-
digen Mitgliedern; so muß doch diese Mehrung ei-
nem größern eignen Interesse nicht zuwider seyn:
sonst setzen sie das Interesse der heiligen Kirche hin-
tan. Und das war der Fall bei Hrn. Neuner.


d) Auch der gescheute Katholik: denn Damasus, Six-
tus der Fünfte, Leo der Zehnte, Paulus
der Dritte
, und alle übrigen dictatorischen Bestand-
theile der kathol. Kirche waren auch Menschen, die auch
nur nach Sachkriterien entscheiden könnten -- ausser
wenn sie für gut fanden, auf den ächten heiligen Geist,
d. i. die Eingebungen einer geläuterten, gesunden
Vernunft Verzicht zu thun, und durch den Glauben
Weiß schwarz, und Schwarz weiß zu -- brennen.

men noch die großen Uneinigkeiten und Zaͤnkereien
unter den Proteſtanten ſelbſt: wer ſolle da Recht ha-
ben? Luther oder Kalvin? Bahrdt oder
Goͤtz? Semler oder Reus? — Bei ſogeſtal-
teten Sachen muͤſſe ein geſcheuter Proteſtant allemal
ein Freigeiſt werden d). Sehn Sie, Herr Pfar-
rer, fuhr ich fort, den Urſprung meiner Freigeiſte-
rei? Aber im Syſtem der katholiſchen Kirche finde
ich alle Zweifel gehoben, und eben ſo viel Gewiß-
heit als in Kaͤſtners Geometrie. — Herr Neuner
ſchien mit dieſem Galimathias zufrieden zu ſeyn,
und verſprach, ſich beſtens zu meinem Vortheil zu
verwenden.

Allein, obgleich die katholiſchen Pfaffen gern
ihre Kirche zu mehren ſuchen, ſeys auch mit unwuͤr-
digen Mitgliedern; ſo muß doch dieſe Mehrung ei-
nem groͤßern eignen Intereſſe nicht zuwider ſeyn:
ſonſt ſetzen ſie das Intereſſe der heiligen Kirche hin-
tan. Und das war der Fall bei Hrn. Neuner.


d) Auch der geſcheute Katholik: denn Damaſus, Six-
tus der Fuͤnfte, Leo der Zehnte, Paulus
der Dritte
, und alle uͤbrigen dictatoriſchen Beſtand-
theile der kathol. Kirche waren auch Menſchen, die auch
nur nach Sachkriterien entſcheiden koͤnnten — auſſer
wenn ſie fuͤr gut fanden, auf den aͤchten heiligen Geiſt,
d. i. die Eingebungen einer gelaͤuterten, geſunden
Vernunft Verzicht zu thun, und durch den Glauben
Weiß ſchwarz, und Schwarz weiß zu — brennen.
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[19/0021] men noch die großen Uneinigkeiten und Zaͤnkereien unter den Proteſtanten ſelbſt: wer ſolle da Recht ha- ben? Luther oder Kalvin? Bahrdt oder Goͤtz? Semler oder Reus? — Bei ſogeſtal- teten Sachen muͤſſe ein geſcheuter Proteſtant allemal ein Freigeiſt werden d). Sehn Sie, Herr Pfar- rer, fuhr ich fort, den Urſprung meiner Freigeiſte- rei? Aber im Syſtem der katholiſchen Kirche finde ich alle Zweifel gehoben, und eben ſo viel Gewiß- heit als in Kaͤſtners Geometrie. — Herr Neuner ſchien mit dieſem Galimathias zufrieden zu ſeyn, und verſprach, ſich beſtens zu meinem Vortheil zu verwenden. Allein, obgleich die katholiſchen Pfaffen gern ihre Kirche zu mehren ſuchen, ſeys auch mit unwuͤr- digen Mitgliedern; ſo muß doch dieſe Mehrung ei- nem groͤßern eignen Intereſſe nicht zuwider ſeyn: ſonſt ſetzen ſie das Intereſſe der heiligen Kirche hin- tan. Und das war der Fall bei Hrn. Neuner. d) Auch der geſcheute Katholik: denn Damaſus, Six- tus der Fuͤnfte, Leo der Zehnte, Paulus der Dritte, und alle uͤbrigen dictatoriſchen Beſtand- theile der kathol. Kirche waren auch Menſchen, die auch nur nach Sachkriterien entſcheiden koͤnnten — auſſer wenn ſie fuͤr gut fanden, auf den aͤchten heiligen Geiſt, d. i. die Eingebungen einer gelaͤuterten, geſunden Vernunft Verzicht zu thun, und durch den Glauben Weiß ſchwarz, und Schwarz weiß zu — brennen.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/21>, abgerufen am 29.03.2024.