nahm mich mein Vater nach Hause, um mich da unter seinen Augen heilen zu lassen. Das geschah im Herbst, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771. Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super- intendent Kratz meinem Vater einen sehr geschick- ten Hauslehrer, wofür er ihn hielt, empfohlen, der denn auch zu uns zog, und seine Lectionen mit mir und meinem zwei Jahre jüngern Bruder anfing.
Der Mensch hieß Weichselfelder, und hat- te ehemals in Jena studirt: hernach war er Pfar- rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms Rödelheim; aber sein unbändiges Saufen und an- dere Ausschweifungen hatten ihn vom Dienst ge- bracht. Darauf hatte er sich nach Gießen begeben mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange- fangen, medicinische Kollegia zu hören. Nachdem er so weit gekommen war, ein Recept zu schreiben, und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter auszudauern; so ging er auf gut Glück in alle Welt, salbaderte und quacksalberte in den kleinen Herrschaf- ten am Rhein und Main herum m), und kam so
m) In den unzähligen kleinen Herrschaften und Territo- rien in jenen Gegenden, sieht es mit der medicinischen Einrichtung schrecklich aus. Jeder Quacksalber und Marktschreier, jedes altes Weib hat daselbst das Privi- legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal- len in die andere Welt zu schicken. Der Kuhdoctor Herr Thomas zu Schwabenheim, der meistens mit Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma-
nahm mich mein Vater nach Hauſe, um mich da unter ſeinen Augen heilen zu laſſen. Das geſchah im Herbſt, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771. Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super- intendent Kratz meinem Vater einen ſehr geſchick- ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der denn auch zu uns zog, und ſeine Lectionen mit mir und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing.
Der Menſch hieß Weichſelfelder, und hat- te ehemals in Jena ſtudirt: hernach war er Pfar- rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms Roͤdelheim; aber ſein unbaͤndiges Saufen und an- dere Ausſchweifungen hatten ihn vom Dienſt ge- bracht. Darauf hatte er ſich nach Gießen begeben mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange- fangen, mediciniſche Kollegia zu hoͤren. Nachdem er ſo weit gekommen war, ein Recept zu ſchreiben, und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter auszudauern; ſo ging er auf gut Gluͤck in alle Welt, ſalbaderte und quackſalberte in den kleinen Herrſchaf- ten am Rhein und Main herum m), und kam ſo
m) In den unzaͤhligen kleinen Herrſchaften und Territo- rien in jenen Gegenden, ſieht es mit der mediciniſchen Einrichtung ſchrecklich aus. Jeder Quackſalber und Marktſchreier, jedes altes Weib hat daſelbſt das Privi- legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal- len in die andere Welt zu ſchicken. Der Kuhdoctor Herr Thomas zu Schwabenheim, der meiſtens mit Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma-
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nahm mich mein Vater nach Hauſe, um mich da
unter ſeinen Augen heilen zu laſſen. Das geſchah
im Herbſt, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771.
Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super-
intendent Kratz meinem Vater einen ſehr geſchick-
ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der
denn auch zu uns zog, und ſeine Lectionen mit mir
und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing.
Der Menſch hieß Weichſelfelder, und hat-
te ehemals in Jena ſtudirt: hernach war er Pfar-
rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms
Roͤdelheim; aber ſein unbaͤndiges Saufen und an-
dere Ausſchweifungen hatten ihn vom Dienſt ge-
bracht. Darauf hatte er ſich nach Gießen begeben
mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange-
fangen, mediciniſche Kollegia zu hoͤren. Nachdem
er ſo weit gekommen war, ein Recept zu ſchreiben,
und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter
auszudauern; ſo ging er auf gut Gluͤck in alle Welt,
ſalbaderte und quackſalberte in den kleinen Herrſchaf-
ten am Rhein und Main herum m), und kam ſo
m) In den unzaͤhligen kleinen Herrſchaften und Territo-
rien in jenen Gegenden, ſieht es mit der mediciniſchen
Einrichtung ſchrecklich aus. Jeder Quackſalber und
Marktſchreier, jedes altes Weib hat daſelbſt das Privi-
legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal-
len in die andere Welt zu ſchicken. Der Kuhdoctor
Herr Thomas zu Schwabenheim, der meiſtens mit
Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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