nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechisch zu käuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen: ich fühlte den Unterschied zwischen der Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich, fluchte und schalt nie; Hr. Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tückisch war, wie ein Boots- knecht, und gab uns immer die garstigsten Zunah- men: Flegel, Esel, Schlingel, Büffel, Ofenlochs- gabel, Hache -- waren die gewöhnlichen Titel, wo- mit er uns begrüßte; und darauf pflegte eine derbe Prügelsuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz freundlich. Konnte ein Schüler seine Vocabeln ohne Anstoß hersagen; so bestand der ganze Beifall in einem mürrischen hm, hm! fehlten aber einige Wör- ter, dann klang die Musik anders. Kurz, die Schul- stunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch durften wir sie bei schwerer Strafe nicht versäumen.
Herr Kratz hatte keine Kinder, und seine liebe Hälfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu Endor. Es ist schwer, sich etwas abscheulichers vor- zustellen: ihr Schmutz ging über alle Beschreibung. Sie soll sogar einmal eine Reissuppe von einer Jüdin für einige Kreuzer gekauft haben, weil sie Trefe, d. i. unrein, und folglich ungenießbar für Juden geworden war. Der Inspektor liebte seine Frau nicht: wen befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die
nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechiſch zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen: ich fuͤhlte den Unterſchied zwiſchen der Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich, fluchte und ſchalt nie; Hr. Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tuͤckiſch war, wie ein Boots- knecht, und gab uns immer die garſtigſten Zunah- men: Flegel, Eſel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs- gabel, Hache — waren die gewoͤhnlichen Titel, wo- mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe Pruͤgelſuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz freundlich. Konnte ein Schuͤler ſeine Vocabeln ohne Anſtoß herſagen; ſo beſtand der ganze Beifall in einem muͤrriſchen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr- ter, dann klang die Muſik anders. Kurz, die Schul- ſtunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch durften wir ſie bei ſchwerer Strafe nicht verſaͤumen.
Herr Kratz hatte keine Kinder, und ſeine liebe Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu Endor. Es iſt ſchwer, ſich etwas abſcheulichers vor- zuſtellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beſchreibung. Sie ſoll ſogar einmal eine Reisſuppe von einer Juͤdin fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil ſie Trefe, d. i. unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden war. Der Inſpektor liebte ſeine Frau nicht: wen befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die
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nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechiſch
zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht
recht behagen: ich fuͤhlte den Unterſchied zwiſchen der
Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der
des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich,
fluchte und ſchalt nie; Hr. Kratz war ganz anders.
Der fluchte, wenn er tuͤckiſch war, wie ein Boots-
knecht, und gab uns immer die garſtigſten Zunah-
men: Flegel, Eſel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs-
gabel, Hache — waren die gewoͤhnlichen Titel, wo-
mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe
Pruͤgelſuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz
freundlich. Konnte ein Schuͤler ſeine Vocabeln ohne
Anſtoß herſagen; ſo beſtand der ganze Beifall in
einem muͤrriſchen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr-
ter, dann klang die Muſik anders. Kurz, die Schul-
ſtunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch
durften wir ſie bei ſchwerer Strafe nicht verſaͤumen.
Herr Kratz hatte keine Kinder, und ſeine liebe
Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu
Endor. Es iſt ſchwer, ſich etwas abſcheulichers vor-
zuſtellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beſchreibung.
Sie ſoll ſogar einmal eine Reisſuppe von einer Juͤdin
fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil ſie Trefe, d. i.
unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden
war. Der Inſpektor liebte ſeine Frau nicht: wen
befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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