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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

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lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich
die christliche Religion noch immer als eine gute mo-
ralische Stiftung für ihre ersten Anhänger, vorzüg-
lich aus den Juden, angesehen, und verehrte den
Urheber derselben, so wie seine ersten Nachfolger,
als brave ehrliche Männer, die höchstens Fanatiker
und Feinde des Priester- Despotismus gewesen wä-
ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen
christlichen System nichts als Betrug und zwar Be-
trug, der sich auf die abscheulichsten Absichten grün-
dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er
las sie durch, und gab sie mir mit den Worten wie-
der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni
novi!
Dabei rieth er mir, da ich nun gescheut genug
seyn müste, alles das für mich zu behalten, und nichts
davon ins Publikum zu bringen. Aber das war
kein Rath für mich. Ich las meinen Freunden die
Fragmente, besonders das über die Auferstehung
Jesu und dessen Zweck und seiner Jünger mehrmals
vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu-
rück geben muste, von uns abgeschrieben, und war
von nun an unsre Bibel.

Auf diese Art hatte ich eine kleine deistische
Gesellschaft gestiftet, wovon ich der Matador
war: jeder konsulirte mich, trug mir seine Zweifel
vor, und bath sich meine Orakelsprüche aus. Ich
nenne die Namen meiner Glaubensbrüder nicht:

lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich
die chriſtliche Religion noch immer als eine gute mo-
raliſche Stiftung fuͤr ihre erſten Anhaͤnger, vorzuͤg-
lich aus den Juden, angeſehen, und verehrte den
Urheber derſelben, ſo wie ſeine erſten Nachfolger,
als brave ehrliche Maͤnner, die hoͤchſtens Fanatiker
und Feinde des Prieſter- Despotismus geweſen waͤ-
ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen
chriſtlichen Syſtem nichts als Betrug und zwar Be-
trug, der ſich auf die abſcheulichſten Abſichten gruͤn-
dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er
las ſie durch, und gab ſie mir mit den Worten wie-
der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni
novi!
Dabei rieth er mir, da ich nun geſcheut genug
ſeyn muͤſte, alles das fuͤr mich zu behalten, und nichts
davon ins Publikum zu bringen. Aber das war
kein Rath fuͤr mich. Ich las meinen Freunden die
Fragmente, beſonders das uͤber die Auferſtehung
Jeſu und deſſen Zweck und ſeiner Juͤnger mehrmals
vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu-
ruͤck geben muſte, von uns abgeſchrieben, und war
von nun an unſre Bibel.

Auf dieſe Art hatte ich eine kleine deiſtiſche
Geſellſchaft geſtiftet, wovon ich der Matador
war: jeder konſulirte mich, trug mir ſeine Zweifel
vor, und bath ſich meine Orakelſpruͤche aus. Ich
nenne die Namen meiner Glaubensbruͤder nicht:

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[300/0314] lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich die chriſtliche Religion noch immer als eine gute mo- raliſche Stiftung fuͤr ihre erſten Anhaͤnger, vorzuͤg- lich aus den Juden, angeſehen, und verehrte den Urheber derſelben, ſo wie ſeine erſten Nachfolger, als brave ehrliche Maͤnner, die hoͤchſtens Fanatiker und Feinde des Prieſter- Despotismus geweſen waͤ- ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen chriſtlichen Syſtem nichts als Betrug und zwar Be- trug, der ſich auf die abſcheulichſten Abſichten gruͤn- dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er las ſie durch, und gab ſie mir mit den Worten wie- der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni novi! Dabei rieth er mir, da ich nun geſcheut genug ſeyn muͤſte, alles das fuͤr mich zu behalten, und nichts davon ins Publikum zu bringen. Aber das war kein Rath fuͤr mich. Ich las meinen Freunden die Fragmente, beſonders das uͤber die Auferſtehung Jeſu und deſſen Zweck und ſeiner Juͤnger mehrmals vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu- ruͤck geben muſte, von uns abgeſchrieben, und war von nun an unſre Bibel. Auf dieſe Art hatte ich eine kleine deiſtiſche Geſellſchaft geſtiftet, wovon ich der Matador war: jeder konſulirte mich, trug mir ſeine Zweifel vor, und bath ſich meine Orakelſpruͤche aus. Ich nenne die Namen meiner Glaubensbruͤder nicht:

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/314>, abgerufen am 24.11.2024.