als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk- te, daß die Historien der unendlichen christlichen Zänkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf- fenspitzbübereien den meisten Eindruck auf meine Freunde machten; so blieb ich bei diesem Kapitel im- mer recht lange stehen, und erläuterte alles, so gut ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken kann, recht wohl zu statten. Dabei gab ich mir ein sehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten. Mußte ich dem einen und andern dieser Vertheidiger die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er ein ge- lehrter Mann und heller Kopf sey; so gab ich vor: der Mann sey nur einseitig aufgeklärt, sey ein Heuch- ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen. Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu- mente, deren Schwäche ich selbst einsah; allein ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich sagte, für baare Münze annahmen, und da dachte ich, sey eine pia fraus erlaubt. In diesem Falle machte ich es gerade so, wie die heiligen Kirchenväter, ja selbst wie die Apostel, welche kat anthropon bewie- sen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhörer glaubten, sie mochten nun überzeugt, oder übertölpelt seyn.
Endlich erhielt ich die berühmten Fragmente, die Lessing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol-
als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk- te, daß die Hiſtorien der unendlichen chriſtlichen Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf- fenſpitzbuͤbereien den meiſten Eindruck auf meine Freunde machten; ſo blieb ich bei dieſem Kapitel im- mer recht lange ſtehen, und erlaͤuterte alles, ſo gut ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken kann, recht wohl zu ſtatten. Dabei gab ich mir ein ſehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten. Mußte ich dem einen und andern dieſer Vertheidiger die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er ein ge- lehrter Mann und heller Kopf ſey; ſo gab ich vor: der Mann ſey nur einſeitig aufgeklaͤrt, ſey ein Heuch- ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen. Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu- mente, deren Schwaͤche ich ſelbſt einſah; allein ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich ſagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte ich, ſey eine pia fraus erlaubt. In dieſem Falle machte ich es gerade ſo, wie die heiligen Kirchenvaͤter, ja ſelbſt wie die Apoſtel, welche kat anthropon bewie- ſen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten, ſie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt ſeyn.
Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente, die Leſſing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0313"n="299"/>
als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk-<lb/>
te, daß die Hiſtorien der unendlichen chriſtlichen<lb/>
Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf-<lb/>
fenſpitzbuͤbereien den meiſten Eindruck auf meine<lb/>
Freunde machten; ſo blieb ich bei dieſem Kapitel im-<lb/>
mer recht lange ſtehen, und erlaͤuterte alles, ſo gut<lb/>
ich konnte. <hirendition="#g">Voltaire</hi> kam mir, wie man denken<lb/>
kann, recht wohl zu ſtatten. Dabei gab ich mir ein<lb/>ſehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf<lb/>
die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten.<lb/>
Mußte ich dem einen und andern dieſer Vertheidiger<lb/>
die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er ein ge-<lb/>
lehrter Mann und heller Kopf ſey; ſo gab ich vor:<lb/>
der Mann ſey nur einſeitig aufgeklaͤrt, ſey ein Heuch-<lb/>
ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen.<lb/>
Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich<lb/>
zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu-<lb/>
mente, deren Schwaͤche ich ſelbſt einſah; allein<lb/>
ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich<lb/>ſagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte<lb/>
ich, ſey eine <hirendition="#aq">pia fraus</hi> erlaubt. In dieſem Falle<lb/>
machte ich es gerade ſo, wie die heiligen Kirchenvaͤter,<lb/>
ja ſelbſt wie die Apoſtel, welche <hirendition="#aq">kat anthropon</hi> bewie-<lb/>ſen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten,<lb/>ſie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt ſeyn.</p><lb/><p>Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente,<lb/>
die <hirendition="#g">Leſſing</hi> herausgegeben hat. Jetzt war ich vol-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[299/0313]
als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk-
te, daß die Hiſtorien der unendlichen chriſtlichen
Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf-
fenſpitzbuͤbereien den meiſten Eindruck auf meine
Freunde machten; ſo blieb ich bei dieſem Kapitel im-
mer recht lange ſtehen, und erlaͤuterte alles, ſo gut
ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken
kann, recht wohl zu ſtatten. Dabei gab ich mir ein
ſehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf
die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten.
Mußte ich dem einen und andern dieſer Vertheidiger
die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er ein ge-
lehrter Mann und heller Kopf ſey; ſo gab ich vor:
der Mann ſey nur einſeitig aufgeklaͤrt, ſey ein Heuch-
ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen.
Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich
zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu-
mente, deren Schwaͤche ich ſelbſt einſah; allein
ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich
ſagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte
ich, ſey eine pia fraus erlaubt. In dieſem Falle
machte ich es gerade ſo, wie die heiligen Kirchenvaͤter,
ja ſelbſt wie die Apoſtel, welche kat anthropon bewie-
ſen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten,
ſie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt ſeyn.
Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente,
die Leſſing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/313>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.