Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon- sistorium, den Rath Zehner: ich glaube der Mann lebt noch. An diesen hatte mir mein Vater einen Brief mitgegeben. Der Rath war, welches sonst seine Gewohnheit nicht ist, ziemlich höflich, und be- hielt mich zum Essen. Es würde, meinte er, mit meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig- keit haben, wenn ich mich einem rigorösen Examen unterwerfen wollte und -- könnte. Das Ding är- gerte mich, und ich sagte meinem Herrn Rath, daß er an mir nicht verzweifeln sollte: ich hätte meine Sache ehrlich gelernt, und würde gewiß so gut be- stehen, als Weppner, Georgi, und viel andre Herrchen, die man doch auf dem Konsistorium zu Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugnissen versehen hätte. Zehner lächelte, und fing an, mich zu tentiren; doch nur so gewandsweise: er brachte das Gespräch auf die Reformirte Gnadenwahl. Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich mich in der Kirchen Geschichte nicht verstiegen hat- te, so wuste ich doch recht gut, was Augustin, die Prädestinatianer, Gottschalk und Luther, von dieser Lehre gesagt hatten, kannte die Händel des Amyral- dus, der Remonstranten, Jansenisten und Jesuiten weit besser, als Herr Zehner, und war daher im Stande, eine Gelehrsamkeit auszukramen, worüber der alte Rath staunte. Er ließ es daher gleich gut
Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon- ſiſtorium, den Rath Zehner: ich glaube der Mann lebt noch. An dieſen hatte mir mein Vater einen Brief mitgegeben. Der Rath war, welches ſonſt ſeine Gewohnheit nicht iſt, ziemlich hoͤflich, und be- hielt mich zum Eſſen. Es wuͤrde, meinte er, mit meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig- keit haben, wenn ich mich einem rigoroͤſen Examen unterwerfen wollte und — koͤnnte. Das Ding aͤr- gerte mich, und ich ſagte meinem Herrn Rath, daß er an mir nicht verzweifeln ſollte: ich haͤtte meine Sache ehrlich gelernt, und wuͤrde gewiß ſo gut be- ſtehen, als Weppner, Georgi, und viel andre Herrchen, die man doch auf dem Konſiſtorium zu Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugniſſen verſehen haͤtte. Zehner laͤchelte, und fing an, mich zu tentiren; doch nur ſo gewandsweiſe: er brachte das Geſpraͤch auf die Reformirte Gnadenwahl. Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich mich in der Kirchen Geſchichte nicht verſtiegen hat- te, ſo wuſte ich doch recht gut, was Auguſtin, die Praͤdeſtinatianer, Gottſchalk und Luther, von dieſer Lehre geſagt hatten, kannte die Haͤndel des Amyral- dus, der Remonſtranten, Janſeniſten und Jeſuiten weit beſſer, als Herr Zehner, und war daher im Stande, eine Gelehrſamkeit auszukramen, woruͤber der alte Rath ſtaunte. Er ließ es daher gleich gut
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Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon-
ſiſtorium, den Rath Zehner: ich glaube der Mann
lebt noch. An dieſen hatte mir mein Vater einen
Brief mitgegeben. Der Rath war, welches ſonſt
ſeine Gewohnheit nicht iſt, ziemlich hoͤflich, und be-
hielt mich zum Eſſen. Es wuͤrde, meinte er, mit
meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig-
keit haben, wenn ich mich einem rigoroͤſen Examen
unterwerfen wollte und — koͤnnte. Das Ding aͤr-
gerte mich, und ich ſagte meinem Herrn Rath, daß
er an mir nicht verzweifeln ſollte: ich haͤtte meine
Sache ehrlich gelernt, und wuͤrde gewiß ſo gut be-
ſtehen, als Weppner, Georgi, und viel andre
Herrchen, die man doch auf dem Konſiſtorium zu
Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugniſſen
verſehen haͤtte. Zehner laͤchelte, und fing an, mich
zu tentiren; doch nur ſo gewandsweiſe: er brachte
das Geſpraͤch auf die Reformirte Gnadenwahl.
Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich
mich in der Kirchen Geſchichte nicht verſtiegen hat-
te, ſo wuſte ich doch recht gut, was Auguſtin, die
Praͤdeſtinatianer, Gottſchalk und Luther, von dieſer
Lehre geſagt hatten, kannte die Haͤndel des Amyral-
dus, der Remonſtranten, Janſeniſten und Jeſuiten
weit beſſer, als Herr Zehner, und war daher im
Stande, eine Gelehrſamkeit auszukramen, woruͤber
der alte Rath ſtaunte. Er ließ es daher gleich gut
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/299>, abgerufen am 21.11.2024.
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