taires, den Esprit des Loix von Montesquieu, Rousseau's Novelle Heloise, dessen Emile, und andere, freilich sehr unorthodoxe Bücher, wo- mit die Bibliothek des Amtmanns versehen war. Ich lernte aus Voltaire nichts, als spotten: denn andere Bücher, besonders Tindals Werk, hatten mich schon in den Stand gesetzt, richtig -- nämlich wie ich die Sache ansehe -- über Dogmen und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich unendliches Vergnügen genossen bei der Lesung des französischen Dichters, der der Priesterreligion mit seinem feinern und gröbern Witz vielleicht mehr ge- schadet hat, als alle Bücher der Englischen und Deutschen Deisten. Die englischen gehen von Grün- den aus, und suchen ihre Leser durch philosophische Argumente zu überzeugen: die Deutschen machen es beinahe eben so, und habens auch mit unter mit der Philosophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles auf Geschichte, und verursachen dadurch, daß die Le- ser ihre gelehrten Werke nicht anders verstehen, als wenn sie selbst gelehrt sind. Der französische Deist hingegen wirft einige flüchtige Gründe leicht hin, schlüpft über die Streitfrage selbst weg, und spöt- telt hernach über das Ganze, als wenn er seine Be- hauptungen noch so gründlich demonstrirt hätte. Ich weis wohl, daß das nicht überzeugt; aber Tausende, die es lesen, halten sich von nun an für überzeugt,
taires, den Eſprit des Loix von Montesquieu, Rouſſeau's Novelle Heloiſe, deſſen Emile, und andere, freilich ſehr unorthodoxe Buͤcher, wo- mit die Bibliothek des Amtmanns verſehen war. Ich lernte aus Voltaire nichts, als ſpotten: denn andere Buͤcher, beſonders Tindals Werk, hatten mich ſchon in den Stand geſetzt, richtig — naͤmlich wie ich die Sache anſehe — uͤber Dogmen und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich unendliches Vergnuͤgen genoſſen bei der Leſung des franzoͤſiſchen Dichters, der der Prieſterreligion mit ſeinem feinern und groͤbern Witz vielleicht mehr ge- ſchadet hat, als alle Buͤcher der Engliſchen und Deutſchen Deiſten. Die engliſchen gehen von Gruͤn- den aus, und ſuchen ihre Leſer durch philoſophiſche Argumente zu uͤberzeugen: die Deutſchen machen es beinahe eben ſo, und habens auch mit unter mit der Philoſophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles auf Geſchichte, und verurſachen dadurch, daß die Le- ſer ihre gelehrten Werke nicht anders verſtehen, als wenn ſie ſelbſt gelehrt ſind. Der franzoͤſiſche Deiſt hingegen wirft einige fluͤchtige Gruͤnde leicht hin, ſchluͤpft uͤber die Streitfrage ſelbſt weg, und ſpoͤt- telt hernach uͤber das Ganze, als wenn er ſeine Be- hauptungen noch ſo gruͤndlich demonſtrirt haͤtte. Ich weis wohl, daß das nicht uͤberzeugt; aber Tauſende, die es leſen, halten ſich von nun an fuͤr uͤberzeugt,
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taires, den Eſprit des Loix von Montesquieu,
Rouſſeau's Novelle Heloiſe, deſſen Emile,
und andere, freilich ſehr unorthodoxe Buͤcher, wo-
mit die Bibliothek des Amtmanns verſehen war.
Ich lernte aus Voltaire nichts, als ſpotten:
denn andere Buͤcher, beſonders Tindals Werk,
hatten mich ſchon in den Stand geſetzt, richtig —
naͤmlich wie ich die Sache anſehe — uͤber Dogmen
und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich
unendliches Vergnuͤgen genoſſen bei der Leſung des
franzoͤſiſchen Dichters, der der Prieſterreligion mit
ſeinem feinern und groͤbern Witz vielleicht mehr ge-
ſchadet hat, als alle Buͤcher der Engliſchen und
Deutſchen Deiſten. Die engliſchen gehen von Gruͤn-
den aus, und ſuchen ihre Leſer durch philoſophiſche
Argumente zu uͤberzeugen: die Deutſchen machen es
beinahe eben ſo, und habens auch mit unter mit der
Philoſophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles
auf Geſchichte, und verurſachen dadurch, daß die Le-
ſer ihre gelehrten Werke nicht anders verſtehen, als
wenn ſie ſelbſt gelehrt ſind. Der franzoͤſiſche Deiſt
hingegen wirft einige fluͤchtige Gruͤnde leicht hin,
ſchluͤpft uͤber die Streitfrage ſelbſt weg, und ſpoͤt-
telt hernach uͤber das Ganze, als wenn er ſeine Be-
hauptungen noch ſo gruͤndlich demonſtrirt haͤtte. Ich
weis wohl, daß das nicht uͤberzeugt; aber Tauſende,
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/282>, abgerufen am 22.11.2024.
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