erzählen werde, in meinem Vaterlande sehr viel ge- schadet, und mein ganzes theologisches Glück verdor- ben hat. Herr Walch merkte diesen Ton, und ver- wies mir ihn, "Hören Sie, sehen Sie, sagte er zu mir, das ist einfältig gesprochen. Was Sie nicht glauben, müssen Sie mit Gründen widerlegen; aber nicht beschimpfen." -- Klug war das wohl gera- then; aber wo sollt ich so viel Klugheit hernehmen, einem klugen Rath zu folgen? -- Obgleich Walch mich für einen Religionsspötter hielt; so entzog er mir seine Freundschaft doch nicht: und das war sehr tolerant!
Nun muß ich noch einen Narren beschreiben, dessen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der Mensch hieß Dippel oder Timbel -- ich habe den Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewöhn- lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. -- Er lebte als theologischer Student, von der Gutherzig- keit anderer Studenten. An einem gewissen Tische, wo ohngefähr einige dreissig Studenten speiseten, ging er herum, so daß ihn alle Tage ein anderer füt- terte. Sein Logis hatte er umsonst beim Kauff- mann Backhaus, ich glaube, so hieß er -- hin- ten im Hof über dem Pferdestall und unter dem Taubenschlag. Da er sich von jederman gebrau- chen ließ, wozu man nur wollte; so waren die Bursche freigebig gegen ihn, wenn er etwas nö-
erzaͤhlen werde, in meinem Vaterlande ſehr viel ge- ſchadet, und mein ganzes theologiſches Gluͤck verdor- ben hat. Herr Walch merkte dieſen Ton, und ver- wies mir ihn, „Hoͤren Sie, ſehen Sie, ſagte er zu mir, das iſt einfaͤltig geſprochen. Was Sie nicht glauben, muͤſſen Sie mit Gruͤnden widerlegen; aber nicht beſchimpfen.“ — Klug war das wohl gera- then; aber wo ſollt ich ſo viel Klugheit hernehmen, einem klugen Rath zu folgen? — Obgleich Walch mich fuͤr einen Religionsſpoͤtter hielt; ſo entzog er mir ſeine Freundſchaft doch nicht: und das war ſehr tolerant!
Nun muß ich noch einen Narren beſchreiben, deſſen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der Menſch hieß Dippel oder Timbel — ich habe den Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewoͤhn- lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. — Er lebte als theologiſcher Student, von der Gutherzig- keit anderer Studenten. An einem gewiſſen Tiſche, wo ohngefaͤhr einige dreiſſig Studenten ſpeiſeten, ging er herum, ſo daß ihn alle Tage ein anderer fuͤt- terte. Sein Logis hatte er umſonſt beim Kauff- mann Backhaus, ich glaube, ſo hieß er — hin- ten im Hof uͤber dem Pferdeſtall und unter dem Taubenſchlag. Da er ſich von jederman gebrau- chen ließ, wozu man nur wollte; ſo waren die Burſche freigebig gegen ihn, wenn er etwas noͤ-
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erzaͤhlen werde, in meinem Vaterlande ſehr viel ge-
ſchadet, und mein ganzes theologiſches Gluͤck verdor-
ben hat. Herr Walch merkte dieſen Ton, und ver-
wies mir ihn, „Hoͤren Sie, ſehen Sie, ſagte er zu
mir, das iſt einfaͤltig geſprochen. Was Sie nicht
glauben, muͤſſen Sie mit Gruͤnden widerlegen; aber
nicht beſchimpfen.“ — Klug war das wohl gera-
then; aber wo ſollt ich ſo viel Klugheit hernehmen,
einem klugen Rath zu folgen? — Obgleich Walch
mich fuͤr einen Religionsſpoͤtter hielt; ſo entzog
er mir ſeine Freundſchaft doch nicht: und das war
ſehr tolerant!
Nun muß ich noch einen Narren beſchreiben,
deſſen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der
Menſch hieß Dippel oder Timbel — ich habe den
Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewoͤhn-
lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. — Er
lebte als theologiſcher Student, von der Gutherzig-
keit anderer Studenten. An einem gewiſſen Tiſche,
wo ohngefaͤhr einige dreiſſig Studenten ſpeiſeten,
ging er herum, ſo daß ihn alle Tage ein anderer fuͤt-
terte. Sein Logis hatte er umſonſt beim Kauff-
mann Backhaus, ich glaube, ſo hieß er — hin-
ten im Hof uͤber dem Pferdeſtall und unter dem
Taubenſchlag. Da er ſich von jederman gebrau-
chen ließ, wozu man nur wollte; ſo waren die
Burſche freigebig gegen ihn, wenn er etwas noͤ-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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