Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

den lieben Gott zum Hottentottischen Tyrannen her-
abwürdigen!

Ob Walch sehr orthodox gewesen sey -- dar-
an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafür halte, daß
er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn
in der Kirchengeschichte trug er mehrmals ziemlich
freie Amerkungen vor, und bekannte sogar, daß in
den ärgerlichen Pelagianischen Specktakeln, Augustin
und die Orthodoxen sich mehrerer Fehler schuldig ge-
macht hätten, als selbst die Ketzer: aber in seinen
Vorlesungen über die Dogmatik hing er ganz an den
Bestimmungen der Orthodoxen.

Herr Leß war der Mann bei weitem nicht.
Ich will ihm Gelehrsamkeit nicht absprechen; aber
sein Ton, seine Thränen bei dem Vortrage der Mo-
ral haben mich nie gerührt, da ich hingegen, wenn
Walch bei der Erzählung der Grausamkeiten des
Dschinkiskan, oder des Timurs weinte, gern
mitgeweint hätte. Leß ist ein pietisches Quodlibet,
so recht nach den Umständen, und hat etwas an sich
von dem Wesen der Betschwestern in Frankreich, die
in der Jugend -- nicht beten, und im Alter -- die
Religion, als eine entschädigende Galanterie behan-
deln. Dafür hat man ihn aber auch tüchtig geschul-

in seinem Versuch über die Einbildungs-
kraft.

den lieben Gott zum Hottentottiſchen Tyrannen her-
abwuͤrdigen!

Ob Walch ſehr orthodox geweſen ſey — dar-
an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafuͤr halte, daß
er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn
in der Kirchengeſchichte trug er mehrmals ziemlich
freie Amerkungen vor, und bekannte ſogar, daß in
den aͤrgerlichen Pelagianiſchen Specktakeln, Auguſtin
und die Orthodoxen ſich mehrerer Fehler ſchuldig ge-
macht haͤtten, als ſelbſt die Ketzer: aber in ſeinen
Vorleſungen uͤber die Dogmatik hing er ganz an den
Beſtimmungen der Orthodoxen.

Herr Leß war der Mann bei weitem nicht.
Ich will ihm Gelehrſamkeit nicht abſprechen; aber
ſein Ton, ſeine Thraͤnen bei dem Vortrage der Mo-
ral haben mich nie geruͤhrt, da ich hingegen, wenn
Walch bei der Erzaͤhlung der Grauſamkeiten des
Dſchinkiskan, oder des Timurs weinte, gern
mitgeweint haͤtte. Leß iſt ein pietiſches Quodlibet,
ſo recht nach den Umſtaͤnden, und hat etwas an ſich
von dem Weſen der Betſchweſtern in Frankreich, die
in der Jugend — nicht beten, und im Alter — die
Religion, als eine entſchaͤdigende Galanterie behan-
deln. Dafuͤr hat man ihn aber auch tuͤchtig geſchul-

in ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungs-
kraft.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="251"/>
den lieben Gott zum Hottentotti&#x017F;chen Tyrannen her-<lb/>
abwu&#x0364;rdigen!</p><lb/>
        <p>Ob Walch <hi rendition="#g">&#x017F;ehr</hi> orthodox gewe&#x017F;en &#x017F;ey &#x2014; dar-<lb/>
an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafu&#x0364;r halte, daß<lb/>
er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn<lb/>
in der Kirchenge&#x017F;chichte trug er mehrmals ziemlich<lb/>
freie Amerkungen vor, und bekannte &#x017F;ogar, daß in<lb/>
den a&#x0364;rgerlichen Pelagiani&#x017F;chen Specktakeln, Augu&#x017F;tin<lb/>
und die Orthodoxen &#x017F;ich mehrerer Fehler &#x017F;chuldig ge-<lb/>
macht ha&#x0364;tten, als &#x017F;elb&#x017F;t die Ketzer: aber in &#x017F;einen<lb/>
Vorle&#x017F;ungen u&#x0364;ber die Dogmatik hing er ganz an den<lb/>
Be&#x017F;timmungen der Orthodoxen.</p><lb/>
        <p>Herr <hi rendition="#g">Leß</hi> war der Mann bei weitem nicht.<lb/>
Ich will ihm Gelehr&#x017F;amkeit nicht ab&#x017F;prechen; aber<lb/>
&#x017F;ein Ton, &#x017F;eine Thra&#x0364;nen bei dem Vortrage der Mo-<lb/>
ral haben mich nie geru&#x0364;hrt, da ich hingegen, wenn<lb/>
Walch bei der Erza&#x0364;hlung der Grau&#x017F;amkeiten des<lb/><hi rendition="#g">D&#x017F;chinkiskan</hi>, oder des <hi rendition="#g">Timurs</hi> weinte, gern<lb/>
mitgeweint ha&#x0364;tte. Leß i&#x017F;t ein pieti&#x017F;ches Quodlibet,<lb/>
&#x017F;o recht nach den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, und hat etwas an &#x017F;ich<lb/>
von dem We&#x017F;en der Bet&#x017F;chwe&#x017F;tern in Frankreich, die<lb/>
in der Jugend &#x2014; nicht beten, und im Alter &#x2014; die<lb/>
Religion, als eine ent&#x017F;cha&#x0364;digende Galanterie behan-<lb/>
deln. Dafu&#x0364;r hat man ihn aber auch tu&#x0364;chtig ge&#x017F;chul-<lb/><note xml:id="note-0265" prev="#note-0264" place="foot" n="*)">in &#x017F;einem <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uch u&#x0364;ber die Einbildungs</hi>-<lb/><hi rendition="#g">kraft</hi>.</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0265] den lieben Gott zum Hottentottiſchen Tyrannen her- abwuͤrdigen! Ob Walch ſehr orthodox geweſen ſey — dar- an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafuͤr halte, daß er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn in der Kirchengeſchichte trug er mehrmals ziemlich freie Amerkungen vor, und bekannte ſogar, daß in den aͤrgerlichen Pelagianiſchen Specktakeln, Auguſtin und die Orthodoxen ſich mehrerer Fehler ſchuldig ge- macht haͤtten, als ſelbſt die Ketzer: aber in ſeinen Vorleſungen uͤber die Dogmatik hing er ganz an den Beſtimmungen der Orthodoxen. Herr Leß war der Mann bei weitem nicht. Ich will ihm Gelehrſamkeit nicht abſprechen; aber ſein Ton, ſeine Thraͤnen bei dem Vortrage der Mo- ral haben mich nie geruͤhrt, da ich hingegen, wenn Walch bei der Erzaͤhlung der Grauſamkeiten des Dſchinkiskan, oder des Timurs weinte, gern mitgeweint haͤtte. Leß iſt ein pietiſches Quodlibet, ſo recht nach den Umſtaͤnden, und hat etwas an ſich von dem Weſen der Betſchweſtern in Frankreich, die in der Jugend — nicht beten, und im Alter — die Religion, als eine entſchaͤdigende Galanterie behan- deln. Dafuͤr hat man ihn aber auch tuͤchtig geſchul- *) *) in ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungs- kraft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/265
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/265>, abgerufen am 19.05.2024.