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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

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Streich, mich an meinem Freunde und wahren Gön-
ner, dem Bergrath Böhm zu versündigen. Er las
von 8 bis 9 die Metaphysik, welche ich sonst selbst
hörte. Nun wollte ich doch sehen, ob welche
da wären, und fand ohngefähr vier oder fünf Zuhö-
rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wissen
mochten. Diese preschte ich mit starken Worten her-
aus, und machte solchen Lärmen, daß der Sohn des
würdigen Mannes, Herr Assessor Böhm, dazu kam,
und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war
für dasmal weder Gefühl noch Besinnung: ich ant-
wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach-
her hab ich mich freilich geschämt, und beide um Ver-
zeihung gebeten: allein der dumme Streich ärgert
mich noch bis auf die heutige Stunde.

Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran
aber nur wenig Professoren Theil nahmen, und be-
stätigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins
Feuer gegossen: es empörte noch mehr.

Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier so?
Man muß wissen, daß er ehemals Lehrer der fürstli-
chen Kinder in Darmstadt gewesen war, und folglich
auch die erste Gemahlin des Russischen Großfürsten
unterrichtet hatte. Nun schien es ihm nicht recht zu
seyn, daß man im Darmstädtischen zu eben der Zeit,
wo man noch über den Tod jener Fürstin trauerte,
Freude über derselben Nachfolgerin feierlich beweisen

Streich, mich an meinem Freunde und wahren Goͤn-
ner, dem Bergrath Boͤhm zu verſuͤndigen. Er las
von 8 bis 9 die Metaphyſik, welche ich ſonſt ſelbſt
hoͤrte. Nun wollte ich doch ſehen, ob welche
da waͤren, und fand ohngefaͤhr vier oder fuͤnf Zuhoͤ-
rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wiſſen
mochten. Dieſe preſchte ich mit ſtarken Worten her-
aus, und machte ſolchen Laͤrmen, daß der Sohn des
wuͤrdigen Mannes, Herr Aſſeſſor Boͤhm, dazu kam,
und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war
fuͤr dasmal weder Gefuͤhl noch Beſinnung: ich ant-
wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach-
her hab ich mich freilich geſchaͤmt, und beide um Ver-
zeihung gebeten: allein der dumme Streich aͤrgert
mich noch bis auf die heutige Stunde.

Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran
aber nur wenig Profeſſoren Theil nahmen, und be-
ſtaͤtigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins
Feuer gegoſſen: es empoͤrte noch mehr.

Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier ſo?
Man muß wiſſen, daß er ehemals Lehrer der fuͤrſtli-
chen Kinder in Darmſtadt geweſen war, und folglich
auch die erſte Gemahlin des Ruſſiſchen Großfuͤrſten
unterrichtet hatte. Nun ſchien es ihm nicht recht zu
ſeyn, daß man im Darmſtaͤdtiſchen zu eben der Zeit,
wo man noch uͤber den Tod jener Fuͤrſtin trauerte,
Freude uͤber derſelben Nachfolgerin feierlich beweiſen

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[183/0197] Streich, mich an meinem Freunde und wahren Goͤn- ner, dem Bergrath Boͤhm zu verſuͤndigen. Er las von 8 bis 9 die Metaphyſik, welche ich ſonſt ſelbſt hoͤrte. Nun wollte ich doch ſehen, ob welche da waͤren, und fand ohngefaͤhr vier oder fuͤnf Zuhoͤ- rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wiſſen mochten. Dieſe preſchte ich mit ſtarken Worten her- aus, und machte ſolchen Laͤrmen, daß der Sohn des wuͤrdigen Mannes, Herr Aſſeſſor Boͤhm, dazu kam, und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war fuͤr dasmal weder Gefuͤhl noch Beſinnung: ich ant- wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach- her hab ich mich freilich geſchaͤmt, und beide um Ver- zeihung gebeten: allein der dumme Streich aͤrgert mich noch bis auf die heutige Stunde. Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran aber nur wenig Profeſſoren Theil nahmen, und be- ſtaͤtigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins Feuer gegoſſen: es empoͤrte noch mehr. Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier ſo? Man muß wiſſen, daß er ehemals Lehrer der fuͤrſtli- chen Kinder in Darmſtadt geweſen war, und folglich auch die erſte Gemahlin des Ruſſiſchen Großfuͤrſten unterrichtet hatte. Nun ſchien es ihm nicht recht zu ſeyn, daß man im Darmſtaͤdtiſchen zu eben der Zeit, wo man noch uͤber den Tod jener Fuͤrſtin trauerte, Freude uͤber derſelben Nachfolgerin feierlich beweiſen

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/197>, abgerufen am 03.05.2024.