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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

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lehrten Deutschland; die Bücher selbst findet man
stückweise bei den Gewürzkrämern.

Wyttenbach ist schon lange todt. Er war
ein Mann, auf dem Calvins Geist dreifach ruhte:
ich meyne den Geist der Intoleranz, der Rechtha-
berei und des theologischen Stolzes. Er war ein
strenger Verfechter des herrlichen decreti absoluti,
worüber er einige Streitschriften mit dem Abt
Schubert geführt hat. Er war schon damals ein
alter Mann, doch aber noch rüstig zu heiligen Katz-
balgereien. Mit mir gab er sich auch ab, und dispu-
tirte de omnipraesentia carnis Christi. Ich sagte
ihm zwar, daß ich selbst die Allgegenwart des Leibes
Christi nicht glaubte, und bath ihn, sich nicht weiter
mit seinen Argumenten zu bemühen. Aber wie?
fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraesentiam,
oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem
carnis domini?
-- So sind Sie auch nicht gneoios
ein Lutheraner.

Ich: Diese Lehre gehört gar nicht zur lutheri-
schen eigentlichen Dogmatik: das ist eine scholastische
Grille einiger Privatlehrer.

Er: Privatlehrer? Ist es nicht die Lehre der
heiligen formula concordiae, die die Herren Lu-
theraner dem Worte Gottes an die Seite setzen?

Ich: Das kann ich nicht sagen: ich habe die
Formula Concordiä noch nicht gelesen: aber das weis

lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man
ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.

Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war
ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte:
ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha-
berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein
ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti,
woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt
Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein
alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz-
balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu-
tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte
ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes
Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter
mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie?
fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam,
oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem
carnis domini?
— So ſind Sie auch nicht γνηοιως
ein Lutheraner.

Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri-
ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche
Grille einiger Privatlehrer.

Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der
heiligen formula concordiae, die die Herren Lu-
theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?

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[170/0184] lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern. Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte: ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha- berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti, woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz- balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu- tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie? fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam, oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem carnis domini? — So ſind Sie auch nicht γνηοιως ein Lutheraner. Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri- ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche Grille einiger Privatlehrer. Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der heiligen formula concordiae, die die Herren Lu- theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen? Ich: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/184>, abgerufen am 03.05.2024.