lehrten Deutschland; die Bücher selbst findet man stückweise bei den Gewürzkrämern.
Wyttenbach ist schon lange todt. Er war ein Mann, auf dem Calvins Geist dreifach ruhte: ich meyne den Geist der Intoleranz, der Rechtha- berei und des theologischen Stolzes. Er war ein strenger Verfechter des herrlichen decreti absoluti, worüber er einige Streitschriften mit dem Abt Schubert geführt hat. Er war schon damals ein alter Mann, doch aber noch rüstig zu heiligen Katz- balgereien. Mit mir gab er sich auch ab, und dispu- tirte de omnipraesentia carnis Christi. Ich sagte ihm zwar, daß ich selbst die Allgegenwart des Leibes Christi nicht glaubte, und bath ihn, sich nicht weiter mit seinen Argumenten zu bemühen. Aber wie? fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraesentiam, oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem carnis domini? -- So sind Sie auch nicht gneoios ein Lutheraner.
Ich: Diese Lehre gehört gar nicht zur lutheri- schen eigentlichen Dogmatik: das ist eine scholastische Grille einiger Privatlehrer.
Er: Privatlehrer? Ist es nicht die Lehre der heiligen formula concordiae, die die Herren Lu- theraner dem Worte Gottes an die Seite setzen?
Ich: Das kann ich nicht sagen: ich habe die Formula Concordiä noch nicht gelesen: aber das weis
lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.
Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte: ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha- berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti, woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz- balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu- tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie? fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam, oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem carnis domini? — So ſind Sie auch nicht γνηοιως ein Lutheraner.
Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri- ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche Grille einiger Privatlehrer.
Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der heiligen formula concordiae, die die Herren Lu- theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?
Ich: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0184"n="170"/>
lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man<lb/>ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.</p><lb/><p><hirendition="#g">Wyttenbach</hi> iſt ſchon lange todt. Er war<lb/>
ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte:<lb/>
ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha-<lb/>
berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein<lb/>ſtrenger Verfechter des herrlichen <hirendition="#aq">decreti abſoluti,</hi><lb/>
woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt<lb/><hirendition="#g">Schubert</hi> gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein<lb/>
alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz-<lb/>
balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu-<lb/>
tirte <hirendition="#aq">de omnipraeſentia carnis Chriſti.</hi> Ich ſagte<lb/>
ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes<lb/>
Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter<lb/>
mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie?<lb/>
fuhr er auf, Sie glauben nicht <hirendition="#aq">omnipraeſentiam,</hi><lb/>
oder wie die Herren Lutheraner reden, <hirendition="#aq">ubiquitatem<lb/>
carnis domini?</hi>— So ſind Sie auch nicht γνηοιως<lb/>
ein Lutheraner.</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich</hi>: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri-<lb/>ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche<lb/>
Grille einiger Privatlehrer.</p><lb/><p><hirendition="#g">Er</hi>: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der<lb/>
heiligen <hirendition="#aq">formula concordiae,</hi> die die Herren Lu-<lb/>
theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich</hi>: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die<lb/>
Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis<lb/></p></div></body></text></TEI>
[170/0184]
lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man
ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.
Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war
ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte:
ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha-
berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein
ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti,
woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt
Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein
alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz-
balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu-
tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte
ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes
Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter
mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie?
fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam,
oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem
carnis domini? — So ſind Sie auch nicht γνηοιως
ein Lutheraner.
Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri-
ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche
Grille einiger Privatlehrer.
Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der
heiligen formula concordiae, die die Herren Lu-
theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?
Ich: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die
Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/184>, abgerufen am 03.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.