wäre ihr ein Räthsel. Ob ich sie vielleicht nicht mehr liebte? u. s. w. Wenns übrigens nicht gar zu weit wäre, fügte sie hinzu, so würde sie mich bitten, sie in Mannheim zu besuchen.--
Ich bedaure, daß ich diesen Brief nicht mehr in Händen habe; sonst würde ich ihn meinen Lesern mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unschul- dig verliebten Mädchens, den kein Romanschreiber nachahmen kann -- Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen: hundertmal wollte ich aufstehen, und gerade hin nach Mannheim laufen: tausend andere Gedan- ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich war von meinem Mädchen eingenommen, und nicht ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur- schenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete mit dem lieben Mädchen, als wäre sie gegenwärtig, klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, schwur ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb- ten Schwindelei mehr war. Den Brief überlas ich -- wer weis wie oft! -- und lernte ihn fast auswendig.
Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam, mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfänglich meine Verwirrung nicht; aber seine Schwester sah mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich am vergangenen Tage gewesen war. Sie fragte mich, ob ich vielleicht nicht gut geschlafen hätte?
waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in Mannheim zu beſuchen.—
Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul- dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan- ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur- ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig, klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb- ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn faſt auswendig.
Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam, mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich am vergangenen Tage geweſen war. Sie fragte mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte?
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waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr
liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit
waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in
Mannheim zu beſuchen.—
Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr
in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern
mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul-
dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber
nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht
ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade
hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan-
ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich
war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht
ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur-
ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete
mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig,
klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur
ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb-
ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas
ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn faſt
auswendig.
Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam,
mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich
meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah
mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich
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mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte?
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/128>, abgerufen am 16.02.2025.
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