Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

wäre ihr ein Räthsel. Ob ich sie vielleicht nicht mehr
liebte? u. s. w. Wenns übrigens nicht gar zu weit
wäre, fügte sie hinzu, so würde sie mich bitten, sie in
Mannheim zu besuchen.--

Ich bedaure, daß ich diesen Brief nicht mehr
in Händen habe; sonst würde ich ihn meinen Lesern
mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unschul-
dig verliebten Mädchens, den kein Romanschreiber
nachahmen kann -- Ich konnte die ganze Nacht nicht
schlafen: hundertmal wollte ich aufstehen, und gerade
hin nach Mannheim laufen: tausend andere Gedan-
ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich
war von meinem Mädchen eingenommen, und nicht
ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur-
schenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete
mit dem lieben Mädchen, als wäre sie gegenwärtig,
klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, schwur
ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb-
ten Schwindelei mehr war. Den Brief überlas
ich -- wer weis wie oft! -- und lernte ihn fast
auswendig.

Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam,
mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfänglich
meine Verwirrung nicht; aber seine Schwester sah
mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich
am vergangenen Tage gewesen war. Sie fragte
mich, ob ich vielleicht nicht gut geschlafen hätte?

waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr
liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit
waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in
Mannheim zu beſuchen.—

Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr
in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern
mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul-
dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber
nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht
ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade
hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan-
ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich
war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht
ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur-
ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete
mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig,
klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur
ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb-
ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas
ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn faſt
auswendig.

Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam,
mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich
meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah
mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich
am vergangenen Tage geweſen war. Sie fragte
mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="114"/>
wa&#x0364;re ihr ein Ra&#x0364;th&#x017F;el. Ob ich &#x017F;ie vielleicht nicht mehr<lb/>
liebte? u. &#x017F;. w. Wenns u&#x0364;brigens nicht gar zu weit<lb/>
wa&#x0364;re, fu&#x0364;gte &#x017F;ie hinzu, &#x017F;o wu&#x0364;rde &#x017F;ie mich bitten, &#x017F;ie in<lb/>
Mannheim zu be&#x017F;uchen.&#x2014;</p><lb/>
        <p>Ich bedaure, daß ich die&#x017F;en Brief nicht mehr<lb/>
in Ha&#x0364;nden habe; &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde ich ihn meinen Le&#x017F;ern<lb/>
mittheilen. Es war ein naiver Brief eines un&#x017F;chul-<lb/>
dig verliebten Ma&#x0364;dchens, den kein Roman&#x017F;chreiber<lb/>
nachahmen kann &#x2014; Ich konnte die ganze Nacht nicht<lb/>
&#x017F;chlafen: hundertmal wollte ich auf&#x017F;tehen, und gerade<lb/>
hin nach Mannheim laufen: tau&#x017F;end andere Gedan-<lb/>
ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich<lb/>
war von meinem Ma&#x0364;dchen eingenommen, und nicht<lb/>
ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur-<lb/>
&#x017F;chenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete<lb/>
mit dem lieben Ma&#x0364;dchen, als wa&#x0364;re &#x017F;ie gegenwa&#x0364;rtig,<lb/>
klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, &#x017F;chwur<lb/>
ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb-<lb/>
ten Schwindelei mehr war. Den Brief u&#x0364;berlas<lb/>
ich &#x2014; wer weis wie oft! &#x2014; und lernte ihn fa&#x017F;t<lb/>
auswendig.</p><lb/>
        <p>Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam,<lb/>
mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfa&#x0364;nglich<lb/>
meine Verwirrung nicht; aber &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter &#x017F;ah<lb/>
mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich<lb/>
am vergangenen Tage gewe&#x017F;en war. Sie fragte<lb/>
mich, ob ich vielleicht nicht gut ge&#x017F;chlafen ha&#x0364;tte?<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0128] waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in Mannheim zu beſuchen.— Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul- dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan- ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur- ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig, klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb- ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn faſt auswendig. Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam, mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich am vergangenen Tage geweſen war. Sie fragte mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/128
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/128>, abgerufen am 04.05.2024.