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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

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gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei-
ternden Zerstreuungen hingebracht, und dann hatte
die Schwester des Herrn Diefenbachs, ein liebens-
würdiges Landmädchen, jetzt die würdige Gattin des
Herrn Rectors Römheld in Geudern, mich entzückt,
so sehr entzückt, daß ich beinahe vergessen hätte, daß
ich Bursche war.

Auf meinem Schlafzimmer öffnete ich meine
Briefe, und las den meines Vaters zuerst: er war
lateinisch mit vielen griechischen Versen aus dem Ho-
mer, Theokrit u. a. nach seiner Gewohnheit ausge-
schmückt. Nachher öffnete ich den meines Onkels;
aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getäuscht
fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte!
Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung
keinen Buchstaben weiter heraus bringen: endlich
sucht' ich mich zu fassen, las mit Besinnung, und
wurde jetzt nur noch tiefer gerührt. Therese meldete
mir, daß sie sich in Manheim bei der Frau B....
ihrer Base, aufhalte, und machte mir über mein Still-
schweigen Vorwürfe. Sie wisse, schrieb sie, daß wir
verrathen wären, daß mein Vater alles erfahren
hätte, und daß er mir nicht hätte erlauben wollen,
von ihr Abschied zu nehmen: daß also dies nicht ge-
schehen sey, wäre leicht zu verzeihen; daß ich aber
von Gießen aus auch nicht einmal an sie schriebe,

Erster Theil. H

gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei-
ternden Zerſtreuungen hingebracht, und dann hatte
die Schweſter des Herrn Diefenbachs, ein liebens-
wuͤrdiges Landmaͤdchen, jetzt die wuͤrdige Gattin des
Herrn Rectors Roͤmheld in Geudern, mich entzuͤckt,
ſo ſehr entzuͤckt, daß ich beinahe vergeſſen haͤtte, daß
ich Burſche war.

Auf meinem Schlafzimmer oͤffnete ich meine
Briefe, und las den meines Vaters zuerſt: er war
lateiniſch mit vielen griechiſchen Verſen aus dem Ho-
mer, Theokrit u. a. nach ſeiner Gewohnheit ausge-
ſchmuͤckt. Nachher oͤffnete ich den meines Onkels;
aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getaͤuſcht
fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte!
Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung
keinen Buchſtaben weiter heraus bringen: endlich
ſucht' ich mich zu faſſen, las mit Beſinnung, und
wurde jetzt nur noch tiefer geruͤhrt. Thereſe meldete
mir, daß ſie ſich in Manheim bei der Frau B....
ihrer Baſe, aufhalte, und machte mir uͤber mein Still-
ſchweigen Vorwuͤrfe. Sie wiſſe, ſchrieb ſie, daß wir
verrathen waͤren, daß mein Vater alles erfahren
haͤtte, und daß er mir nicht haͤtte erlauben wollen,
von ihr Abſchied zu nehmen: daß alſo dies nicht ge-
ſchehen ſey, waͤre leicht zu verzeihen; daß ich aber
von Gießen aus auch nicht einmal an ſie ſchriebe,

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[113/0127] gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei- ternden Zerſtreuungen hingebracht, und dann hatte die Schweſter des Herrn Diefenbachs, ein liebens- wuͤrdiges Landmaͤdchen, jetzt die wuͤrdige Gattin des Herrn Rectors Roͤmheld in Geudern, mich entzuͤckt, ſo ſehr entzuͤckt, daß ich beinahe vergeſſen haͤtte, daß ich Burſche war. Auf meinem Schlafzimmer oͤffnete ich meine Briefe, und las den meines Vaters zuerſt: er war lateiniſch mit vielen griechiſchen Verſen aus dem Ho- mer, Theokrit u. a. nach ſeiner Gewohnheit ausge- ſchmuͤckt. Nachher oͤffnete ich den meines Onkels; aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getaͤuſcht fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte! Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung keinen Buchſtaben weiter heraus bringen: endlich ſucht' ich mich zu faſſen, las mit Beſinnung, und wurde jetzt nur noch tiefer geruͤhrt. Thereſe meldete mir, daß ſie ſich in Manheim bei der Frau B.... ihrer Baſe, aufhalte, und machte mir uͤber mein Still- ſchweigen Vorwuͤrfe. Sie wiſſe, ſchrieb ſie, daß wir verrathen waͤren, daß mein Vater alles erfahren haͤtte, und daß er mir nicht haͤtte erlauben wollen, von ihr Abſchied zu nehmen: daß alſo dies nicht ge- ſchehen ſey, waͤre leicht zu verzeihen; daß ich aber von Gießen aus auch nicht einmal an ſie ſchriebe, Erſter Theil. H

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/127>, abgerufen am 04.05.2024.