Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

mein Erinnern einsehen, daß in Gießen zu der Zeit,
als ich mich daselbst aufhielt, blutwenig Gelehrsamkeit
zu holen war. Der alte Böhm las zwar philosophi-
sche Kollegien; aber das war weiter nichts, als
Wolffische Logik und Wolffische Metaphysik: über die
übrigen Theile der Weltweisheit las kein Mensch, das
Jus naturae ausgenommen, welches Herr Höpfner
für Juristen erklärte nach Achenwall: die Geschichte
der Philosophie, die Aesthetik und die zu diesen Wis-
senschaften gehörige Litteratur waren ganz unbekannte
Dinge.

In der Philologie sah es noch scheußlicher aus.
Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie
man sagt, publice, die fundamenta Styli; ver-
stand aber selbst den lateinischen Styl so wenig, daß
er alle Augenblicke wider die Grammatik verstieß,
wenn er als Professor der Eloquenz eine lateinische
Rede -- vorm lateinisch Schreiben nahm er sich in
Acht -- halten mußte. So hielt er einst eine Rede auf
die Vermählung des Erbprinzen, woraus ich mir einige
Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be-
kannten darüber lustig gemacht habe. Dergleichen
waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott
segne den Erbprinzen!) Et nostram olim curam
geres, o Princeps. Quis est, qui vocem no-
stram jubeat obmutescendam? -- Neque est
operae pretium, commemorandi.
Freilich sind

mein Erinnern einſehen, daß in Gießen zu der Zeit,
als ich mich daſelbſt aufhielt, blutwenig Gelehrſamkeit
zu holen war. Der alte Boͤhm las zwar philoſophi-
ſche Kollegien; aber das war weiter nichts, als
Wolffiſche Logik und Wolffiſche Metaphyſik: uͤber die
uͤbrigen Theile der Weltweisheit las kein Menſch, das
Jus naturae ausgenommen, welches Herr Hoͤpfner
fuͤr Juriſten erklaͤrte nach Achenwall: die Geſchichte
der Philoſophie, die Aeſthetik und die zu dieſen Wiſ-
ſenſchaften gehoͤrige Litteratur waren ganz unbekannte
Dinge.

In der Philologie ſah es noch ſcheußlicher aus.
Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie
man ſagt, publice, die fundamenta Styli; ver-
ſtand aber ſelbſt den lateiniſchen Styl ſo wenig, daß
er alle Augenblicke wider die Grammatik verſtieß,
wenn er als Profeſſor der Eloquenz eine lateiniſche
Rede — vorm lateiniſch Schreiben nahm er ſich in
Acht — halten mußte. So hielt er einſt eine Rede auf
die Vermaͤhlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige
Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be-
kannten daruͤber luſtig gemacht habe. Dergleichen
waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott
ſegne den Erbprinzen!) Et noſtram olim curam
geres, o Princeps. Quis eſt, qui vocem no-
ſtram jubeat obmuteſcendam? — Neque eſt
operae pretium, commemorandi.
Freilich ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="90"/>
mein Erinnern ein&#x017F;ehen, daß in Gießen zu der Zeit,<lb/>
als ich mich da&#x017F;elb&#x017F;t aufhielt, blutwenig Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
zu holen war. Der alte Bo&#x0364;hm las zwar philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;che Kollegien; aber das war weiter nichts, als<lb/>
Wolffi&#x017F;che Logik und Wolffi&#x017F;che Metaphy&#x017F;ik: u&#x0364;ber die<lb/>
u&#x0364;brigen Theile der Weltweisheit las kein Men&#x017F;ch, das<lb/><hi rendition="#aq">Jus naturae</hi> ausgenommen, welches Herr Ho&#x0364;pfner<lb/>
fu&#x0364;r Juri&#x017F;ten erkla&#x0364;rte nach Achenwall: die Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Philo&#x017F;ophie, die Ae&#x017F;thetik und die zu die&#x017F;en Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften geho&#x0364;rige Litteratur waren ganz unbekannte<lb/>
Dinge.</p><lb/>
        <p>In der Philologie &#x017F;ah es noch &#x017F;cheußlicher aus.<lb/>
Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie<lb/>
man &#x017F;agt, <hi rendition="#aq">publice</hi>, die <hi rendition="#aq">fundamenta Styli</hi>; ver-<lb/>
&#x017F;tand aber &#x017F;elb&#x017F;t den lateini&#x017F;chen Styl &#x017F;o wenig, daß<lb/>
er alle Augenblicke wider die Grammatik ver&#x017F;tieß,<lb/>
wenn er als Profe&#x017F;&#x017F;or der Eloquenz eine lateini&#x017F;che<lb/>
Rede &#x2014; vorm lateini&#x017F;ch Schreiben nahm er &#x017F;ich in<lb/>
Acht &#x2014; halten mußte. So hielt er ein&#x017F;t eine Rede auf<lb/>
die Verma&#x0364;hlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige<lb/>
Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be-<lb/>
kannten daru&#x0364;ber lu&#x017F;tig gemacht habe. Dergleichen<lb/>
waren: <hi rendition="#aq">benedicat Deus principi juventutis</hi> (Gott<lb/>
&#x017F;egne den Erbprinzen!) <hi rendition="#aq">Et no&#x017F;tram olim curam<lb/>
geres, o Princeps. Quis e&#x017F;t, qui vocem no-<lb/>
&#x017F;tram jubeat obmute&#x017F;cendam? &#x2014; Neque e&#x017F;t<lb/>
operae pretium, commemorandi.</hi> Freilich &#x017F;ind<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0104] mein Erinnern einſehen, daß in Gießen zu der Zeit, als ich mich daſelbſt aufhielt, blutwenig Gelehrſamkeit zu holen war. Der alte Boͤhm las zwar philoſophi- ſche Kollegien; aber das war weiter nichts, als Wolffiſche Logik und Wolffiſche Metaphyſik: uͤber die uͤbrigen Theile der Weltweisheit las kein Menſch, das Jus naturae ausgenommen, welches Herr Hoͤpfner fuͤr Juriſten erklaͤrte nach Achenwall: die Geſchichte der Philoſophie, die Aeſthetik und die zu dieſen Wiſ- ſenſchaften gehoͤrige Litteratur waren ganz unbekannte Dinge. In der Philologie ſah es noch ſcheußlicher aus. Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie man ſagt, publice, die fundamenta Styli; ver- ſtand aber ſelbſt den lateiniſchen Styl ſo wenig, daß er alle Augenblicke wider die Grammatik verſtieß, wenn er als Profeſſor der Eloquenz eine lateiniſche Rede — vorm lateiniſch Schreiben nahm er ſich in Acht — halten mußte. So hielt er einſt eine Rede auf die Vermaͤhlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be- kannten daruͤber luſtig gemacht habe. Dergleichen waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott ſegne den Erbprinzen!) Et noſtram olim curam geres, o Princeps. Quis eſt, qui vocem no- ſtram jubeat obmuteſcendam? — Neque eſt operae pretium, commemorandi. Freilich ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/104
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/104>, abgerufen am 24.11.2024.